Sonntagmittag – die Sonne kämpft sich durch Herbstnebel und -wolken. Wie wäre es, einen Ritt in die große Stadt hinein zu wagen und auf Skulpturensuche zu gehen. Das flüstert mir mein Basso nach dem Frühstück zu. Also Trinkflasche gefüllt, Kamera eingepackt, und ab geht es nach Tegel. Im Humboldthafen schwimmt noch ein stählerner Wal herum, der noch abgelichtet gehört. Ist das Kunst?
♣︎ Die Figur stammt von dem amerikanischen Architekten Charles Willard Moore (1925 – 1993). Der Vertreter der Postmoderne gewann den 1980 ausgeschriebenen Wettbewerb der Internationalen Bauausstellung für sein Konzept der Gestaltung einer Freizeit- und Wohnanlage am Tegeler Hafen mit Flachwasserbecken und Neubaugebiet rund um den Hafen. Und seitdem schwimmt er nun im Humboldthafen und dient als Landeplatz für Tauben und Ankerplatz für Enten.
Brot ist schädlich für Tiere und Gewässer, kann ich auf dem Schild vor dem Wal lesen. Da werde ich dem Tier mal nichts zu fressen geben.
Am Landwehrkanal entlang rolle ich in Richtung Westhafen und Beusselbrücke. ♣︎ Hier steht „Multiple Fork“ des Schweizer Bildhauers Schang-Hutter. 1991 wurde diese Stahlskulptur an beiden Enden der Brücke spiegelgleich aufgebaut.
Die Auffahrt zur Brücke ist an diesem Sonntagmittag gesperrt. Notarztwagen, Polizeifahrzeuge, ein Kamerateam, um den „Tatort“ genau zu erfassen. Hier ist wenige Minuten vor meiner Vorbeifahrt eine Radfahrerin von einem zum Westhafen abbiegenden Sattelschlepper überrollt worden. Unter einer Plane kann ich noch das Hinterrad erkennen. Ein Menschenleben wurde hier von einem achtlosen Lkw-Fahrer abrupt beendet. Heute habe ich das im Tagesspiegel lesen können. Und ich rolle da ahnungslos vorbei und lasse mich von der fahlen Herbstsonne wärmen… Trauer und Nachdenken!
Nicht wissend, was da passiert war, fahre ich weiter zum Ernst-Reuter-Platz. Auf der Suche nach der „Flamme“ von Bernhard Heiliger.
♣︎ Diese gewaltige Bronzeplastik hat Bernhard Heiliger 1963 zum Gedenken an Ernst Reuter geschaffen. „Friede kann nur in Freiheit bestehen“, dieses Reuter-Zitat ist in die Steine vor der Bronze eingelassen. Ich mache reichlich Fotos, denn aus jedem Winkel sieht die Flamme anders aus. Faszinierend.
♣︎ Gegenüber, vor dem Hochhaus für Bergbau-und Hüttenwesen, stehen die „Wachsenden Flügel“ von Karl Hartung. Da war wohl noch etwas Bronze übrig. Aufgestellt wurden die Flügel zeitgleich im Jahre 1963. Und mittendrin im Reuter-Rund steht im Wasser ein überdimensionales Mikado aus Edelstahl oder Aluminium.
♣︎ Eine Installation im Rahmen des Projekts, „Berlin leuchtet“ 2016: Der Brunnen und die dortige Wasserfontäne wurden von dem Künstler Dietmar Korth durch farbliche Animationen in ein Lichtkunstwerk verwandelt. Das verwendete Lisamaterial lässt 15 % UV-Licht durchwandern und streut an den Kanten 85 % ab, dadurch wirkt es schon bei wenig natürlicher Lichteinstrahlung wie von innen beleuchtet.
