Auf Fontanes Spuren nach Neuruppin

Ein Traumwetter, und das im Januar. Keine Wolke verunziert den makellos blauen Himmel, ein zaghaftes Lüftchen weht aus Südwest. Dazu passend entscheiden wir uns für einen gemütlichen Ausritt in das Havelland. In Phöben biegen wir ein auf den Havelradweg und genießen den Blick über die Wiesen und Kanäle. Graugänse schnattern und wandern futtersuchend umher, ein großer Bussard quert den Radweg.

In Ketzin setzen wir mit der Fähre über auf das rechte Havelufer. IMG_2058

Ein geschnitzter Kranich grüßt stellvertretend für seine Artgenossen, die noch auf Wanderschaft sind. In der Ortschaft Roskow weckt das schlossartige Gebäude an der Durchfahrt unsere Neugier. Heute wollen wir es genauer wissen und machen einen Info-Stopp. Gegenüber vom Hauptportal steht einen Steinwurf entfernt ein schmuckloses, aber modernes Schulgebäude. IMG_2063

Im Gegensatz zum renovierten Portal befindet sich die Parkseite noch im Rohzustand. Bei der Recherche finde ich heraus, dass Schloss Roskow zwischen 1723 und 1727 für Christoph III. von Katte errichtet wurde. Sein Verwandter Hans Hermann von Katte, erlangte traurige Berühmtheit, als er 1730 auf Geheiß von Friedrich Wilhelm I. in der Festung Küstrin enthauptet wurde, weil herauskam, dass er seinem Freund Friedrich, dem nachherigen Friedrich dem Großen, bei der geplanten Flucht nach Frankreich helfen wollte. Der Hinrichtung von Katte durfte er dann als „erzieherische Maßnahme“ bei der Hinrichtung auch noch zuschauen. Christoph III. von Katte wird es zu jener Zeit besser ergangen sein, als er sich auf seinem neuen Schloss des Lebens erfreute.

Heute ist das Gutshaus im Besitz eines Verwandten der Familie von Katte, der das Anwesen im Jahr 2010 von der Gemeinde kaufte und schrittweise renovierte. Kultur und Kunst sollen hier zukünftig zu Hause sein.

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Im ehemaligen Gutsverwalterhaus residieren Gemeindeverwaltung, ein Arzt und ein Friseursalon. Die Hinweisschilder sind leicht ausbesserungsbedürftig.

Nach dem ersten Kulturausflug des Tages setzen wir uns wieder auf die Räder und fahren bis zum Café Backwahn in Päwesin, unserer Lieblingsadresse in dieser Region. Riesenkuchen, Riesenkaffee, beste Qualität.

Fast hätten wir im wohlig warmen Wintergartenanbau vom Backwahn die Zeit vergessen. Die Sonne steht schon erkennbar tiefer, als wir uns endlich losreißen.IMG_2066

Gerade einmal 113 Jahre jung ist die wunderschön restaurierte Jugendstilkirche des Nachbarortes Bagow. Genau hier biegen wir ab nach Norden in Richtung Klein-Behnitz und rumpeln über das historische Klinkerpflaster der Dorfstraße, wo die Klinker senkrecht im Fischgrätenmuster eingesetzt sind. p1070366Angeblich, weil dadurch wesentlich mehr Ziegel zum Vorteil der das Material liefernden Ziegeleien benötigt wurde. Höchst erstaunlich ist der gute Zustand  der über 100 Jahre alten Straße.

Ab Groß Behnitz wird der Weg dann hochkomfortabel. Der Europäische Landwitschaftsfonds lässt grüßen. fullsizeoutput_5359

Die vier Kilometer vom ehemaligen Gut der Familie Borsig bis zum Schloss Ribbeck sind der reine Genuss. Waldbaden vom Feinsten sozusagen. In Ribbeck begrüßt uns die Gaststätte Fontane. Aber wie!

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Die ehemals florierende Stätte gammelt vor sich hin, Wohnwagen, Verkaufsstände, die nicht mehr betrieben werden, und an der Seitenwand das abblätternde Gedicht vom Ribbeck auf Ribbeck im Havelland. Schön-schlimmer hätte das kaum ein Regisseur in den historischen Ort platzieren können. Ein paar Meter weiter strahlt uns Schloss Ribbeck versöhnlich an. Wunderbar restauriert lacht es mit der Sonne um die Wette.IMG_2075

Die Gegensätze in Ribbeck könnten nicht größer sein.

