Birnen, Lady Agnes, Bernsteinzimmer und Wunderblut

Die Wettervorhersage für den 30. April verspricht einen warmen, fast wolkenlosen Tag mit spürbarem Ostwind. Beim Frühstück entsteht vor meinem inneren Auge eine Strecke hinein ins Havelland und dann an die Elbe. Ein kleiner Film mit den Bausteinen aus vergangenen Brevets, Ausfahrten mit Freunden und all den Touren, die ich mit dem alten Colnago, dem Basso, dem Endurace oder immer öfter mit meinem Granfondo gemacht habe. Heute flüstert mir einmal mehr das Titangerät ins Ohr, es sei doch wohl das ideale Gefährt für diese Tour. Zumal das angebaute, leichte Aeropack von Tailwind weiter erprobt werden will. Die Contis sind auf 6 Bar aufgepumpt, Kette und Ritzel gereinigt und sparsam geölt. Die Trinkflaschen sind mit Isogetränk gefüllt, und zwei Eiweißriegel stecken in der Fronttasche.

Los geht es nach Westen über Hennigsdorf und Nauen auf den Havelland-Radweg. Bei Bötzow ein kurzer Fotostopp am Meilenstein, den ich wieder einmal durch Anlehnen auf seine Standfestigkeit überprüfe.

Granfondo mit Tailfin-Aeropack am Meilenstein zwischen Hennigsdorf und Bötzow

Über Wansdorf und Pausin nach Paaren im Ländchen Glien, wo gerade die Brandenburgische Landwirtschaftsschau vorbereitet wird.

Ab Nauen rolle ich auf dem Havelland-Radweg durch duftende Rapsfelder hinüber nach Ribbeck, wo ich wieder einmal nach dem im Jahr 2000 gepflanzten Birnbaum schauen will. Geht es ihm gut? Hat er geblüht? Wird er Früchte tragen?

Seit dem vergangenen Jahr hat er wieder erkennbar an Höhe und Umfang zugelegt. Der Römischen Schmalzbirne scheint es zu gefallen am Standort des ursprünglichen, im Gedicht besungenen Segensbringers. Zur Erntezeit werde ich sicher wiederkommen und mir eine süße Frucht gönnen, so mir die Touristen welche übrig lassen. Das Schloss Ribbeck strahlt in der Frühlingssonne; im Park davor liegen die drei Havelnixen des Bildhauers Knuth Seim. Mein Granfondo will gar nicht mehr weg von hier.

Im Schloss werden mannigfaltige Ausstellungen gezeigt, der Park kann sich sehen lassen. Und Fontane würde sich sicher über den Stellenwert seines Gedichtes freuen. Wobei man dem Dichter sicher nicht gerecht wird, wenn man ihn auf die Birnbaum-Ballade reduziert. Zumal er von sich selbst sagt, dass Gedichteschreiben nicht zu seinen Stärken zählte. Der kleine Ort Ribbeck hat sich in den vergangenen Jahren zum wahren Kleinod entwickelt. Fast hätte ich mich von den in der Alten Schule angebotenen Kuchenköstlichkeiten zur Pause verführen lassen. Aber es ist gerade Mittag, da sollte ich noch ein paar Kilometer machen. Über Pessin und Senzke erreiche ich die Ortschaft Haage, wo ich mich von einem Wanderweghinweis nach Görne verführen lasse, mich über den tiefsandigen Waldweg nach Westen vorzuarbeiten. Zwanzig Minuten absteigen, aufsteigen, fluchen… Dann bin ich wieder auf festem, fahrbaren Grund. Als Belohnung für die Mühen beginnt in Görne ein wunderbarer Radweg, der nur abschnittsweise durch die typische „Platte“ unterbrochen ist. Aussichten, Weite, Havelland eben. Vom Feinsten!

Auf den 15 Kilometern hin nach Stölln begleite ich einen Mountainbiker, der die Strecke schon früh um fünf gefahren war. „MdRzAuz“ : so lautet die gängige Abkürzung auf STRAVA für: Mit dem Rad zur Arbeit und zurück. Er freut sich auf seinen Feierabend, ich genieße die kundige Begleitung. Nahe Stölln, vor dem Gollenberg, wächst die Lady Agnes beim Näherkommen immer höher aus den Wiesen zum vollen Format. Sie steht am wahrscheinlich ältesten Flugplatz der Welt, wo Otto Lilienthal schon 1893 die ersten Flugversuche mit seinen Gleitern machte. Drei Jahre später stürzte er aus 15 Metern Höhe, durch eine Windböe aus dem Gleichgewicht gebracht, zu Tode. Oben, auf dem Gollenberg erinnert ein Denkmal an den Urvater der Fliegerei. Am Rande des heutigen Segelflugplatzes steht zu Ehren und Erinnerung an den Flugpionier auch die IL 62 , ein Geschenk der DDR-Interflug an die Gemeinde Stölln. Flugkapitän Kallbach brachte den Jet am 23.Oktober 1989 spektakulär auf der 900-m-Graspiste auf den Boden und zum Stehen. Normalerweise braucht eine IL 62 zur ordentlichen Landung eine 2500 m lange Betonbahn.

Die „Lady Agnes“ ist nach Agnes Fischer, der Frau von Otto Lilienthal benannt.

Ich lasse die Lady hinter mir und fahre den Hügel zur Ortschaft Stölln hinunter. Hier steht als Blickfänger eine ausgemusterte Zlin Z 37 Cmelak ( Hummel), die ich schon so oft fotografiert habe. Bei Brevets, beim Zeitfahren Hamburg-Berlin, bei zahlreichen Touren mit Freunden.

