Zur Pyramide in den Wald und dann schnell in die Schweiz

Wo habe ich eigentlich die erste Pyramide gesehen, frage ich mich. Als Milchverpackung zu Volksschulzeiten in den 50ern. Oben wurde der Strohhalm reingedrückt. 2a73d683bc1b2a9c93be5b0ac335fe5f

Vier gleich große Dreiecke hat der Tetraeder als Wände. In speziellen, verzinkten Stahlkörben lieferte in den 50er und 60er Jahren die Molkerei die Getränke in die Schule. In derselben Schule lernte ich, dass die Pyramiden von Gizeh viel größer und vor allem viel älter sind als die Getränketüten. Schon 2600 Jahre vor Christi Geburt, also vor mehr als 4600 Jahren errichteten viele fleißige Ägypter für ihren Pharao Cheops ein über 146 Meter hohes Grabmal, mit quadratischem Grundriss und einer Kantenlänge von 230 Metern. tourismus-an-den-touristenattraktionen-in-aegypten-wie-der-cheops-pyramide-ist-kaum-etwas-los-die-zahl-der-besucher-ist-zwar-gestiegen-liegt-aber-noch-unter-der-des-rekordjahres-2010Bis heute ist diese Pyramide die höchste, die je gebaut wurde. Pyramiden hatten auch in deutschen Landen um das Jahr 1800 Hochkonjunktur, weil Fürsten und andere Edelleute sich gerne ein so geformtes Gebäude als Totentempel zu Lebzeiten errichten ließen. Freilich waren das etwas kleinere Exemplare als die Riesen der Ägypter.

Warum schreibe ich heute so viel Text über Pyramiden? Genau: Weil ich bei meiner letzten Ausfahrt ein wunderbares Beispiel für solch ein Mausoleum mitten im Wald entdeckt habe. Wo: ganz nah beim Örtchen Garzau in Märkisch Oderland. Dort nämlich kaufte Graf Friedrich Wilhelm Carl von Schmettau im Jahre 1779 das Gut Garzau und legte nördlich davon einen weitläufigen Landschaftspark an, mit einem schlossähnlichen Bau und einer schmucken Pyramide am Nordrand des Parks, gebaut auf einem kleinen Hügel, garniert mit einem Sonnenhang, den er mit Rebstöcken bepflanzen ließ. Nicht nur als künftige Grabstätte, sondern auch für seine geodätischen Vermessungen hat die Pyramide vermutlich dem Grafen als Messpunkt  gedient. Schmettau und schon sein Vater waren begeisterte und treffliche Kartografen, die auf eigene Initiative die preußischen Lande östlich der Weser erstmals detailliert und geografisch genau in einem Kartenwerk erfassten.

Kartenwerk

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In Garzau fängt ein Wegweiser mit der Jakobswegmuschel und dem Schriftzug “Pyramide“ meine Aufmerksamkeit. Ich biege kurz entschlossen nach links ein und folge den Wegweisern über Pflaster, Schotter und Sand in den Laubwald hinein. Fünf Minuten später stehe ich staunend vor dem kleinen Rebhang und der auf dem Hügel thronenden Pyramide.

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Kein Mensch ist zu sehen, es herrscht die totale Ruhe. Unten, am Fuße des Pyramidenberges, stehen wachsam drei alte, mächtige Eichen im Halbrund.

Ich nehme einen großen Schluck aus der Trinkflasche und kaue genüsslich einen Schokoriegel, bevor ich mein Granfondo hangaufwärts schiebe.

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Das griechisch anmutende Portal aus Sandstein passt nicht so recht zum übrigen Baukörper. Hier wurde ägyptisch-griechisch historisiert. Wie so oft zum Ende des 18. Jahrhunderts in Preußen. Pyramiden finden sich auch in Bad Muskau, im Park Sanssouci, … und in der modernen Zeit sind sie als Glaskonstruktionen  en vogue. Vor dem Louvre zum Beispiel.

