214 Kilometer über den Fläming reiten

Das Endurace scharrt schon ungeduldig mit den Hufen. Die Kette ist geölt, der Carbonrahmen glänzt in schwärzestem Schwarz, zwei Brötchen stecken in der kleinen Ortlieb-Satteltasche, die Trinkflaschen sind randvoll. Um 5.45 Uhr rolle ich los zum Startort Amstelhouse. 15 Kilometer zum Warmwerden. Im Osten leuchtet ein phantastisches Morgenrot, kaum ein Auto ist um diese Zeit auf den Berliner Straßen unterwegs. Peinlich genau habe ich alle Teile am Endurace gecheckt, nur meine Radschuhe habe ich offensichtlich vernachlässigt, jedenfalls wackelt der rechte Schuh nach wenigen Kilometern bedenklich auf dem Pedal. An einer Ampel steige ich ab und schaue mir die Sache von unten an: Schöne Bescherung! Eine Schraube fehlt in der Cleatbefestigung. Zur Not muss auch eine  reichen, und die ziehe ich jetzt satt an. Blödes Gefühl. Hoffentlich verliere ich den Cleat nicht unterwegs.

Im Amstelhouse herrscht schon reges Treiben. 90 Randonneure reden kreuz und quer. Alte „Silberrücken“ und auch einige „Rookies“ sind dabei. Die Organisatoren sind bester Laune und geben die Startkarten mit ebenso launigen Kommentaren heraus. Schön, wenn man sich kennt und schätzt in der Szene. Ich begrüße „Andy-Rando“ und erzähle ihm von meinem Cleat-Missgeschick – flugs eilt er zu seinem Rad, klappt einen großen, grünen Koffer auf und greift zielsicher in eine Plastiktüte mit allerlei Schrauben.

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Andy-Rando-Zauberkiste

Volltreffer! Schnell drehe ich die Ersatzschraube in den rechten Schuh ein, festziehen, fertig. Danke, Andy.

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Nach der kleinen Schraubaktion bin ich entspannt – es kann losgehen

Die üblichen Verdächtigen, wie die Bernauer Leisetreter, aber auch der „alte Hans“, den ich frevelhafterweise mit Hänschen, seinem Spitznamen anrede, sind versammelt. „Gerade bin ich 80 geworden, und dann ist man kein Hänschen mehr“, weist er mich wohlmeinend zurecht. Gerald hat sein frisch eingefahrenes Bottecchia-Zeitfahr-Rad mitgebracht. Mal schauen, ob er rechtzeitig zum Mittagessen zurück ist.

In drei Gruppen mit je 30 Fahrern soll das Feld auf die Reise gehen. Diese Aufteilung hat sich bewährt beim morgendlichen Ritt über zig Ampelkreuzungen der großen Stadt.

Mit den beiden Peters, Wolfgang und Andy starte ich in der zweiten Gruppe um 7.10 Uhr. Streckenplaner Ralf führt uns über die ersten Kilometer aus der Stadt hinaus.

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Ralf hat sein neu aufgebautes SOMA-Grand Randonneur, made in USA, mitgebracht

Nach gefühlten 30 Ampelstopps enteilen wir dem Stadtgebiet und rollen uns über Stahnsdorf und Güterfelde warm. Die 30 steht wieder einmal vorn auf dem Tacho. Ich freue mich über die breiten Windschattenrücken der Jung-Randonneure vor mir. So geht es locker voran. Dass der immer fröhliche Kollege aus Neumünster mich dann auch noch anschiebt, geht doch etwas zu weit. Ich trete wieder rein – „geht doch!“, ruft Peter rüber. Um 9.10 Uhr erreichen wir nach 54 Kilometern Kontrollpunkt Nr. 1, die Landfleischerei in Hennickendorf. Wir halten uns nicht lange auf und nehmen das zweite Frühstück in Form einer Salamistulle beim Fahren ein. Wie war das noch: Brevets werden in den Pausen entschieden. Da gönnen wir den Jungen und mittelalten Schnellen den Kaffee und die Mettbrötchen. Irgendwann werden sie uns schon wieder einholen. Mit spürbarem Schiebewind kurbeln wir locker die Kilometer durch. Luckenwalde, Baruth,

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Im Urstromtal gibt es noch einiges aufzubauen

dann schon Golßen, die zweite Kontrolle nach 99,6 km. Es ist erst 10.55 Uhr, der Rückenwind hat uns die gute Zwischenzeit spendiert. Ab jetzt dreht der Kurs auf Nord, der Wind bläst uns schräg ins Gesicht. Auf den nächsten Kilometern, die ich mit Peter alleine unterwegs bin, jammere ich ihm von meinem Kaffee- und Kuchenhunger vor. Friedrichshof, Staakow, Briesen, die Dorfbäcker halten Mittagsschlaf. Erst in Halbe entdecken wir einen Backshop in einem EDEKA-Laden. Die Rettung! Mohn- und Erdbeerkuchen, dazu ein riesiger Milchkaffee. Ideales Randonneur-Doping. Und dazu noch legal. Aus den Augenwinkeln sehen wir einige Gruppen passieren. Es wird Zeit, wieder reinzutreten. Die nächste Kontrolle ist die HEM-Tanke in Teupitz bei Kilometer 128,9.

12.36 Uhr ist es geworden. Die Pause in Halbe tat dem Körper gut, die Speed hat allerdings gelitten. Was soll´s. “ Wir sind ja nicht auf der Flucht“, meint Peter.

Die Sonne hat sich mittlerweile durch die Wolkendecke gearbeitet und spendet uns Wärme und wohlige Gefühle.