Auf dem Weg nach Norden streifen wir das für uns unvermeidliche Paulinenaue nur am Ostrand, blicken zum Bahnhof hinüber und kurbeln fleißig weiter auf dem wunderbaren Radweg der Stillen Pauline. fullsizeoutput_5358IMG_2089

Lange Schatten werfen wir nach Nordosten in Richtung Fehrbellin und Neuruppin. Wahres Genussradeln ist das heute, bei sanftem Rückenwind und knapp zweistelligen Temperaturen. IMG_2095

Die Radwegerbauer haben am Rande die ehemaligen Bahnschwellen der Pauline senkrecht aufgestellt. Neuruppin erreichen wir bei niedrig stehender Sonne. Fontane grüßt uns und wir ihn. IMG_2105

An die Kulturkirche wird Fontane projiziert, und auch wir versuchen uns an Schattenspielen.fullsizeoutput_5353IMG_2118fullsizeoutput_5357

Im Restaurant Rosengarten, direkt neben dem Gymnasium, in dem der Dichterfürst gute Teile seiner Grundbildung aufgesaugt hat, genießen wir einen leckeren Riesling und rollen danach entspannt zum Bahnhof Rheinsberger Tor.

Genuss für Körper und Seele, so kann Radfahren sein im Winter.

Von Plattfüßen, Turnerinnen und E-Bikes

Eigentlich schreibe ich nicht über jede kurze Ausfahrt einen Beitrag. Eigentlich. Heute mache ich eine Ausnahme: Es ist Dienstagmorgen, 10 Uhr. Die Sonne hat sich ohne Gruß verabschiedet, niedrige Wolken ziehen aus Westen heran. Nach Osten wollen wir in Richtung Oder fahren. Bei knapp über null Grad und 100 % Luftfeuchte ein zähes Unterfangen. In Schönwalde werden aus Nieseltropfen Regentropfen. Die Contis schaufeln fleißig  Wasser und Schmodder vom Radweg hoch an Rahmen und Füße. Peter knurrt die zur miesen Stimmung passenden Worte zu mir herüber.

In Bernau wollen wir eine Kaffeepause machen und dann entscheiden, ob wir weiterfahren. Also dringen wir durch das alte Stadttor vor in die Altstadt. Zur Linken lockt das Krügerhaus mit dem Café Mühle.

Drinnen ist es herrlich warm und gastlich. Eine überaus freundliche junge Dame begrüßt uns und kredenzt Kirschkuchen und dazu einen großen Milchkaffee. Die Einrichtung ist ideenreich gestaltet: alte Möbel, kesse Sprüche an der Wand und in der Karte. Originell! IMG_2002

Und selbst das stille Örtchen ist ein Hort der Kultur:IMG_2001

Wasser lassen und dabei einen Blick in die Weltliteratur werfen.

Das Café Mühle in Bernau ist eine erste Adresse für hungrige Radler, denn der Gastraum und die Speisenauswahl sind noch besser als die Ausstattung der Toilette.

Eine Stunde später hat es aufgehört zu regnen, und wir beschließen, doch noch ein paar Kilometer unter die Räder zu nehmen. Also los, wieder zurück durch das Tor und weiter an der Bernauer Stadtmauer entlang. Wir kommen nicht weit, denn mit einem vernehmlichen Pfffff lässt Peters Hinterreifen all seine Luft ab. IMG_2011

Ein Drecksgeschäft ist das Wechseln des Schlauches, und die Finger werden kalt und kälter. Ich wärme meine Sinne zwischendurch an und mit einer nackigen Turnerin aus Bronze, die passend vor der Sporthalle steht.

 

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Turnerin am Schwebebalken (Herbert Burschik, 1963)

Nach 15 Minuten Flickpause steigen wir wieder auf und biegen ab nach Norden. Biesenthal winkt als nächster Ort. Nach wenigen Metern beschwert sich Peter über sein mit Höhenschlag rumpelndes Hinterrad. Offensichtlich hat sich der Mantel nicht richtig ins Felgenbett gesetzt. Weiterfahren! Erstmal wieder warm werden, dann werden wir uns um den Reifen kümmern. Beim Räsonieren über Reifen, Felgen, die richtige Montage und den notwendigen Luftdruck kommt mir in den Sinn, dass in Biesenthal die E-Bike-Schmiede HNF-Nicolai ihren Stammsitz mit Showroom hat. So habe ich es kürzlich gelesen. Dort sollte doch neben fetten E-Mtbs auch eine Standpumpe zu finden sein. In der Bahnhofstraße entdecken wir dann den soeben neu bezogenen Laden von HNF. Wir entern die Eingangstreppe und werden freundlich begrüßt. IMG_2022

Am gerade bezogenen Gebäude ist von außen noch nicht erkennbar, wer drinnen sein Wesen treibt. IMG_2012IMG_2014IMG_2018IMG_2019IMG_2020

Marcel, der „Shopmanager“ versorgt uns mit allem, was wir brauchen: Luft für den Reifen, Wasser und Seife und Tücher für die dreckigen Hände und dann noch reichlich Infos zu den innovativen Produkten von HNF-Nicolai. Absolut beeindruckend, wie mutig das Unternehmen expandiert. In Bitterfeld wird produziert, und in der alten Wehrmühle in Biesenthal wird konstruiert und geplant. Im Showroom können wir die neuesten Bikes bewundern. Marcel schwärmt vom Geländefully mit Bosch-Power, mit dem er jüngst „Luftlinie“ durch den Forst bis Eberswalde gebrummt ist. So klingt Begeisterung.