Auf der Wiese vorm Museum nisten in symbolischer Weise für die Vorbilder der Lilienthal-Gleiter zwei Störche, die sich auch dieses Jahr das prominente Nest ausgesucht haben. Sie wissen offensichtlich um die Geschichte und ihre Bedeutung. Drinnen hängt unter der Decke ein ausgestopftes Exemplar mit ausgebreiteten Schwingen.

Die nächste Pause will ich in Havelberg machen und endlich einmal den riesigen Dom, der so klotzig und trutzig auf der Hangkante über der Havelaue thront, aus der Nähe betrachten. Er sieht mehr aus wie eine Festung als eine Kirche. St. Marien besitzt keinen echten Turm, dafür aber den riesigen 33 Meter hohen Westriegel, der aus Backstein und Grauwacke gebaut ist. Das Bauwerk stammt in seiner Urform aus dem 12. Jahrhundert und wurde mehrfach ergänzt und umgestaltet. Eine Schönheit ist er dadurch nicht geworden, imposant ist er allerdings. Etwa 40 Höhenmeter muss ich einen steilen Weg erklimmen, bis ich auf dem Domplatz stehe. Mit dem Kopf im Nacken mache ich ein paar Fotos und brauche mein Weitwinkelobjektiv, um das Bauwerk ganz aufs Bild zu bannen. In der ehemaligen Domschule, gegenüber der Kirche, residiert das italienische Restaurant La Cucina. Es sieht sehr einladend aus mit der herrlichen Terrasse und dem Blick über die Stadt. Weizenbier und Apfelstrudel munden köstlich und bringen verbrauchte Energie schnell wieder in meinen Körper.

„In der einstigen Propstei, direkt neben dem Dom, unterzeichneten Zar Peter I. und König Friedrich Wilhelm I. am 27. November 1716 die ‚Konvention von Havelberg‘ im Rahmen der antischwedischen Koalition. Gastgeschenke: as Bernsteinzimmer und die Staatsyacht gegen 200 ‚Lange Kerls‘ für den Soldatenkönig.“ Dieser Text auf der Tafel an der ehemaligen Propstei am Havelberger Krankenhaus erinnert seit vielen Jahren an den Besuch beider Monarchen“ ( Zitat aus der Seite des Havelberg-Heimatvereins).

Beim Lesen dieser Zeilen bekomme ich eine Ahnung davon, dass in diesem kleinen Ort vor 300 Jahren große Politik gemacht wurde. Heute würde man sagen, Friedrich Wilhelm I. und Zar Peter I. hatten einen Deal gemacht. In der Zeit des Aufenthalts in Havelberg haben die beiden Herrscher den Berichten nach Feste gefeiert, viel getrunken und gegessen und waren wohl kaum nüchtern beim Verhandeln. Irgendwann ist der Zar dann auf der ihm von Friedrich geschenkten Yacht, oder besser, dem luxuriösen Holzboot, wieder zurück gen Petersburg geschippert. Das legendäre Bernsteinzimmer wurde kurze Zeit darauf von Berlin zum Zarenpalast transportiert.

Und das alles geschah hier, in Havelberg, dem Städtchen mit heute gerade 6500 Einwohnern.

Nach der wohltuenden Rast mache ich mich auf den Weg nach Bad Wilsnack und seiner Wunderblutkirche. Über Quitzöbel, wo die Havel in die Elbe mündet, nähere ich mich von Süden her Bad Wilsnack. In den Jahren von 1382 bis 1552 pilgerten tausende Gläubige zu den „Bluthostien“, die in der Wunderblutkirche aufbewahrt wurden. Hier die Geschichte in kurzer Fassung aus Wikipedia:

Im August 1383 wurde der in der Prignitz gelegene Ort Wilsnack von Raubrittern gebrandschatzt. Auch die Kirche wurde stark beschädigt, und der Priester des Ortes fand drei mit Blut befleckte Hostien. Dies wurde als ein Wunder gedeutet und zog bald Tausende von Pilgern an, die auf Heilung von Krankheiten oder Straferlass hofften oder später auch zur Vollstreckung von testamentarischen Anordnungen kamen. Durch die Abgaben und Spenden der Pilger konnte in Wilsnack eine große Wallfahrtskirche St. Nikolai gebaut werden, und es wurde schließlich zu einem der fünf bedeutendsten Wallfahrtsorte Europas.

Friedrich II. von Brandenburg pilgerte zwischen 1440 und 1451 sechs Mal nach Wilsnack, wo es jährlich bis zu einhunderttausend Pilger aus ganz Europa gab. Schon Ende des 14. Jahrhunderts war die Gegend um Wilsnack, in der es kaum eintausend Einwohner gab, von Pilgern völlig überlaufen.

Die Reformation setzte der Wallfahrt ein Ende. Nach der Verbrennung der Wunderbluthostien durch den ersten protestantischen Pfarrer von Wilsnack im Jahre 1552 fiel Wilsnack in die Bedeutungslosigkeit zurück.

Neugierig auf die Kirche kurbele ich die letzten Kilometer und dann hinein ins „Stadtzentrum“, wobei der kleine Ort mit gerade 2500 Einwohnern die Stadtrechte seit dem Jahre 1513 besitzt. Der Baukörper von St. Nicolai ragt weit über die umgebenden Gebäude hinaus.

Auf dem mächtigen Renaissance-Giebel steht ein schmächtiges Glockentürmchen. Leider ist die „offene“ Kirche nur bis 16 Uhr geöffnet. Ich bin zu spät, um den Wunderblutschrein zu besichtigen, und ein Blick auf meine Bahn-App zeigt, dass der RE in Richtung Berlin in wenigen Minuten kommen soll. „Kleine Stadt, große Kirche, kurze Wege.“ Der Zug rollt ein, als ich am Bahnsteig ankomme. Fahrzeit nach Spandau 1 h 14 min. So bin ich schon um halb sieben wieder in Berlin und kann gemütlich die verbleibenden 18 km nach Hause radeln.

