Die Kastanien blühen, die gefingerten Blätter spreizen sich in voller Größe. Ganze vier Kilometer lang ist die prächtige Kastanienallee am Weg zwischen Tornow und dem Barsdorfer Haussee. Wunderbar als Radweg ausgebaut ist die schmale Verbindungsstraße, die hinter Barsdorf nach Qualzow hin in einen feinsandigen Weg übergeht. Rapsfelder zu beiden Seiten säumen das satte Blattgrün mit sattem Blütengelb.
In Barsdorf wird der ehemalige Dorfgasthof restauriert. Ich fürchte, eine Gaststätte, wie sie bis mindestens 2016 hier betrieben wurde, wird dann nicht mehr Treffpunkt der Barsdorfer sein. Der laubenartige Vorbau des Hauses mit den gotischen Spitzbögen passt so gar nicht zum übrigen Gebäude. Was alt aussieht, ist nicht immer wirklich alt.
Gaststätte zur alten Schmiede, geschrieben in einer seltsamen Schrift, die an die Altdeutsche erinnert, allerdings mit einem wundersamen „e“, das aussieht wie ein „n“ .
Um die Mittagszeit wirkt Barsdorf verlassen, keine Menschenstimmen, nur Vogelgesang ist zu hören. Am Ortsausgang endet die geteerte Straße und wird zum Feldweg. Beim Haussee sinken meine 25 mm Contis in den trockenen Feinsand ein. Ich steige ab und lege eine kleine Wanderpassage ein. So kann ich den Wald und die Felder intensiv genießen.
QUALzow, ein bezeichnender Name und Synonym für die kleine Qual, die der Randonneur im Sand erfährt. Vorbei am Stolpsee und Bredereiche führt die hügelige Rumpelstraße nach Fürstenberg. Schön die Landschaft, aber arg durchgerüttelt wird man. Ab Fürstenberg hin nach Neuglobsow werde ich durch den herrlichen Radweg entschädigt. Keine Autos, viel Wald und Wasser, viele kleine fiese Wellen, die Körnchen kosten und Kondition bringen. Am Stechlin rolle ich an den Strand und gönne mir am Imbiss ein Stück Schokoladenkuchen und einen großen Kaffee. Die angebotene „Pizza-Meterware“ verschmähe ich. Der Stechlin ist immer schön, und heute zeigt er wieder, was in ihm steckt. Die alten Buchen am Uferrand zaubern eine ganz besondere Stimmung.
Der StechlinStechlin-Uferweg
Bis zur Wetterstation folge ich dem Uferweg, dann kurbele ich zurück in Richtung Menz und setze Kurs nach Südosten. In Zernikow kurve ich kurz ein auf den Hof vom Gut Zernikow, das schon Fontane begeisterte.
Achim von ArnimGut Zernikow
„In Vorbereitung – eine Ausstellung über Achim von Arnim und sein Meteorologieprojekt“. Die Hinweistafel macht mich neugierig. Dieser Ort und die Gebäude haben eine besondere Geschichte, um die ich mich demnächst noch intensiver kümmern sollte. Von Zernikow führt einer der schönsten Radwege Brandenburgs zum kleinen und großen Wentowsee. Allein dieses Stück Natur ist ein besonderer Schatz.
Zugegeben: nicht alles ist hier restauriert. Solvente, tatkräftige Investoren können hier noch interessante Objekte finden. Bei Ribbeck, nicht zu verwechseln mit dem Ribbeck vom Ribbeck auf Havelland, schwinge ich mich wieder auf den Radweg, auf dem ich am Morgen in den Norden gekommen war, und mache Kilometer in Richtung Berlin. Am Voßkanal entlang, nach Liebenwalde und Bernöwe, wo ich einen Stopp beim dem mir seit letztem Jahr bekannten Trabi-Imbiss einlege. Aus einem Bier werden zwei, aus 15 Minuten wird eine halbe Stunde mit anregenden Gesprächen. Die „Eingeborenen“ zeigen sich freundlich, weltoffen und naturverbunden.
