Das Gute liegt so nah

Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah. Lerne nur das Glück ergreifen, Denn das Glück ist immer da.“

In seinem Vierzeiler „Erinnerung“ schreibt Goethe genau das, was ich bei meiner kleinen Wanderung heute empfinde. Nur wenige Schritte sind Kindelwald und Kindelfließ entfernt. So kann ich in wenigen Minuten den Duft des Waldes erreichen, das bunte Herbstlaub bewundern.

Die Spitzahorne haben ihre Blätter abgeworfen, in herrlichen Gelb- Braun- und Rottönen lachen sie mich an. Das Kindelfließ ist dicht bedeckt mit grünen Wasserlinsen, auch Entengrütze genannt. Eine ideale Projektionsfläche für die Schatten der Erlen auf der südlichen Seite des Wasserlaufs.

Das Kindelfließ trennt den Kindelwald vom Moorgebiet um den Kindelsee. Hier tummeln sich Kröten, Lurche, Biber, Enten und können nicht von aufdringlichen Menschen gestört werden. Keine Brücke führt über das Fließ.

Die Nacht vom 21. auf den 22. November war frostig, im Schatten hält sich eine feine Eisschicht, die Wasserlinsen glitzern im Sonnenlicht.

Licht, Farben und die Düfte des Waldes und der Wiese – ich laufe langsam, atme tief und genieße. Über einen kleinen Damm quere ich das Kindelfließ hin nach Süden. Der Weg führt durch einen kleinen Ahornwald, an dessen Wiesenrand eine riesige alte Stieleiche wacht. Sicher mit einem Umfang von fünf bis sechs Metern, sie steht also mindestens seit 300 Jahren hier. Der Stamm ist zerfurcht und knorrig und dient einem kleinen Waldwichtel-Zwerg als Behausung. Vor Jahren hat ihn ein Baum- und Märchenfreund hier hineingesetzt. Viele Male habe ich ihn schon besucht und war erstaunt, ihn immer noch unversehrt zu erleben. Neuerdings ist vor ihm eine „Taufurkunde“ mit zwei stabilen Bügeln befestigt.

Waldwichtel samt Taufurkunde

Mein Weg führt mich hinüber nach Schildow und zum Tegeler Fließ mit dem Köppchensee und den Niedermoorwiesen bei Lübars.

Der Köppchensee blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück: Enstanden durch Torfabbau, wurde er danach teilweise als Müllkippe genutzt. Bis zum Bau der Berliner Mauer. Die nächsten 40 Jahre gaben dem Gebiet Zeit, sich in ein besonderes Biotop zu verwandeln. Heute kann man hier Reiher, Schwäne, Enten, Frösche und reichlich anderes Getier beobachten.

Schon bald erreiche ich Lübars, das älteste Dorf in den Berliner Stadtgrenzen. Ja, Lübars gehört zur Großstadt Berlin. Kaum zu glauben, denn Alt-Lübars hat so gar nichts mit Berlin gemein. Den historischen Ortskern ziert die schlichte Kirche mit dem mächtigen Maulbeerbaum neben dem Seiteneingang, gepflanzt in der Zeit des Alten Fritz um 1780. Einstöckige Häuser mit Stuckfassaden aus dem 19. Jahrhundert, daneben Reiterhöfe in Reihe. Lübars ist heute ein Reiterdorf.

An den Pferdekoppeln vorbei wandere ich nach Westen, vor mir schon im Blick die „Skyline“ der Schwarzwald-Hochhaussiedlung im Ortsteil Waidmannslust. Architekten wie Hans Scharoun und Paul Kleihues haben die Riesenklötze entworfen.

Schon bin ich wieder am Tegeler Fließ, das hier den Verlauf der ehemaligen Grenze genau markiert. Lübars gehörte zu Westberlin, Glienicke-Nordbahn und Schildow lagen in der DDR. Heute führt ein Wandersteg durch die Eichwerder-Moorwiesen hinüber in den Speckgürtel der großen Stadt. Grün und ruhig gelegen.

1500 Meter sind es noch bis vor meine Haustür. Zuerst grüße ich noch die alte Stieleiche am Pirschgang, dann staune ich über eine ganze Kolonie von Feuerwanzen, die sich auf der Borke einer Linde sonnen.

Fast 14 Kilometer bin ich heute durch die Herbstnatur gelaufen. Ein Genuss für Körper und Seele!

https://www.strava.com/activities/10262218700/overview

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