Das Granfondo ist zufrieden mit der heutigen Ausfahrt und hat sich an die Aeropack-Trägertasche gewöhnt. Nichts klappert, nichts steht über oder im Wege. Eine Tasche, die man beim Fahren überhaupt nicht merkt. Die nächste Tour wird dann über mehrere Tage gehen und dann mit mehr Gepäck. Schaun mer mal.

Bäume, Wasser und riesige Findlinge

Nach Nordosten, bis die Oder kommt. Das ist das Motto meiner Freitagstour. Über die Barnimwellen nach Heckelberg und Kruge. Dann den Feldweg hinüber nach Krummenpfahl. Mein Auge kann sich nicht sattsehen an der ergrünenden, erblühenden Natur. Bei zwei Eichen liegt ein mächtiger Findling, der mich zur ersten Pause animiert. Das Alter der Bäume schätze ich auf etwa 100 Jahre, der rundgeschliffene Granit hat am Ende der letzten Eiszeit vor 10000 Jahren hier seine Reise, die irgendwo in Skandinavien begann, beendet.

Von der schon kräftig strahlenden Sonne erwärmt, fühlt der Stein sich angenehm wohlig an. Die kupfergrüne Spitze der Gersdorfer Kirche lugt über den Feldhorizont. Nur ein paar Minuten weiter, in Dannenberg, grüße ich die Gerichtslinde. In ihrem 500-jährigen Leben von Blitzeinschlägen mehrfach malträtiert, steht sie immer noch trotzig da und treibt auch in diesem Frühjahr wieder frische Triebe.

Gerichtslinde in Dannenberg bei Freienwalde

Dann schwinge ich mich in den Wald hinunter nach Bad Freienwalde, vorbei an der Skisprungschanze, die mir immer wieder aufs Neue in dieser Gegend deplatziert vorkommt. Mit fast 50 km/h rausche ich hinunter in die Altstadt. Beim Bäcker im Norma-Supermarkt vertilge ich eine Riesenschnecke und schlürfe einen genauso riesigen Milchkaffee. Die Bedienung ist wie immer freundlich, und mein Granfondo habe ich direkt vor mir im Blick. Auf dem Titel der am Wandhaken feilgebotenen BILD lese ich, dass Fürst Albert „die Krise wegwinkt“. Was auch immer damit gemeint ist … Die Titelseite zu lesen reicht mir allemal.

Ich reiße mich von der Qualiätslektüre los und kurbele weiter nach Schiffmühle, vorbei am Fontanehaus, hinüber nach Altglietzen und Hohenwutzen. Die Äcker und Wiesen im Oderbruch ähneln nach dem nassen Winter immer noch einer Seenlandschaft.

Endlich bin ich auf dem Radweg am Ufer der Oder. Blauer Himmel, tiefblaues Wasser, überflutete Auen. Die Bäume haben nasse Füße. Zwei Schwäne ziehen würdevoll ihre Bahnen. Ich denke an Fontanes Zitat :

Der Reisende in der Mark muß sich … mit einer feineren Art von Natur- und Landschaftssinn ausgerüstet fühlen. Es gibt gröbliche Augen, die gleich einen Gletscher oder Meeressturm verlangen, um befriedigt zu sein. Diese mögen zu Hause bleiben“

Ich sauge die Natur einfach ein in meine Seele, das tut gut.

Vogelgezwitscher, weidende Rinder, blühende Sträucher. Da rollt es leicht und lustvoll. Allein bin ich auf weiter Flur. Keine Radler, nur ein paar Wanderer sind unterwegs. Eine Stunde später stehe ich an der Brücke bei Stolpe, staune wieder einmal über den „Grützpott“, der klotzig seit geschätzt 800 Jahren über der Hangkante thront.

Zeit für eine kleine Pause. Ich genieße einen Proteinriegel und bin froh, dass ich zwei Trinkflaschen dabei habe. Bei 16 milden Grad verlangt der Körper Flüssigkeit. Als ich nachschaue, wann die Züge von Schwedt, meinem geplanten Tagesziel, nach Berlin fahren, sehe ich erstaunt: „Schienenersatzverkehr“ bis Angermünde. Und Busse transportieren Fahrräder bekanntlich nur, wenn man Glück hat. Darauf will ich mich nicht verlassen und setze Kurs in Richtung Angermünde. In Alt-Galow quere ich die Alte Oder über die Brücke und arbeite mich die Rampe nach Schöneberg hoch. 50 hm können auch ganz schön in die Beine gehen. Über Felchow erreiche ich die Bundesstraße 2, die nach Angermünde führt. Leider viel befahren und auf den ersten Kilometern ohne Radweg. Bei Dobberzin biege ich nach Kerkow und dem Mündesee ab. Endlich wieder Ruhe. Der Weg wird sandig, dann rumpele ich über einen so typischen Plattenweg mit Kanten und Löchern. Ich bin auf dem Mündeseerundweg, der mich in großem Bogen erst nach Osten, dann nach Süden zur Stadt führt.