Heute hat mein Garmin 182 gehaltvolle Kilometer gezählt, die ich nicht missen möchte.
Zu einem echten Brevet sind wir immer um 7 Uhr gestartet. Das bedeutete für mich, vor der Haustür losfahren um spätestens viertel vor sechs, um dann rechtzeitig am Startort Amstelhouse in Moabit zu sein und dann in 30er-Gruppen auf Strecke zu gehen. Ich gebe zu, ein wenig fehlt mir doch die Gemeinschaft der Brevetkolleginnen und -kollegen. Aber ich habe beschlossen, vom Randonneur zum „Kulturrandonneur“ zu mutieren. Weniger Körpereinsatz, mehr Zeit und Augen für Land und Leute haben. Nicht die Kräfte bis zum Rand des Unvernünftigen fordern. Nicht mehr.
Aber so ein 200er wäre doch nicht übel, mal testen, ob es noch geht. So sattle ich mein leichtestes Pferd, das bewährte Canyon Endurace, stecke zwei Ersatzschläuche, zwei Co2-Patronen und das Topeak-Tool ein. Von einer Reifenpanne lasse ich mich nur ungern bremsen. Zwei Trinkflaschen mit Isogetränk und zwei Eiweißriegel vom Seitenbacher sollen die notwendige Energie spenden. Wenn das nicht reichen sollte, gibt es immer noch den Bäcker oder die Tanke. Einen festen Track habe ich nicht vorbereitet. Ich will mich einfach von meiner Nase und meinen Erfahrungen leiten lassen. Und notfalls vom Garmin Vista, für das ich noch zwei Ersatzakkus einstecke. Für mein iPhone habe ich ein Ladekabel und eine kleine Powerbank dabei. Hinten klemmt der Lezyne-Powerstrip, vorne soll im Fall des Dunkelfalles meine Sigma Sport den Weg beleuchten. Wenn ich nicht zu lange Pausen einlege, dann sollte ich aber gegen fünf wieder zu Hause sein.
Kurz nach acht rolle ich los, die Sonne lacht, es ist schon 12 Grad warm. Das lasse ich mir gerne gefallen. Die Regenjacke bleibt heute im Schrank. Los geht’s. Nach knapp eineinhalb Stunden bin ich in Zerpenschleuse am Kanal und biege nach Nordosten ab. Der Werbellin lockt mich. Der Radweg am Ufer entlang nach Joachimsthal ist eine Labsal für die Seele. Wald, Wasser, Sonne, würzige Luft und wenige Autos. Nur zwei sehr laut quatschende, in ähnlichem Tempo fahrende Gravel-Radler stören die Ruhe. Also trete ich etwas härter rein und bin die Kollegen nach wenigen Minuten los. Auch das funktioniert noch.
Die Kleine Moldau an der Rosenbecker SchleuseDer Werbellin
Die tschechischen Biere in der „Kleinen Moldau“ an der Schleuse Rosenbeck muss ich unbedingt demnächst probieren. Heute bin ich zu früh hier. So erfreue ich mich an den bunten Blumentöpfen der Bunten Schorfheide. An den Riesenzähnen des Mammuts kurz vor Joachimsthal lehnt sich mein Endurace wohlig an. Dann geht es den Hügel runter und ran an den Grimnitzsee. Der schmale, aber glatte Radweg führt am Ufer entlang nach Neugrimnitz mit der schönen, restaurierten Bockwindmühle und dem Naturbeobachtungshaus.
Bockwindmühle Althüttendorf
In Neugrimnitz biege ich beim Orgelböhli ein in den Ziethener Weg. Ein echte Gravelpassage mute ich meinen feinen Conti 5000 zu, dazu drohen am Wegesrand Dornenbüsche mit ihren scharfen Waffen. Aber ich habe es ja so gewollt. Die Wiesen leuchten hier in Löwenzahngelb, viel intensiver als das Rapsgelb.