Der Weg bis zu den aktuellen Produkten führte über einige Umwege. Schon das smart-E-Bike wurde von  Michael Hecken und Kalle Nicolai gebaut. Und genau so eines fährt meine Angetraute seit dem Jahr 2013 zur besten Zufriedenheit. Qualität UND Innovation eben.

Wir reißen uns los und kurbeln über die Nebenstraßen gen Eberswalde. Auf direktem Wege steuern wir den Bahnhof an – der nächste Zug nach Berlin fährt um 15.09 Uhr. IMG_2023So haben wir keine Zeit mehr für die legendären Spritzkuchen, die Bäcker Gustav Louis Zietemann schon 1832 am Bahnsteig feilbot. Auch haben wir den Verdacht, dass er heute seine Köstlichkeiten hier nicht mehr auf dem Blech herumträgt.

Ab nach Berlin. IMG_2025

Der Zug fährt pünktlich, ist gut geheizt und dazu mit freundlichen Menschen besetzt. Da freut sich auch mein bekleckerter Mavic-Crossmax, der meine Füße so trefflich trocken und warm gehalten hat. In Berlin gibt es am Hackeschen Markt Pizza und Rotwein für die alten Randonneure. So geht der Tag zu Ende. Schön war es wieder.

 

 

Festive 500

Ja, ich will es! Noch einmal, aber dieses Jahr in kleinen Schritten. Nicht „in one go“, wie Gerald und die Unerschrockenen es wieder einmal getan haben. Von Flensburg bis Skagen sind sie gefahren. Grrr… bei Kälte bis minus 6 Grad. Dafür bekommen sie meinen höchsten Respekt. Neidisch bin ich nicht. Denn solche Brutalvorhaben gehören in meinem siebten Lebensjahrzehnt nicht mehr in mein Portfolio. Ein klein wenig Wehmut spielt allerdings mit. Weg damit!

Kleine Runden machen auch Freude und wirken förderlich auf die körperliche und mentale Verfassung. Also los! IMG_1906

Nördlich von Wandlitz werfe ich einen langen Schatten auf den noch längeren Radweg. Der Himmel leuchtet blau, die Temperatur knapp über null Grad. Locker kurbeln, warm bleiben, dann macht es Freude. IMG_1908

Immer, wenn ich in Zerpenschleuse nach Westen abbiege, am alten Trödel entlang nach Liebenwalde, zieht der verfallende, ehemalige Gasthof meine Blicke auf sich. Wieder ein Foto, wieder hat sich nichts verändert. IMG_191185 Kilometer am heiligen Abend. Es wird Zeit, dass ich nach Hause komme. Sonst gibt es keine Bescherung.

Am ersten und zweiten Feiertag rolle ich noch 120 Kilometer ab, davon zwei Stunden im kalten Regen und bei Gegenwind. Danach sind zwei Gläser Glühwein fällig.

Peter begleitet mich am 27.12. von Potsdam nach Jüterbog mit einer Zusatzrunde auf dem Fläming-Skate. Knackig kalt, aber die Sonne scheint. Danach rein zum Italiener am Bahnhof Wannsee. IMG_1939

Frau Holle schüttelt eifrig, es bleibt aber nichts liegen auf dem grünen Gras.

28.12. Heute treibt mich der Wind nach Südosten. Erst nach Bernau, dann nach Altlandsberg und wieder zurück nach Berlin und durch Berlin. Nochmal 103 Kilometer. IMG_1946

Heute will ich Schlamm und Gravel. Man gönnt sich ja sonst nichts. Die Contis halten den spitzen Steinchen stand, und nach 4 Kilometern hat der glatte Asphalt mich wieder.

Bleiben noch 90 km bis zu den anvisierten 500 km. IMG_1902

29.1. Schlussrunde durch Hobrechtsfelde. James hat geschlossen heute. IMG_1955Einmal noch rauf nach Biesental und durch den Wald zurück nach Bernau. IMG_1974

Das war die Festive 500 mit mageren, aber ausreichenden 502 Kilometern. Mein Jahresabschluss. „randonneurdidier“ ist heil und gesund geblieben im Jahr 2019, die Räder auch. Gewisse Überlegungen, ein n+1 betreffend, treiben mich um.

Auch 2020 will ich mit vielen erlebnisreichen Touren füllen, mit Kilometern, mit netten Menschen, mit Kultur.

Allen, die meinem Blog folgen, und auch denen, die ihn nicht lesen, denen, die mich mögen, und auch denen, die mich nicht mögen, wünsche ich ein friedvolles und erlebnisreiches 2020. Ganz im Sinne von Albert Camus, der es so wunderbar formuliert hat, was ich mir wünsche.

My dear
In the midst of strife, I found there was, within me, an invincible love.
In the midst of tears, I found there was, within me, an invincible smile.
In the midst of chaos, I found there was within me, an invincible calm.
In the depth of winter, I finally learned that within me, there lay, an invincible summer. And, that makes me happy.
For it says, that no matter how hard the world pushes against me, within me, there’s something stronger…
~ Albert Camus