Eine mittelgroße Trainingsrunde soll es heute werden. Noch ist es trocken, aber für den Nachmittag ist Regen angesagt. Mein treues Basso scharrt schon mit den Pedalen – die Kette ist geölt. Erst um 10.30 Uhr rolle ich auf meiner Lieblingsstrecke über Schönerlinde und Buch hinaus aus dem Stadtbereich. Den schon beschriebenen Bernauer Birzel im Blick fahre ich auf Wirtschaftswegen immer Richtung Ost.
Helenenaue – Pension, Landgasthaus, Reiterhof… Große Hinweisschilder gibt es schon in Birkholz zu sehen. Den Hinweisen nach und immer durch Wald und Feld rumpele ich nach Helenenaue.
Was die Schilder versprechen, entpuppt sich als Ensemble gesichtsloser, heruntergekommener Häuser in Barackenbauart.
Neben den schmucklosen, vergammelten Flachbauten wirken die klassizistischen Säulen leicht deplatziert.
So sieht das beworbene Landgasthaus aus. „Wegen Krankheit geschlossen“, ist im Glaskasten zu lesen. Ich rolle eine kleine Runde durch das seltsam anmutende Anwesen. DDR-Charme der 50er bis 70er Jahre. Nur die Pferdeställe und Reitplätze sind in ordentlichem Zustand. Helenenaue war ursprünglich ein Vorwerk vom Schlossgut Börnicke, das bis 1935 von den Mendelssohn-Bartholdys bewohnt wurde.
Auf dem Helenenauer Weg arbeite ich mich nach Börnicke mit dem klassizistischen Schloss, in dem nach der Zeit der Mendelssohns Wilhelm Pieck seine Freizeit verbrachte – nachdem vor ihm schon die Schweizer Botschaft und ein russisches Lazarett hier untergebracht waren. Heute wird der Komplex sorgfältig restauriert und wird schon wieder für Veranstaltungen genutzt.
Der Track nach Osten ist geprägt durch weite Felder, Wälder und die Wellen des Barnim, unspektulär schön.
In Steinbeck trauen sich unter einer riesigen Eiche die ersten Frühlingsboten ans Licht.
Die lange Abfahrt nach Wriezen stürze ich mich genussvoll mit leichtem Rückenwind hinunter. 50 km/h maximal, das macht Freude.
Wriezen: Ein Städtchen ohne Gesicht, aber mit Geschichte: Adolf Hitler schenkte 1940 seinem Lieblingsbildhauer Arno Breker das Rittergut Jäckelsbruch zum 40. Geburtstag – samt neu erbautem Atelier und angeschlossenen Steinbildhauer-Werkstätten. Hier wurden die Figuren für das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg gemeißelt, und hier sollten die Werke für das neue Berlin entstehen. Am Ende des Krieges wurde die Stadt in den letzten Kämpfen fast komplett zerstört und jeglicher Altsubstanz beraubt.
In der Wriezener Backstube genieße ich ein Apfelhörnchen und ein Mohnstück. Der Kaffee ist heiß und wohlschmeckend, draußen lauert derweil mein Basso auf die nächsten Kilometer.
Vorbei an einem Lebensmittelmarkt der Wriezener Art.
Und vorbei am ältesten Ziegelofen Brandenburgs mit oben draufsitzendem Storchennest. Passend dazu gibt es in Altranft das Storchenmuseum zu besichtigen. Ich staune derweil über die Ortsbezeichnung „Altgaul“.
Nach Altgaul kommt folgerichtig Neugaul. Aber wo ist Gaul?
Es fängt an zu nieseln, und während ich noch über die Störche von Altranft, Alt- und Neugaul nachdenke, stehe ich unvermittelt vor dem Missionshaus Malche, in dem um 1900 evangelische Missionarinnen für den Einsatz im Nahen Osten vorbereitet wurden. Auch heute wird der Komplex von der Kirche als Bildungsstätte genutzt.
An der Abbruchkante zum Oderbruch reiht sich reichlich Historisches aneinander. In Falkenberg wäre ich fast durch den Wald zum Bismarckturm hinaufgeklettert. Der Nieselregen hält mich ab – Bismarck muss warten. Stattdessen biege ich in Niederfinow ab auf den alten Platten- und dann Hohlweg hinauf nach Tornow, vorbei an Karlswerk.
Eine trefflich für Crosser geeignete Strecke. Das geht in die Oberschenkel – aber ich wollte es doch so!
Dann flugs hinunter nach Eberswalde, den Sprühregen auf der Brille. Meine Motivation ist angeknabbert, und ich schaue mich im Bahnhof nach einer Verbindung nach Bernau um. Fast eine Stunde bis zum nächsten Zug. Und der wird noch mit Verspätung angekündigt. Diese Aussichten treiben mich wieder hinaus in Nässe und Dunkelheit. Die letzten 50 Kilometer von insgesamt 155 heute sind harte Arbeit, Randonneursgeschäft eben. Schön! – Besonders, wenn es endlich vorbei ist.
Diese Tour im Frühling bei lauen Lüften – was für Aussichten! Und dann ackere ich endlich hoch auf den Bismarckturm in Falkenberg.
Du hast das Rätsel gelöst – Hab Dank
Ganz herzlichen dank für diese erforschungsfahrten. Gaul übrigens, der Charly, weilt schon länger nicht mehr unter uns…. daher auch kein Schild