LöwenzahnRein in die NaturEingangstor zum Eiszeitpark auf der einen und auf der anderen Seite zum „Steinschlägerdorf“ Groß Ziethen
An der Einmündung zur Angermünder Chaussee lädt mich diese wundersame Pension zum Verweilen ein – oder besser doch nicht. Folgt jetzt die Renovierung oder steht der Abriss bevor?
Die nächsten Kilometer rolle ich in Richtung Angermünde, zunächst auf einem Radweg, dann notgedrungen auf der B 198. Ich bin froh, als ich wieder nach Westen schwenken kann, auf den uckermärkischen Radrundweg, der wunderbar über die Hügel nach Neukünkendorf und Gellmersdorf hinunter nach Stolpe an die Oder führt. Doch halt: Wer hat denn hier ein Flugzeug auf der Wiese geparkt? Das Ganze entpuppt sich als Kulisse, als Malerei auf einem Scheunengebäude mit aufgesetzter Kanzel.
Der Schriftsteller, Kinderpsychologe, Journalist und Ideenproduzent Wilfried Bergholz hat hier in einem ehemaligen Schweinestall dem ersten deutschen Düsenflugzeug für Passagiere eine Hommage gewidmet. Drinnen ist eine Dokumentation samt einem Originalteil des Rumpfes zu sehen. Das Ganze „Flugsportinformationszentrum“ zu nennen, grenzt zumindest leicht an Übertreibung. Dem von Brunolf Baade und anderen ehemaligen Junkers-Ingenieuren gebaute Prototyp war keine Zukunft beschieden. Nach einigen Rückschlägen, die auch auf konstruktive Mängel zurückzuführen waren, probte die Crew beim zweitenTestflug ein höchst riskantes Manöver mit Hochgeschwindigkeit, mit dem man in der Folge Nikita Chruschtschow bei der Leipziger Messe des Jahres 1959 beeindrucken wollte. Nach 55 Minuten und bei über 600 km/h stürzte die 152 DM ZYC am Rande des Flugplatzes Otterndorf-Okrilla ab. Alle drei Besatzungsmitglieder kamen ums Leben. Zwei Jahre später beschloss das Politbüro die Einstellung des Programms und damit des Flugzeugbaues in der DDR.
Am illustren Museumsort vorbei gleite ich gen Stolpe, hinunter ins Odertal, durch den würzig duftenden Mischwald und finde mich wenige Minuten später auf dem Oderradweg wieder. Mein Körper könnte langsam etwas Kalorienreiches vertragen und einen Kaffee dazu. Leider hat das Café Fuchs und Hase dauerhaft geschlossen, und ich vertilge ersatzweise am Eiswachhaus an der Oder einen Eiweißriegel, den ich mit viel Isogetränk hinunterspüle. Wenig Genuss, wirkt aber auch.
Die Historie vom Lunow-Stolper Polder und der Erdölleitung „Freundschaft“, die das Petrochemische Kombinat Schwedt seit 1963 mit russischem Öl versorgt, sind auf dem Plakat beschrieben. „Druschba“ – Freundschaft, seit spätestens März 2022 Geschichte. Bedrohung und Verrohung hat sie abgelöst. Die Schwedter blicken sorgenvoll in ihre Zukunft.
Am Oderdeich entlang verläuft über viele Kilometer der Schweinepestzaun, der von Osten kommende Tiere davon abhalten soll, ihre Krankheit nach Westen zu tragen – ein kleiner Fuchs samt Beute im Maul findet das gar nicht gut, schafft es aber mit Geschick, sich durch die Maschen zu zwängen, schnappt sich wieder sein Futter und verschwindet in einem hohlen Baum auf der Westseite.