Am höchsten Punkt des Weges steht diese mächtige Findlingsplastik mit dem Namen „Leuchtturm“, gebaut vom niederländischen Bildhauer Ton Kalle. Von hier hat man einen herrlichen Blick auf den See und Angermünde. Eine gute mentale Entschädigung für die Rüttelfahrt auf dem Plattenweg. Mein Granfondo läuft wie immer perfekt und harmoniert sehr gut mit dem Aeropack von Tailfin. Nichts wackelt, nichts klackert. Mit gutem Grund haben sich so viele Ultradistanz-FahrerInnen für die Gepäckbrücke der Engländer entschieden. Für mich ist das die ultimative Tasche für lange und auch kurze Touren, denn sie wiegt knapp 1 kg, ist absolut wasserdicht, wirkt bei Regen wie ein Schutzblech, und sie ist bequem zu beladen und zu komprimieren. Heute wäre ich natürlich auch ohne Oberrohrtasche und die Tailfin ausgekommen. Aber so ein Test vor den nächsten Mehrtagestouren beruhigt enorm.

Ich verlasse den Leuchtturm und freue mich, dass der Plattenweg endet und ein asphaltierter Abschnitt folgt. Die Silhouette der Stadt Angermünde suggeriert eine viel größere Stadt als diese mit etwa 13.000 Einwohnern. Am Seeufer am Altstadtrand erwarten mich weitere Findlings-Kunstwerke. Monumental immer, manchmal brutal, andere filigran.

An einem Anlegesteg neben dem „Segel mit Durchsicht“ komme ich mit einem Radler in meinem Alter ins Gespräch, der sein Bike auch langstreckentauglich ausgerüstet hat. Er wohnt schon seit 20 Jahren hier und fühlt sich offensichtlich wohl. Der Bürgermeister gehört keiner Partei an und hat in den vergangenen 10 Jahren viel Kunst und Kultur hier etabliert. Ein guter Grund für mich, zu einer intensiven Stadtbesichtigung bald wiederzukommen. Der Zug nach Berlin fährt in knapp einer Stunde. So rolle ich noch gemütlich bis Chorin, steige dort in den RE3 und gönne mir noch die 26 km von Bernau aus bis nach Hause. Knapp 150 km sind es heute geworden.

Natur, Kultur, Menschen … was will ich mehr. Schön war es.

Berlin im Winterlicht – eine kleine Fototour

1. Februar, 10.00 Uhr. Aus dem Wolkengrau macht die Sonne Himmelblau. Das Thermometer zeigt vier Grad an, mein Cannondale Taurine ist froh, dass ich es aus dem Winterschlaf wecke. Ich habe Lust auf eine kleine Fototour mittenhinein in die große Stadt. Im Zickzack rolle ich mit der Sonne im Südosten als Wegweiser. Schnell bin ich in Afrika, genauer im Afrikanischen Viertel im Wedding, wo schon 1929 die Architekten Mebes, Emmerich und Bruno Taut die Friedrich-Ebert-Siedlung entwarfen und bauten: erschwinglicher Wohnraum, modern, zeitlos. Wohnungen mit 44 bis 62 qm Fläche und mit Zentralheizung, die über Balkon oder Loggia, dazu ein Bad verfügten. Innerhalb von nur zwei Jahren Bauzeit entstanden über 1400 Wohnungen. Auch heute, fast 100 Jahre später, wirkt die klare Formensprache modern und zeitgemäß.

Friedrich-Ebert-Siedlung im Wedding

Ich lese die Namen Ghana-, Togo- und Swakopmunder Straße. Volkspark Rehberge, Plötzensee mit seiner unrühmlichen Geschichte, dann bin auf dem Radweg am Spandauer Schifffahrtskanal, der über den Invalidenfriedhof zum Hamburger Bahnhof, dem Hauptbahnhof, an der Charité vorbei ins Regierungsviertel führt.

Ich rolle am Hauptbahnhof und dem herrlich spiegelnden City-Cube vorbei und bin wieder einmal fasziniert von der Architektur. Start-Stopp-Foto, Start-Stopp – nächstes Motiv und so weiter. Es ist immer wieder ein Erlebnis, hier hindurchzukurven. Das Winterlicht und der dynamische Wolkenhimmel beleuchten die Szenerie filmreif. Unter den Linden tauche ich ein ins alte Berlin mit Humboldtuniversität, Oper und Berliner Dom; Friedrich der Große sitzt, den Dreispitz auf dem Kopf, den Blick nach Osten gerichtet, auf seinem Lieblingspferd Conde. Die mächtige Bronzeplastik ist ein Meisterwerk von Christian Daniel Rauch, geschaffen 1839-51.

Hier, an der Museumsinsel, an der Schlossbrücke, am Humboldtforum, ist für mich Berlin am schönsten. Also kurve ich noch ausgiebig herum und lande vor der Baustelle des Einheitsdenkmals, genannt Einheitswippe. Allein: Es wippt noch nichts! Beschlossen vor 16 Jahren, Baubeginn vor drei Jahren… Und bis heute eine Baustelle! Blamabel! Peinlich! Einfach nur übel.

2,5 Mio € fordert die Baufirma nach, weil die Kosten gestiegen seien, und der Bund tut sich offenbar schwer, Mittel nachzuschießen. Jetzt ist also Pause, bis Geld und Material kommen.

Beeindruckt von so viel Schnelligkeit und Entschlusskraft setze ich mich wieder auf mein Taurine und schaue mir die Vorderseite des Stadtschlosses und das Replikat des altindischen Sanchi-Tores an. Demnächst werde ich mir dann das Museum für Asiatische Kunst im Humboldtforum gönnen. Heute lehne ich mein Taurine vorsichtig an den Sockel und suche die beste Fotoperspektive.

Wie klein doch der Fernsehturm ist, obwohl er mit einer Höhe von 368 Metern das höchste Bauwerk Deutschlands ist. Bei der Fertigstellung 1969 der ganze Stolz der DDR. Geradezu mitleidig wurde der nur 148 Meter messende Messeturm in Westberlin belächelt. Allerdings steht der schon seit dem Jahre 1926.