Um die nächste Ecke herum wartet das nächste Kunstwerk:
♣︎ Otto Herbert Hajek: Stadtzeichen (Raumzeichen) (1972-74)
Werke mit den Bezeichnungen Stadtzeichen und Raumzeichen sind in Stuttgart und neuerdings auch in Potsdam zu sehen. Hajek muss ein arbeitswütiger Bildhauer gewesen sein. Bis zu seinem Tode im Jahr 2005 zählt sein Werkverzeichnis hunderte von Schöpfungen auf. Hajek-Findbuch:
Stahl, 4 m hoch; Fasanenstraße 87, vor dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Dienstsitz Berlin
Szenenwechsel! Die beiden Peters sind heute parallel zu mir unterwegs auf einer Runde durch das Havelland. Schon früh sind sie gestartet und haben dem „Café Backwahn“ in Päwesin einen Besuch abgestattet. Jetzt sind sie wieder auf dem Wege nach Werder. Dort wollen sie zünftig anstoßen auf das neue, prächtige Tommasini-Stahlgerät von Peter W. Kann ich mir das entgehen lassen? Nein! Also schaue ich in die DB-App und sehe, dass um 14.17 Uhr ein Regionalzug vom Bahnhof Zoo nach Werder fährt. Das passt! Also nichts wie zum Bahnhof gerollt. Dabei komme ich noch an einer interessanten Plastik vorbei – aus Plastik!
♣︎ „Polyester, schwarz„, 250 x 650 x 350 cm, dreiteilig. 1983 aufgestellt. Standort: vor dem Konzertsaal der Universität der Künste, Fasanenstraße / Ecke Hardenbergstraße, Berlin-Charlottenburg, geschaffen von Hans Nagel. Schönheit entsteht bekanntlich im Auge des Betrachters… Und nutzbringend ist dieses Werk allemal: Als zünftiger Beistelltisch für Prosecco und andere alkoholische Getränke.
In Werder/Havel spuckt mich der Regionalzug aus, und ich orientiere mich in Richtung Wachtelberg. Dem Weinberg in Werder, aus dem trinkbare Weißweine kommen. Und mit Weißwein soll das neue Tommasini von Peter getauft werden.
Vor dem nicht ganz so modernen, aber klassisch angehauchten Kino von Werder –“Scala“– warte ich auf die beiden Peters. Das Basso lehnt sich an die lackierten, leicht ramponierten Betonstufen. Nach zehn Minuten kommen die beiden um die Ecke, und Peter führt uns zum Wachtelberg. Das Tommasini glänzt wunderbar, dem Randonneur Peter glänzen die Augen vor Besitzerglück.
Das blitzende Stahlgerät fühlt sich wohl zwischen den Rebstöcken. Vielleicht hat es das Gefühl, im Piemont zu weilen, wo seine Artgenossen so häufig anzutreffen sind.
Eingerahmt vom alten Basso-Crosser und dem noch jungen Genesis-Edelstahlgerät zeigt es stolz seine Campa-Record-Elektronikschaltung. ( Das Tommasini kann im Finish locker mit einem Jaegher mithalten. Genauso verhält es sich mit dem Kaufpreis für das edle Teil.)
Und der frische Besitzer berauscht sich am Duft der gelben Rosen im Weinberg…
Die Weintiene am Wachtelberg hat schon das Saisonende ausgerufen. Wir können nur den Blick über die Rebhänge genießen, nicht aber den leckeren weißen Wein. Also runter auf die Werder-Insel. Dort kennt Peter ein Restaurant mit Sitzplätzen auf Pontons im Wasser.
Dekoration mit Kerze und Sattel
Peter ordert das Taufgetränk
Anstoßen auf Luigi Marco Francesco … Tommasini – und viele gemeinsame Kilometer.
Und dann fahren wir irgendwann wieder nach Hause. Hinein in die Dunkelheit.
Herbstluft – fallende Blätter – feuchter Waldboden – frisch geschlagenes Holz duftet.
Ein Fliegenpilz reckt keck sein Haupt durch das gefallene Birkenlaub.