Mit sanft schiebendem Nordwind rollt es zügig auf dem Deich, Hohensaaten, Hohenwutzen… Schon kommt bei Bienenwerder die Brücke der ehemaligen Preußischen Ostbahn in Sicht, die Wriezen mit Jädickendorf, dem heutigen Godków, verband. Nach 1945 bis zum heutigen Tage wartet das Brückenbauwerk, das schon 1892 eingeweiht wurde, auf seine neue Bestimmung. Am Ende des Krieges zerstört, erst vom Uhuschutz, dann von der Langsamkeit der deutschen Baubehörden und -Unternehmen gebremst, soll in diesem Frühjahr endlich die Eröffnung des neuen Radweges über die Oder gefeiert werden. Die polnische Seite jedenfalls war schon 2021 komplett, die deutsche wartet noch immer auf die Fertigstellung. Als ich am Brückenkopf stehe, sehe ich Bauzäune, halb fertige Fundamente und auf die Verlegung wartende Bauteile. Nur Bauarbeiter und Maschinen sind nicht zu erblicken. Ich bin gespannt, wann endlich diese „Unendliche Geschichte“ zum guten Ende findet. Jedenfalls freue ich mich schon in skeptischer Erwartung auf die erste Fahrt auf die polnische Seite. Hoffentlich noch 2022.
Auf dem Radweg nach Wriezen, der auf der alten Bahntrasse verläuft, fährt es sich komfortabel. Ich überlege, ob ich einen Südbogen nach Strausberg hin oder die Nordvariante über Bad Freienwalde und Eberswalde wählen soll. Freienwalde/ Falkenberg gewinnt. So schleiche ich mich an die Oderbruchkante heran, folge ihr bis Niederfinow und biege dann auf den Oder-Havel-Radweg ein. Der unermüdliche Sammler von Trabis, alten Dingen und Sachen, die keiner mehr braucht und auch keiner schön finden kann, ich jedenfalls nicht, bittet um eine Trabi-Fotospende.
Bei Finowfurt knacke ich die 200er Grenze und gönne mir im Mendoza ein Softeis und eine Cola.
Das muss für den Endspurt des Tages reichen. Und es reicht.
Nach 220 Kilometern Naturgenuss stelle ich das Endurace wieder ins Gartenhaus.
Das Oderbruch zieht mich immer wieder aufs Neue in seinen Bann. Die Landschaft, das Licht, die Wolken und die besonderen Menschen, die hier gestaltet und gewirkt haben. Heute mache ich einen langen Anlauf von 70 Kilometern bis zum ersten Foto des Tages. Kurz nach neun bin ich gestartet und über Bernau hinein in die Wellen des Barnim gefahren. Der Raps blüht, die Kirschbäume haben ihre Tracht angelegt und machen das Farbenspiel komplett.
Im riesigen Waldgebiet mit der Märkischen Schweiz, das sich zwischen Strausberg und Bad Freienwalde erstreckt, sehe ich den Hinweis auf den ehemaligen Atombunker Harnekop. Mitten in den Wald hatte in den 70ern die DDR-Führung einen riesigen Bunker, der Atom-und auch Chemiewaffen standhalten sollte, für mehrere hundert Menschen gebaut. Heute frage ich mich: vor wem hatten diese Politiker Angst damals? Aber es war eben die Zeit des Kalten Krieges. West gegen Ost, Ost gegen West. Und heute? Haben wir wieder Angst!
Themenwechsel. Die Natur ist eine wunderbare Medizin, um schlechten Gedanken zu entkommen und sich den schönen Dingen zuzuwenden.
An die schon im Jahr 2003 geschlossene Grundschule erinnert nur noch der Unterstand an der Bushaltestelle.
Nun wende ich mich endlich der Natur zu, die mich mit offenen Armen am Rad des Oderbruchs, mit Blick auf Wriezen empfängt. Eine traumhafte Aussicht bieten die sanften Anhöhen der Bruchkante.