Ein paar Meter weiter begrüße ich die Herren Marx und Engels auf dem gleichnamigen Forumsplatz. Gegossen in „Dünnschichtbronze“, sitzen die Erfinder des Sozialismus seit April 1986. Geschaffen vom Bildhauer Ludwig Engelhardt. Das beliebte Fotomotiv haben die Berliner prompt „Sacco und Jacketti“ getauft.

Karl Marx und Friedrich Engels schauen nach Osten, hatten also schon bei der Einweihung ihres Gedenkmonuments dem ehemaligen Palast der Republik, auch „Palazzo Prozzo“ genannt, den Rücken gekehrt.

Im Blick haben die beiden zwei überaus unterschiedliche Kunstwerke: zum einen acht Stelen aus Edelstahl mit eingeätzten Fotos – auf einem Erich Honecker inmitten freundlicher DDR-Bürger. Andere zeigen Menschen von Arbeiteraufständen auf der ganzen Welt. Daneben die Bronzereliefs “ Die Würde und Schönheit freier Menschen“ der Mecklenburgischen Künstlerin Margret Middell.

Die Doppelstelen mit dem Sichtspalt bieten sich an für Fotos durch sie hindurch mit Blick auf den Fernsehturm.

Ich nehme ein paar Schlucke aus der Trinkflasche und wecke das Taurine wieder auf. Nächste Station: Potsdamer Platz. Ein Ort, den ich vor 25 Jahren bei der Eröffnungsfeier erlebt habe, an dem ich fast 10 Jahre meines beruflichen Lebens verbracht habe, oft bis in die Nacht hinein. „Der Daimler“ war der Hauptinvestor des „Neuen Potsdamer Platzes“. Und so zog der gesamte deutsche Mercedes-Vertrieb von Stuttgart nach Berlin. Nicht alle haben sich gefreut … Heute blicke ich zurück mit etwas Wehmut auf die Zeit im Richard-Rodgers-Gebäude mit dem markanten Eckturm.

Das Arkaden-Einkaufszentrum, das sich längs zwischen den Gebäuden erstreckt, war in den 2000er Jahren ein echter Publikumsmagnet. Aus meinem Büro konnte ich hinüberschauen zum Marlene-Dietrich-Platz vorm Musical-Theater und die Berlinale-Stars auf dem roten Teppich von oben betrachten. Der Daimler hat seinen Teil des Platzes schon 2016 an einen US-Investor verkauft und ist zum Ostbahnhof umgezogen.

Der Verkehrsturm steht seit 100 Jahren am Potsdamer Platz. Als erste Verkehrsregelanlage dieser Art in Deutschland. Der Vorläufer der heutigen Ampelanlagen.

Als ich wieder gen Westen, Richtung Philharmonie vom Platz rolle, grüße ich die herrliche Skulptur „The Boxers“ von Keith Haring, die hier seit 1987 steht und immer noch leuchtet und wirkt. Bald ist wieder Berlinale, und der Platz wird sich wieder wie neu anfühlen.

Als ich den Westhafenkanal nach Norden quere, lese ich auf dem Geländer den für mich passenden Spruch des Tages: „Some souls feel each other, even miles apart“

Weiter geht es durch Schrebergartenkolonien hin zum Ex-Flughafen Berlin-Tegel

In Tegel habe ich schon oft die riesigen „Mural Art“- Hochhausmalereien fotografiert. Heute gefällt mir dieses Kunstwerk des Künstler-Teams London Police am besten: Es verströmt spontan gute Laune und bringt mich frohgemut wieder nach Hause.

Rollen, schauen, staunen, Neues entdecken, Schönes und Schauerliches sehen, zurückblicken, und dann wieder nach vorn. Dort ist die Zukunft!

Ganz langsam durch die Barnimdörfer

Kann ich es noch? Geht es noch? Ja, das Radfahren meine ich. Seit dem 6. November bin ich mehr Kilometer gewandert als pedaliert, 180 km per pedes. Und meine Räder standen traurig im Keller. Als der Wetterbericht für den 18. Dezember weder Schnee noch Regen vorhersagt, hole ich mein Cannondale Taurine aus dem Gartenhaus und bringe erst einmal die 33er Crossreifen von schlappen zwei Bar wieder auf komfortable 3,5 Bar. Dann klemme ich die alte Sigma-Frontleuchte an den Lenker, und an die Sattelstütze klemme ich die helle Lezyne pro.

Um 11 Uhr rolle ich los, eingepackt in lange Hose, Winterjacke und hohe Winterschuhe. Dann noch den Merinobuff und die bewährten Röckl-Handschuhe. So war ich schon oft bei Minusgraden unterwegs. Schaun mer mal, ob es noch läuft.

Schönfließ, Schönerlinde, Schönwalde, Schönow … Warum beginnen diese Orte mit der Bezeichnung „schön“, sinniere ich bei den ersten Kilometern ostwärts. Die ehemaligen Kolonistendörfer haben eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Fleißige Tuchmacher, die die Preußische Armee mit Uniformstoffen belieferten, sorgten für Wohlstand und Ansehen. Die schönsten Häuser stammen noch aus der Zeit Friedrichs des Großen, der die Gründungsurkunde des Dorfes im Jahr 1753 unterschrieb. Sie haben die wilden Zeiten der Kriege überdauert.

In Schönerlinde passiere ich das riesige Klärwerk, das die Hobrechtschen Rieselfelder überflüssig machte und neuerdings sogar den Strom für die Anlagen aus einem Bockheizkraftwerk, das aus den Abwässern nachhaltige Energie erzeugt.