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Das leicht zerknitterte Verbotsschild steht herrlich komisch auf der Tankstellenwiese

Töpchin, Wünsdorf, Sperenberg. Sanfte Wellen, aber der Wind bläst fies ins Gesicht. Da ist es schön, wieder einmal in der Gruppe zu fahren. Diesmal können wir uns leicht absetzen. Das Malle-Training trägt Früchte. Und Andy fährt mit seinem Nähmaschinentritt auch noch die meisten Kilometer vorn im Wind.

Auf zur letzten Kontrolle in Trebbin. Mir fällt auf, dass ich nicht so intensiv wie sonst die Natur wahrnehme. Fahre ich vielleicht etwas zu schnell, bin ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt? Vielleicht. Aber ab jetzt sehe ich die Kraniche, die Gänse, die weidenden Schafe, die herrlichen Pferde auf den Wiesen. Es ist schön hier, viel zu schön, um nur auf das Hinterrad des Vordermannes fixiert zu sein.

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Trebbin, Kontrolle Nr. 4 nach 169,5 Kilometern, es ist 14.30 Uhr.  Galaktisch gewinnen werden wir heute sicher nicht, aber riesigen Spaß haben wir. Deshalb ordert Peter gönnerisch ein Weizenbier und teilt es kameradschaftlich auf uns drei auf. P1080054

Wohl bekomm´s. Nach dieser Kohlenhydrat- und Mineralienaufnahme begeben wir uns auf die letzten 45 km. Davon 15 wieder Stop and Go. Ampelverkehr in Berlin. „Det musste eben aushalten“, sagt der Berliner. Um 16.45 Uhr schieben wir unsere Räder hinein ins Amstelhouse. IMG_1378IMG_1380

Die ganz Schnellen sind schon lange vor uns eingetroffen. Gerald hat seinem Bottecchia ordentlich die Sporen gegeben. Durchschnitt: 34,7 km/h. Profiverdächtig!

Wir fühlen uns mittendrin im Feld sehr wohl und genießen die Ankünfte aller, die nach uns eintreffen. Die Lasagne mundet, das Weizenbier schmeckt köstlich, und die Crew vom Amstelhouse ist überaus freundlich – wie immer!

Und Hans rollt auch noch im Zeitlimit ein.Hans im Ziel Chapeau! 80 Jahre und fit wie ein Turnschuh.

Am 22. April starten wir das 300er. Hiermit fängt das Langstreckenfahren erst so richtig an.

 

 

 

Erst in die Bahn, dann auf die Bahn

Der Wind soll heute mit Stärke 4 aus West blasen. Schon beim Weg zum Restaurant geben uns die Böen im Park zwischen den Hotelgebäuden einen kleinen Eindruck von dem, was uns heute erwartet. Beim Frühstück zeigen sich die Randonneure ebenso faul wie findig: Wir wollen zunächst dem Wind bis Sa Pobla die Stirn bieten, dann aber in die Inselbahn nach Palma einsteigen. Ein guter Plan! Denn so können wir vom Ballermann aus mit Seiten- und dann Rückenwind wieder nach Hause ballern. P1070707

Für 4,10 € bringt uns die Bahn mitten in die Inselhauptstadt, Fahrräder fahren kostenfrei mit. Das wäre doch mal eine nette Idee für die Deutsche Bahn. P1070709

Die Palmen werden vom Wind ordentlich durchgerüttelt. Wir rollen zuerst nach Süden an der Strandpromenade entlang – hart am Wind. Dann über die sanft ansteigenden Wellen nach Llucmajor hinüber. Vorbei am eindrucksvoll gestalteten Hilton Hotel in Sa Torre.P1070711

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Hier ein „geklautes Foto“ bei besserem Wetter

Von Sa Torre aus rauschen wir über die leicht hügelige Landschaft bis Llucmajor. Von dort führt uns Ingo über einen herrlichen Nebenweg nach Algaida. Ein paar kleine Höhenmeter sind bis hierher zu überwinden – ideal, denn so bleiben wir warm, kommen aber nicht ins Schwitzen. Im urigen Café D Es Poble  bekommen wir köstliche Olivenbrote mit Schinken –  Pa amb Oli, serviert. Die Rentner des Dorfes sind wahrscheinlich hier komplett versammelt, um Karten zu spielen, was das Zeug hält.

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Gestärkt und wohlig entspannt steigen wir wieder auf die Räder. Sineu ist der nächste Stopp. Peter hat mir schon bei der Anfahrt von der Radrennbahn erzählt, und so biegen wir am westlichen Ortsrand ab zum Velodromo del Tirador.“Die Piste mit den Steilwandkurven wurde 1903 eingeweiht, es war die Erste ihrer Art in ganz Spanien – ein Hinweis auf die große Bedeutung des Radrennsports in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts auf Mallorca. Das dazugehörige Vereinsheim von „Veloz Sport Balear“ stammt von 1918 und ist ein Werk des bekannten Architekten Gaspar Bennàssar, der unter anderem auch die Stierkampfarena gebaut hat.“  So ist es im Mallorca-Magazin von 2015 zu lesen. Erst im Jahre 2016 wurde die verfallene Betonbahn komplett restauriert und jedermann wieder zugänglich gemacht.

Also: rauf auf die Bahn, Randonneure!P107071420170227_154650P1070722

Nach ein paar Testrunden auf der 333 Meter langen Bahn begeben wir uns wieder auf das echte Randonneursterrain – die Straße. Immer mit der 3, manchmal auch mit der 4 vorn auf dem Tacho fliegen wir nach Hause. P1070724

Die Silhouette von Muro lassen wir hinter uns, dann taucht schon Can Picafort auf. Das Abendessen wartet.