Blick auf das Oderbruch bei Schulzendorf
In Schulzendorf biege ich nach rechts ab in den Vevaiser Weg. Er führt nach, na klar, nach Vevais. Ganz nah bei Wriezen liegt dieser Ort mit dem so französisch klingenden Namen. Hugenotten, die aus Frankreich vertrieben wurden, flohen zunächst in den Schweizer Kanton Neuenburg ( Neuchâtel), wo tatsächlich von 1707 bis 1848 die preußischen Könige in sogenannter Personalunion das Sagen hatten. Ähnlich wie in einer Kolonie. Hier waren die Flüchtlinge geschützt und wurden alsbald als Kolonisten ins ferne Oderbruch angeworben. Nach einem 40 Tage über 800 Kilometer führenden Fußmarsch, kamen sie in Vevay an, das damals noch Dornbuschmühle hieß und noch urbar gemacht werden musste. Die Geschichte der ersten Siedler ist trefflich auf der Tonskulptur nachzulesen, die in Vevais zu bestaunen ist.
Nur 20 Jahre später verließen die Kolonisten den Ort wieder. Die Befreiung von Abgaben, vom Militärdienst und andere Vorteile endeten nach 15 Jahren. Vielleicht war das ein Grund dafür, wieder weiterzuziehen? Wer weiß. Aber ich habe jetzt zumindest eine Erklärung für die Tatsache, dass ich vor Jahren bei einer gründlichen Tour um alle Vevaiser Ecken keinen Kolonistennamen mehr gefunden hatte. Von Vevais aus fahre ich auf dem Radweg „Tour Brandenburg“ gen Kunersdorf, wo ich die Grab-Kolonnaden nochmal genauer anschauen will, und den Schlosspark der Frauen von Friedland auch.
Nur wenige Kilometer auf wunderbar glattem Asphalt, dann stehe ich an der Friedhofsmauer von Kunersdorf, schleiche mich samt Rad durch das Tor und gehe gemessenen Schrittes zu den Grabkolonnaden, die von den Bildhauern Schadow und Rauch entworfen wurde. So wurde die Familiengrabstätte derer von Itzenplitz, Lestwitz und Oppen ein beeindruckendes Zeugnis sogenannter klassizistischer Grabmalskunst.
Neben den Kolonnaden erstreckt sich hinter dem Haus mit Chamisso-Museum der Schlosspark – ohne Schloss, das 1945 am Ende des Krieges dem Erdboden gleich gemacht wurde. Mitten auf einer weiten Wiese erinnert ein Gedenkstein mit Apfel und Goldkugel an Helene Charlotte von Lestwitz, die sich später mit Zustimmung des Königs Frau von Friedland nannte.
Keine Frau wird in Theodor Fontanes “ Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ emanzipierter beschrieben: „Es war eine seltene und ganz eminente Frau; ein Charakter durch und durch“. Helene Charlotte von Friedland ist geschieden, verwaltet die Güter von Schloss Cunersdorf alleine und verkauft ihren Schmuck, um in moderne Landwirtschaftsmaschinen zu investieren. Ihre Tochter Henriette Charlotte übernimmt nach ihrem frühen Tod mit 48 Jahren die Landwirtschaft und macht Cunersdorf zu einem geistig-kulturellen Zentrum, in dem Künstler wie Adelbert von Chamisso Inspiration finden, die Humboldt-Brüder Gäste sind.
Hier schrieb Chamisso seinen „Schlemihl“Gedenkstein für Helene Charlotte VON FRIEDLAND
Irgendwann muss ich auch noch „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ lesen. Von dem Mann, der seinen Schatten an den Teufel verkaufte.
Als ich den Park verlasse, sehe ich erleichtert, dass mein Schatten klar konturiert auf die Straße fällt. Der Teufel hat das Nachsehen. Auf den nächsten Kilometern tauche ich wieder ein ins Oderbruch, über Neutrebbin erreiche ich Quappendorf. Eine Quappe ist ein Fisch, den man hier immer noch fangen kann, ein Fisch, der zum Laichen im Frühjahr die Oder hinaufschwimmt. Wegen seiner typischen Zeichnung wird er auch „Leopard der Oder“ genannt. Und Quappendorf war besonders in der Zeit vor der Trockenlegung des Bruchs ein wahres Eldorado für Quappenfischer. Vor fünf Jahren habe ich von der Wirtin im Gasthof Zollbrücke erfahren, was eine Quappe ist und wie eine Quappe schmeckt! Köstlich!