Auf dem Wege von der Siedlung Waldfrieden nach Bernau steht seit mindestens 10 Jahren dieses gleichsam seltsame wie überflüssige Warnschild:

Weder Radfahrer noch Fußgänger würden auf die Idee kommen, vom Wege abzubiegen, sich durchs Unterholz zu arbeiten und die „fehlende Brücke“ zu suchen.

In Bernau, dessen Altstadt von einer gut erhaltenen mittelalterlichen Mauer umgeben ist, sind die Vorbereitungen für einen Weihnachtsmarkt in vollem Gange. Viel Zeit bleibt auch nicht mehr! Dann verlasse ich das hübsche Städtchen nach Norden und kurbele über Danewitz nach Biesenthal. Hier werfe ich einen Blick in das Schaufenster von HNF-Nicolai, einem Fahrradhersteller, der eine sehr dynamische Geschichte hat. Michael Hecken, der in der Wehrmühle wohnt und seine Ideen produziert, hat sein Unternehmen neu aufgestellt: Hero Cycles aus Indien ist seit zwei Jahren sein Partner und soll mit Kapital und Marketing-Know-how den nächsten Schritt der Entwicklung zum großen Hersteller ermöglichen. Ich bin gespannt. Der kleine Laden mit einem sehr bescheidenen Auftritt und wenigen ausgestellten E-Bikes, ist jedenfalls noch kein Vorzeigeobjekt.

HNF-Schaufenster in Biesenthal

Biesenthal ist mittlerweile sehr ansehnlich geworden. Das Café Auszeit hat mich schon einige Male gelockt, war aber nie geöffnet, wenn ich vorbeikam. Und ein klein wenig fies ist es schon von mir, wenn ich jetzt ausgerechnet eins der wenigen noch nicht aus dem historischen Schlaf erweckten Gebäude zeige:

Nach Norden führt mich mein Weg weiter durch den Wald über die bucklige Landstraße hin nach Sophienstädt mit dem Gasthof Sophienquell, der über Jahre vor sich hin verfiel. Aktuell wird hier gewerkelt, improvisiert und verschlimmbessert. Ein kleines Transportunternehmen hat sich auf dem Grundstück niedergelassen. Die Inhaber haben ihrer Kreativität freien Lauf gelassen und allen Weihnachtsschmuck, der irgendwo übrig war, neu gruppiert, aufgehäuft, angebunden, mit Schleifen verziert und und und. Über Geschmack lässt sich bekanntlich NICHT streiten. Hier zur Illustration Elefanten mit Schleifen und ein Paketberg mit Geschenken hinterm Gartenzaun.

Auf den nächsten Kilometern erhole ich mich langsam von diesen wundersamen Eindrücken. Weiter rolle ich durch Ruhlsdorf und dann nach Zerpenschleuse, wo ich im Spätsommer noch ein leckeres Eis in der Eisschleuse genießen durfte. Unweit vom geschlossenen Café entdecke ich mein nächstes Fotoobjekt. Ein altes Siedlerhäuschen, das auf seine Restaurierung wartet:

In Zerpenschleuse biege ich nach Süden ab. Nächster Halt ist Wandlitz, wo ich beim Bäcker Franke einen großen Milchkaffee und ein Stück Apfelkuchen genieße. Während ich mich aufwärme und die Kalorienspeicher auffülle, lausche ich dem Gespräch zweier Männer, die gut vernehmlich einen qualitätsvollen Diskurs über Migranten und die sonstige politische Lage führen. Fast bin ich versucht, mich zu beteiligen. Aber nein, besser nicht. Lieber schaue ich mir die an der Wand steckenden BILD, BZ und MOZ an. Mit einem Blick bin ich wieder „up to date“.

Körperlich und geistig gestärkt, verlasse ich die gastliche Stätte und mache mich auf die letzten 20 Kilometer meiner Tour de Niederbarnim. Letzter Halt Schönfließ ( noch ein Ort mit Schön drin) und dem gastierenden Ostfriesland-Weihnachtszirkus. Dunkel ist es geworden, die Lichtgirlanden verstrahlen Weihnachtsstimmung.

Zu Hause angekommen lasse ich die 91 Tageskilometer Revue passieren. Heute habe ich sehr selektiv die weniger attraktiven Seiten dieser Gegend vor die Linse genommen. Wissend, dass hier in der Überzahl Schönes und Sehenswertes zu entdecken ist.

Wie sagte schon Antoine de St. Exupéry im Kleinen Prinz: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“

Der Winter kommt bald

Fast genau ein Jahr ist es her, seit ich diesen Beitrag geschrieben habe. Immer noch, oder wieder aktuell!

My dear
In the midst of strife, I found there was, within me, an invincible love.
In the midst of tears, I found there was, within me, an invincible smile.
In the midst of chaos, I found there was within me, an invincible calm.
In the depth of winter, I finally learned that within me, there lay, an invincible summer. And, that makes me happy.
For it says, that no matter how hard the world pushes against me, within me, there’s something stronger…
~ Albert Camus

Beim Lesen dieser Zeilen von Albert Camus bekomme ich einen unendlichen Hunger nach seinen Werken, die mich schon als  Abiturient stark beeindruckt haben. Sigi Silkenat, der neben seinem Beruf als Lehrer auch noch Literaturkritiker war, hat mich in der Schulzeit so intensiv und so nachwirkend an die Werke der Dichter und Denker herangeführt, dass ich auch aus eigenem Antrieb immer viel gelesen habe. Und einer meiner Lieblingsautoren ist Camus, über den ich damals in der mündlichen Prüfung referieren durfte. Die Zuneigung ist bis heute erhalten geblieben. Und das Werk des Dichters ist so aktuell wie selten zuvor. Also hole ich „Die Pest“ und „Der Fremde“ zuerst aus dem Bücherregal und lege sie neben meinen Lesesessel. 

