Es ist Donnerstag, und es wird Zeit, von Süd auf Ostkurs umzuschwenken. Von Freyburg hinüber nach Leipzig und dann hin zur Elbe und zum Spreewald. Das ist der Plan für den Tag. Meine Wetter-App verspricht acht Stunden Sonnenschein und frischen Wind aus Südwest. Da lacht mich der Spreewald schon aus 190 Kilometer Entfernung an. Mein Granfondo hat genau wie ich sehr gut geschlummert, und die Motivation für eine wieder etwas längere Etappe ist groß. Beschwingt lasse ich es rollen, mit 30 bis 40 km/h fliegt das Titangerät gen Osten. Erst durch die Größter Berge, dann durch die „Bergbaufolgelandschaft“ mit den künstlichen Seen und der Geiselbachtalsperre. Braunsbedra hört sich schon sehr nach Braunkohle an, die hier bis 1993 gefördert wurde. Sieben Prozent der Weltfördermenge kamen einst aus dieser Region. Heute erinnern die Wasserflächen, die Kornfelder und die jungen neuangelegten Wälder nur noch den an die Bergbauzeit, der sich kundig gemacht hat. Der Radweg führt zwar nahe an den Seeufern entlang, die jungen Bäume und Sträucher verhindern aber die Sicht auf die Seen. Stattdessen muss ich aufpassen, die vielen Wurzelaufbrüche entweder zu Umkurven oder ganz langsam darüberzurumpeln. Irgendwann wird es mir zuviel und ich wechsle vom Radweg auf die glatte Landstraße.
Die Wurzeln sind stärker Kraftwerksblöcke und Kühltürme
Heute quere ich die Saale wieder bei Merseburg, nur dieses Mal komme ich aus Südwesten an den Ort heran.
St. Sixti
Fast 1000 Jahre steht schon die ehemalige Kirche St. Sixti auf einem kleinen Hügel. Sie wurde nie zu Ende gebaut und schon vor ca. 500 Jahren als Kirche aufgegeben. Die Reformation sorgte dafür, dass sie keine Bedeutung mehr hatte. Im 19. Jhd. wurde der Kirchturm gar zum Wasserspeicher umgebaut. Eine wahrlich seltsam anmutende Historie eines Kirchenbauwerks. Bei meiner zweiten Merseburg Durchfahrt bleibe ich auf der Hauptstraße, werfe noch einen Blick hinüber zum Schloss und zum Dom, dann rolle ich nach Osten an das Flüsschen Luppe, das mich nach Leipzig führt. In Dölkau staune ich über das alte und heruntergekommene Gutshaus, das zum herausgeputzten Schloss Dölkau gehört, aber seltsamerweise von der Restaurierung oder nur vom Erhalt gänzlich ausgenommen wurde. Morbider Charme.
Gut Dölkau Rittergut Kleinliebenau
Noch mehr wundere ich mich, als ich herausfinde, dass der triste Bau mit der herumflatternden Gardinenresten das ehemalige Rittergut Kleinliebenau sein soll. Fast am Stadtrand von Leipzig kommen sich die Luppe und die weiße Elster ganz nahe. Die Elster darf weiter mäandern, die Luppe wird hier zum Kanal, der von einem neuen asphaltierten Weg begleitet wird. „Befahren und Reiten verboten“ lese ich. Soll ich denn schieben hier? Ich lasse mich von dem leicht missverständlichen Schild nicht abhalten, weiterzufahren. Und tatsächlich steht ein paar Kilometer weiter ein Radweghinweiser.
Radweg oder Nicht-Radweg, das ist die Frage
Ich quere Leipzigs Zentrum, bewundere das Stadion der Roten Bullen und die Renaissance Bauten, und schon bin ich wieder auf dem Lande. In Bennewitz an der Mulde entdecke ich das Sportlerheim, von dem aus ich zu meinem ersten 200er Brevet im Jahre 2009 gestartet war. Lang, lang ist’s her. Vor mir auf Kurs ist Wurzen schon weit vor Erreichen der Stadtgrenzen an den beiden monumentalen Türmen der ehemaligen Getreidemühle zu erkennen. Aus der Nähe betrachtet sehen sie nicht mehr attraktiv aus, ich mache lieber ein Foto vom Wegweiser aus 1774 am Marktplatz.

Es ist gerade mal halb zwei und mein anvisierter Zielort Lübben scheint noch gut erreichbar. Aber dann kommt es anders. Auf einer herrlich grünen Wiese stolzieren zwei Störche ganz nah am Wegesrand. Die musst Du fotografieren, sage ich mir und will nur noch wenden, um in eine bessere Position zu kommen. Dabei mache ich den fatalen Fehler, nicht vorher auszuklicken. „Rumms, da fiel der Reiter um“. Klassischer Anfängerfehler, der mir ein verstauchtes linkes Handgelenk einbringt. Auf jedem weiteren Kilometer werden die Schmerzen deutlicher. Das Gelenk schwillt an, ist aber noch gut beweglich. Fazit: Bis Torgau sollte ich es noch schaffen, aber dann will ich in die Bahn steigen. Gedacht, getan. Ich besorge mir in Torgau noch eine Tube Voltaren und eine Packung Ibuprofen, dann rolle ich zum Bahnhof und sitze um 17 Uhr im fast leeren Regio nach Berlin. Ende einer schönen Reise.
P.S.: Heute, vier Tage später, haben sich die Schmerzen verflüchtigt, die Schwellung ist verschwunden. Bald kann es wieder losgehen. Am besten nach Torgau, in den Spreewald und zurück, dann wäre die Etappentour komplett.