Der Ort Quappendorf wirkt weniger attraktiv. Nach den Zerstörungen zum Ende des Zweiten Weltkrieges blieb nur wenig von der alten Substanz des Dorfes übrig. Nur noch etwa 100 Einwohner weist die Statistik aus.
Im 17. Jhd. mussten die Reisenden für die Überquerung der Oder per Fähre Zoll entrichten. Nach der Trockenlegung des Bruchs war auch diese Einnahmequelle ausgetrocknet.
Nur sieben Kilometer weiter oderwärts komme ich nach Letschin, erblicke sowohl die Schinkelkirche, bzw. das, was von ihr übrig geblieben ist und, noch wichtiger für mich, den Bäcker direkt am Platz. Ein großer Kaffee und ein Aprikosenstück, auch die freundliche Ansprache der Bäckersfrau, heben meine Laune wesentlich.
An der ehemaligen Fontane-Apotheke kann ich natürlich nicht einfach ohne Fotostopp vorbeikommen. Abends, bei meiner Nachrecherche zur Tour finde ich eine Notiz von Theodor Fontane an seinen Freund Wolfsohn: Letschin im Oderbruch, Kirchdorf mit 3500 Seelen (?) und Residenz zweier dort stationirter Gensdarmen, hängt durch Vermittlung eines sogenannten Rippenbrechers von Postwagen nur lose mit der civilisierten Welt zusammen. Es ist ein zweites Klein-Sibirien; die Lebenszeichen einer Welt da draußen sind selten, aber – sie kommen doch vor. Ich stelle erleichtert fest, dass sich Letschin im Vergleich zur Fontane-Zeit recht erfreulich entwickelt hat. Die Häuser sind gepflegt, die Farben frisch.
Weiter geht es und näher heran an die Oder. Bei Sophiental muss ich noch den Schweinepestzaun überwinden, dann kann ich es auf dem Oderradweg genussvoll rollen lassen. Eine kleiner Stopp noch am Gedenkstein für den Deichbaumeister Leonhard van Haerlem, dann treibt mich ein Blick auf meine Uhr weiter nach Genschmar und Golzow.
Am Letschiner Hauptgraben
In Golzow ist schon auf dem Ortsschild das wichtigste Ereignis der jüngeren Ortsgeschichte festgehalten. Die Grundschule heißt seit 2008 „Kinder von Golzow“. In einer über 50 Jahre andauernden Filmdokumentation wird DDR-Geschichte im Zeitraffer erlebbbar. Hier im MDR-Beitrag nachlesbar.
In Golzow spiele ich mit dem Gedanken, nach mittlerweile 140 Kilometern den Bahnhof in Küstrin Kietz anzulaufen, spare mir das aber, denn ich weiß, wie wenig gastlich die Atmosphäre dort ist. Also setze ich Kurs weiter nach Süden, in Richtung Lebus und Frankfurt. Der Radweg ist perfekt, nur in der Ferne baut sich ein Hindernis auf: Der Reitweiner Sporn mit seiner Hügelkette. Erstaunlich, wie eine solch minimale Überhöhung hier wirkt. In Sachsendorf lacht mich der ehemalige Dorf-Konsum an und bremst mich für einen Fotostopp:
Nichts zu holen hier, das Konsum Centrum war einmal. In der Endphase des Zweiten Weltkrieges wurde dieses Dorf ganz in der Nähe der umkämpften Seelower Höhen zu 90 Prozent zerstört.
Grandiose 50 Höhenmeter muss ich hinauf nach Lindendorf überwinden. Die Aussicht ist herrlich. Rapsfelder mit Windrädern drin.
Guter Laune schwinge mich über die Hügel, hin nach Briesen. Dort fährt der R1 nach Berlin um 17.12 Uhr.
Beim nächsten Mal werde ich mir die Adonisröschen an den Lebuser Oderhängen ansehen. Das muss ich bald tun, denn nur bis Mitte Mai stehen sie in Blüte.