Draußen rieselt leise der Schnee, eine dünne weiße Decke hat er auf die Erde gelegt. Meine Idee für eine kleine Runde in den Barnim verwerfe ich. Stattdessen fahre ich einfach in Gedanken durch die Landschaft. Entlang der letzten Fotos, die ich gemacht habe.

In einer Bucht des Summer Sees putzt ein Schwan sein Gefieder. Er verteilt das Sekret aus seiner Bürzeldrüse sorgsam auf den Federn, damit sie kälte- und wasserfest bleiben.

Die Landstraße, die durch den Wald nach Wensickendorf führt, ist abgefräst und für den Autoverkehr gesperrt. Wie schön für mich.

Summter Chaussee

Mein Cannondale Taurine habe ich auf Winterbereifung umgerüstet. Auf nur zwei Bar aufgepumpt, bügeln die Reifen die Buckel komfortabel platt. Kurz vor Wandlitz biege ich nach Westen ab und staune über das Schnitzelangebot vom Gasthof Roschè am Rahmersee.

Als bekennender „Flexitarier“ reizen mich die 20 Schnitzel nur zum schnellen Vorbeifahren, keinesfalls zur Einkehr. Der Radweg ist in guter Verfassung, es rollt. Ein paar Minuten später schließe ich auf einen gleichmäßig kurbelnden Kollegen auf. Meine Altersklasse, erkenne ich neben ihm. Als ich von meinen ersten Besuchen in Wandlitz und im damaligen Radladen von Jürgen Geschke erzähle, schmunzelt er und erzählt, dass er mit „Tutti“ ( Spitzname der Radlegende), schon so manche Trainingsrunde gedreht hat. Wir reden anerkennend über den Geschke-Sohn Simon, der so erfolgreich in den Bergen bei der Tour de France war und freuen uns, dass wir Oldies immer noch auf dem Rad sitzen. Ich biege ab nach Norden und genieße die Weite, die Rinder und Pferde auf den Weiden. Bei Liebenwalde setze ich wieder Kurs Süd. Auf dem Radweg Berlin-Kopenhagen überhole ich einen Triathleten, der in lockerem Lauf sein Rad neben sich herführt. „Ich habe keine Panne, ich mache nur Lauftraining“. Ich bleibe auf meinem Taurine und enteile in Richtung Bernöwe. Wie mag es wohl jetzt dem Betreiber vom Trabi-Grill am Ortsrand gehen? Hält er schon Winterschlaf?

Er hat das Imbissgefährt noch nicht winterfest gemacht, bereitet aber die Technik auf den Winter vor. Wasser ablassen, alles reinigen und sicher einpacken. Ich bekomme trotzdem noch ein leckeres, gezapftes Bier und mache mich gestärkt und gut gelaunt auf den Heimweg.

In Schmachtenhagen locken keine Schnitzel, dafür aber Schuhe, Baumarktware, alles zu Supersonderpreisen. Nur an der Präsentation kann noch Einiges verbessert werden!

In Oranienburg erstaunen mich die „Tier-Elektroroller“ vor der Hochschule der Polizei. Wird hier der Nachwuchs auf die Mobilität der Zukunft vorbereitet?

E-Roller vor der Polizeihochschule

Auf dem Platz vor dem Oranienburger staune ich, mit welch schwerem Gerät die Mannen den Weihnachtsbaum aufrichten. Luise würde es sicher gefreut haben.

Luise von Preußen als Wandschmuck

Mein Taurine und ich haben die Ausfahrt genossen. Zu Hause warten wärmender Tee und leckere Lebkuchen und die beste Ehefrau von allen auf mich.

Das Gute liegt so nah

Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah. Lerne nur das Glück ergreifen, Denn das Glück ist immer da.“

In seinem Vierzeiler „Erinnerung“ schreibt Goethe genau das, was ich bei meiner kleinen Wanderung heute empfinde. Nur wenige Schritte sind Kindelwald und Kindelfließ entfernt. So kann ich in wenigen Minuten den Duft des Waldes erreichen, das bunte Herbstlaub bewundern.

Die Spitzahorne haben ihre Blätter abgeworfen, in herrlichen Gelb- Braun- und Rottönen lachen sie mich an. Das Kindelfließ ist dicht bedeckt mit grünen Wasserlinsen, auch Entengrütze genannt. Eine ideale Projektionsfläche für die Schatten der Erlen auf der südlichen Seite des Wasserlaufs.

Das Kindelfließ trennt den Kindelwald vom Moorgebiet um den Kindelsee. Hier tummeln sich Kröten, Lurche, Biber, Enten und können nicht von aufdringlichen Menschen gestört werden. Keine Brücke führt über das Fließ.

Die Nacht vom 21. auf den 22. November war frostig, im Schatten hält sich eine feine Eisschicht, die Wasserlinsen glitzern im Sonnenlicht.

Licht, Farben und die Düfte des Waldes und der Wiese – ich laufe langsam, atme tief und genieße. Über einen kleinen Damm quere ich das Kindelfließ hin nach Süden. Der Weg führt durch einen kleinen Ahornwald, an dessen Wiesenrand eine riesige alte Stieleiche wacht. Sicher mit einem Umfang von fünf bis sechs Metern, sie steht also mindestens seit 300 Jahren hier. Der Stamm ist zerfurcht und knorrig und dient einem kleinen Waldwichtel-Zwerg als Behausung. Vor Jahren hat ihn ein Baum- und Märchenfreund hier hineingesetzt. Viele Male habe ich ihn schon besucht und war erstaunt, ihn immer noch unversehrt zu erleben. Neuerdings ist vor ihm eine „Taufurkunde“ mit zwei stabilen Bügeln befestigt.