Die Schmettausche Pyramide aber ist die einzige und somit auch die größte, die aus Feldsteinen der Mark gebaut wurde. Das ursprüngliche Portal findet sich seit 1815 an der Südseite der Strausberger Marienkirche, wohin es der Landinspektor Haberkorn versetzen ließ. Eine seltsame Reise hat das Eingangsbauwerk hinter sich, seit der Graf Schmettau im Jahr 1804 Garzau verkaufte und sich mit dem Kauf des Schlosses Köpenick wieder neuen Projekten widmete. Der Graf Schmettau muss ein vermögender Mensch   gewesen sein – und ein eifriger Feldherr. Als Generalmajor in der Schlacht von Auerstädt schwer verwundet, schied er in Weimar, im  Hause der Charlotte von Stein, am 18. Oktober dahin, wie ich bei Fontane lesen konnte.

Mein Granfondo lehnt an der Feldsteinmauer vorm Portal, während ich Verbotenes tue. Ich klettere, den aufgemalten Warnschildern zum Trotze die Stufen und Rampen hinauf bis auf die schwindelnde Höhe von 14 Metern.

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Dann stehe ich im Gipfelpavillon, von dem aus der Graf den Blick auf seinen Park und sein Schloss genießen konnte. Ich sehe nur auf den dichten Laubwald, der sich im Laufe der Zeit des freien Feldes bemächtigt hat. Schön grün, schön ruhig. Hier könnte ich gerne länger verweilen, wenn nicht schon der Nachmittag fortgeschritten wäre. Also klettere ich wieder vorsichtig hinunter und rolle wieder auf die Landstraße zurück, die ursprünglich eine Heerstraße war und neuerdings den Verlauf des Europa-Radweges Nr. 1 markiert. Genau der führt mich hinüber nach Garzin, an Bergschäferei vorbei –  hier gibt es einen Hofladen mit allerlei Köstlichkeiten –, nach Waldsieversdorf.

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Der Radweg ist bestens ausgebaut und knickt nach Norden in die Märkische Schweiz ab, nach Buckow, wo es schon Bert Brecht und Helene Weigel so schön fanden, dass sie ein Wochenendhaus an den See bauten. Wie es sich für eine Schweiz gehört, gibt es hier reichlich Berge. Luisenberg, Judendicktenberg, alle um die 70 schwindelnde Meter hoch über Meeresniveau. Die Luft ist gut hier. Und würzig.

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Gerade bin ich am Hotel Bergschlösschen vorbeigekommen.

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Und dies ist in Fontanes „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ über Buckow zu lesen:

„Ja, Buckow ist schön, aber doch mit Einschränkung. Es hängt alles davon ab, ob wir Buckow die Gegend oder Buckow die Stadt meinen; – allen Respekt vor jener, aber Vorsorge gegen diese. Seine Häuser kleben wie Nester an Abhängen und Hügelkanten und sein Straßenpflaster, um das schlimmste vorwegzunehmen, ist lebensgefährlich. Es weckt mit seiner hals- und wagenbrechenden Passage die Vorstellung, als wohnten nur Schmiede und Chirurgen in der Stadt, die schließlich auch leben wollen.“

Zugegeben: Ganz so schlecht sind die Straßen heute nicht mehr, aber die verbliebenen Pflasterpassagen haben durchaus noch Fontane-Qualitäten.

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Rampe in Buckow
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Es war einmal – eine Drogerie
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Es war einmal – ein Café
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Es war einmal – ein Bahnhof

Der R1 führt durch herrlichen Buchenwald hinüber nach Münchehofe und dann heran an die Ostbahn und Obersdorf.

Laut Fahrplan kommt hier der nächste Zug nach Berlin erst um 18.44 Uhr an. Eineinhalb Stunden warten und keine gastliche Stätte in Sicht.

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Ein „Gasthaus“ Oha!

So fahre ich noch eine Runde über Neuhardenberg und dann über Hermersdorf zurück zur Bahn.

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Kunst im Bau

Die zwei Kilometer märkisches Brutalpflaster ohne Seitenstreifen von Wulkow hin nach Hermersdorf kann ich nur Masochisten oder Mountainbikern empfehlen.

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Halt in Obersdorf

Und das Resümee des Tages lautet: Pyramide entdeckt, Wälder genossen, die Schweiz durchkurvt, dem Durst und dem Hunger nur knapp entkommen.

Schön war’s!

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