Das Colnago will Sonne, Feld, Wald und Kilometer. Sollst du haben, sage ich zu ihm, fülle die Ein-Liter Trinkflasche bis zum Rand, packe die Kamera ein und stecke mir noch ein mit Salami und Käse belegtes Brötchen in mein neues Brevet-Trikot. Ärmlinge, Portemonnaie und iPhone schluckt das Teil ohne Zucken. Die Kamera kommt in die Tasche unterm Oberrohr. Das ist zwar wenig stylish, aber sehr zweckmäßig. Der Wind bläst aus Südost und verführt zum Kurs nach Norden. Das Frühstück war ausgiebig, und so rolle ich erst um 10 Uhr vom Hof.
Norden heißt für mich und das Colnago Wandlitz, Zerpenschleuse und weiter über Groß Schönebeck hinein in die Schorfheide. Warum „Heide“, wenn es hier hauptsächlich Wald gibt? Schon Kaiser Wilhelm und der dicke Göring haben sich in dieser Gegend die Hirsche vor die Flinte treiben lassen. In Groß Dölln blitzt das See-Blau durch die Bäume. Ansonsten Wald, Wald – und immer geradeaus. Abwechslung ist anders. In Gollin spuckt uns der Wald nach Norden aus, das Colnago zeigt sich absolut unbeeindruckt von der Kopfsteinpflaster-Ortsdurchfahrt, der Blick schweift frei über die riesigen Felder und Wiesen.
In Ahlimbsmühle zweigt ein wunderbar glatt geteerter Radweg nach Templin ab. Genau hier weiß ich wieder, warum ich so lange Anlauf über die B 109 genommen habe. Man muss sich ab und an ein wenig quälen, um dann wieder das Schöne umso mehr genießen zu können.
Über 12 Kilometer erstreckt sich der Lübbesee bis hin nach Templin. Der Radweg ist vom Allerfeinsten. Natur zum Schauen und zum Hineinsetzen. In Postheim weitet sich der See zu einigen hundert Metern Breite auf. Strand und Strandbar sind gerichtet und warten auf Besucher. Schilfschirme sind hier aufgestellt wie auf Bali.
Fast schon bin ich wieder auf der Strecke nach Templin, da lockt mich dieses Fotomotiv zurück:
Klasse Motiv, sage ich zu dem Basecap-Mann neben dem Anhänger. Darf ich Sie fotografieren? Aber ja doch, kommt die freudige Antwort. „So wat fragt mir selten eener.“ Wir kommen ins Gespräch über das Wetter, die Räder und das Leben. Ein echter Berliner, den es nach Prenzlau verschlagen hat, liegt hier auf einer Stars-and-Stripes-Decke, und am Änhänger flattert die Deutschlandfahne im Wind. Juut so, denke ich mir und freue mich über die unverhofft friedliche Offenheit.
Seeabgewandt lacht uns eine Löwenzahnwiese in sattem Grüngelb an. Dann, ein paar Meter weiter in Postheim, noch ein Farbwunder:
Inmitten einer weniger kunstvoll gestalteten Plattensiedlung überrascht mich aber dann dies: mollige, rundliche Wesen in Stein gehauen. Nur wer ist der Künstler, wie heißt das Werk? Nirgendwo kann ich einen Hinweis finden. Schade.
Vor dem historischen Rathaus herrscht reges Treiben. Eine Hochzeitsgesellschaft hat Aufstellung genommen. Auf dem Weg nach Süden passiere ich das Berliner Tor.
Schon im 13. Jahrhundert wurde die gewaltige Stadtmauer mit drei Toren zum Schutze von „Templyn“ gebaut. Klangvolle Namen wie Hindenburg, Hammelspring und Vogelsang zieren die Dörfer auf der Strecke nach Zehdenick. Wobei „Hindenburg“ keinen Bezug zum alten Reichspräsidenten hat. Der Begriff stammt wohl schlicht von do hinnen – da hinten.
Ein glatter Radweg begleitet die Straße, und so kurbele ich entspannt an den ehemaligen Tonstichen vorbei, die zu malerischen Teichen geworden sind. Mildenberg mit seinem Ziegeleimuseum sei den Radtouristen in dieser Gegend zu einem Besuch empfohlen. In Zehdenick sollte ich endlich meine Trinkflasche auffüllen. Da kommt mir der Hinweis auf das Wasserturm-Café sehr gelegen. Ich biege also ausnahmsweise nicht auf den Radweg am Kanal ab, sondern bleibe auf der Westseite. Nach einem Kilometer stehe ich vor dem hoch aufragenden Wasserturm, trage mein Colnago die kleine Treppe hinauf und sehe: Erstaunliches!
Tische, Stühle, Sonnenschirme und ein einladendes, kleines Café in einem Gewölbe, das wohl früher die Pumpenanlage beherbergt hat. Alles liebevoll restauriert. Ein paar Stufen tiefer steht die freundliche Wirtin und empfiehlt Erbeertorte und Milchkaffee. Herrlich! Wie gut, dass meine Trinkflasche leer war, sonst hätte ich diesen Ort nicht entdeckt.
Nach einem netten Plausch mit der Wirtin und einem Radfan, der mein Colnago bewunderte – das tut dem alten Stahlross immer wieder gut – rolle ich guter Laune über Liebenwalde nach Oranienburg. Als ich das Schloss sichte, fällt mir eine bunte Plastik auf, die bisher dort nicht stand:
Daneben noch mehr Kunst im Park:
und noch mehr:
Im Rahmen des 800-Jahre-Jubiläums hat die Stadt Oranienburg für 2016 einen Kunstwettbewerb ausgelobt. Für mich sind die ausgestellten Werke eine willkommene Beute beim Art-Fahr-Wettbewerbs.
Ria den Breeijen zeigt auf die andere Seite des Kanals, die Schloss-Seite. Dort steht noch mehr! Also fahre ich hinüber:
Unverhofft kommt oft!
Unverhofft – die überaus netten Menschen!
Unverhofft – die kreative Gastlichkeit am Wasserturm in Zehdenick!
Unverhofft – das Kunstprojekt und die „Künstlerin am Werk“!
Unverhofft – 152 Kilometer sind es doch geworden, trotz Foto- und Kunstpausen!
Dann nix wie rauf auf den Turm und den Blick schweifen lassen über Havel, Wälder und Wiesen
Toller Bericht und immer wieder inspirierend. Apropos Wasserturm Zehdenick, auf Anfrage bei der Wirtin ist der Turm auch zu besteigen. Nach einer Einweisung und den ersten Treppen beginnt der abenteuerliche Aufstieg durch den alten Wassertank, eine Ausstellung inclusive. Es lohnt sich!
Schöner Bericht und und noch schönere Fotos ich bin neidisch hätte diese Tour auch gern gemacht.
-Yarkoo-
Du bist also nicht nur auf all den Blogs der Gesprächige, sondern auch auf Deinen Streifzügen durch die Lande! Ob es wohl Extra-Art-Punkte gibt, wenn man den Künstler gleich noch kennenlernt? Andererseits hast Du die ja nicht nötig, wenn ich das Klassement richtig im Kopf habe…
Am schönsten finde ich aber das Colnago vor dem Holzlager. Das hat was!