Waldwichtel samt Taufurkunde

Mein Weg führt mich hinüber nach Schildow und zum Tegeler Fließ mit dem Köppchensee und den Niedermoorwiesen bei Lübars.

Der Köppchensee blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück: Enstanden durch Torfabbau, wurde er danach teilweise als Müllkippe genutzt. Bis zum Bau der Berliner Mauer. Die nächsten 40 Jahre gaben dem Gebiet Zeit, sich in ein besonderes Biotop zu verwandeln. Heute kann man hier Reiher, Schwäne, Enten, Frösche und reichlich anderes Getier beobachten.

Schon bald erreiche ich Lübars, das älteste Dorf in den Berliner Stadtgrenzen. Ja, Lübars gehört zur Großstadt Berlin. Kaum zu glauben, denn Alt-Lübars hat so gar nichts mit Berlin gemein. Den historischen Ortskern ziert die schlichte Kirche mit dem mächtigen Maulbeerbaum neben dem Seiteneingang, gepflanzt in der Zeit des Alten Fritz um 1780. Einstöckige Häuser mit Stuckfassaden aus dem 19. Jahrhundert, daneben Reiterhöfe in Reihe. Lübars ist heute ein Reiterdorf.

An den Pferdekoppeln vorbei wandere ich nach Westen, vor mir schon im Blick die „Skyline“ der Schwarzwald-Hochhaussiedlung im Ortsteil Waidmannslust. Architekten wie Hans Scharoun und Paul Kleihues haben die Riesenklötze entworfen.

Schon bin ich wieder am Tegeler Fließ, das hier den Verlauf der ehemaligen Grenze genau markiert. Lübars gehörte zu Westberlin, Glienicke-Nordbahn und Schildow lagen in der DDR. Heute führt ein Wandersteg durch die Eichwerder-Moorwiesen hinüber in den Speckgürtel der großen Stadt. Grün und ruhig gelegen.

1500 Meter sind es noch bis vor meine Haustür. Zuerst grüße ich noch die alte Stieleiche am Pirschgang, dann staune ich über eine ganze Kolonie von Feuerwanzen, die sich auf der Borke einer Linde sonnen.

Fast 14 Kilometer bin ich heute durch die Herbstnatur gelaufen. Ein Genuss für Körper und Seele!

https://www.strava.com/activities/10262218700/overview

Vom Spätsommer in den Herbst – eine kleine Bilderreise

Herbstanfang. Alte und junge Schwäne suchen Nahrung am Boden des Finowkanals. Gründeln nennt man das.

In Zerpenschleuse rolle ich am Trödel entlang in Richtung Liebenwalde. Beim Café Emma Emmelie hängt dekorativ Häkelunterwäsche an der Leine. Der Froschkönig schaut zu.

In Liebenwalde biege ich wieder nach Süden ab und folge dem Radweg „Berlin-Kopenhagen“. In Friedrichsthal führt seit einigen Jahren eine Brücke über den Oder-Havel-Kanal, dort, wo früher eine Personenfähre fuhr. Die Gastwirtschaft Alte Fähre erinnert daran. Ich genieße ein tschechisches Bier aus wohlgeformtem Glase.

Eine Woche später rolle ich mit Wolfgang durch die Barnimwellen an die Oder, schlecke Eis und schlürfe Bier. Dazu Naturgenuss vom Besten.

Am 14. Oktober freue ich mich über die Finisher des Zeitfahrens Hamburg-Berlin, das ich selber neun Mal absolviert habe. Heute genieße ich meinen Altersbonus und kann die alten und neuen Randonneure in Alt-Gatow in Empfang nehmen.

Mit Ole und Olaf, Matthias, Christoph und Tino genieße ich leckeres Bier, wärme alte Geschichten auf und kurbele in der Nacht wieder heim.

Am 17. Oktober kurbele ich mit dem Taurine kreuz und quer durch Berlin. Auf dem Alexanderplatz sind Polizei und Reinigungsdienste im Einsatz. Klimachaoten haben sich an der Weltzeituhr vergriffen.

4. November, ich nutze den herrlichen, milden Tag und fahre hinein in den Mühlenbecker Forst mit seinem mittlerweile rotbunten Laubwald. Mitten drin das Schloss Dammsmühle. Eine ganze Reihe von Investoren arbeiten sich einigermaßen wirkungslos an dem Projekt ab. Wird es ein Hotel, eine Tagungsstätte, oder bleibt es eine halbfertige Ruine? Wer weiß es.

Herrlich, die alten Wälder mit Eichen, Buchen, Ulmen. Die Flatterulme in Ladeburg soll über 500 Jahre alt sein und hat einen Umfang von über 9 Metern. Was hat der alte Riese wohl schon erlebt und gesehen?

Ein harter Brocken – ein Blick zurück zum 600er im Jahre 2016 – schön war die Zeit!

Diesmal steht der „Höhepunkt“ der Brevet-Saison auf dem Programm: rauf auf den Brocken mit langem Anlauf. Rauf auf den höchsten Berg Norddeutschlands. Rauf auf 1142 Meter überm Meer.

„Viele Steine, müde Beine, Aussicht keine, Heinrich Heine“, so hat sich angeblich schon Heinrich Heine im Jahr 1824 im Gipfelbuch verewigt.

Zurück zum Start: Berlin zeigt sich an diesem Samstagmorgen von seiner freundlichen Seite. Milde 10 Grad zeigt mein Außenthermometer zu Hause um 5 Uhr, sanfter Nordostwind ist angekündigt. Niederschlag ist keiner zu erwarten. So packe ich eher dünne Sachen ein, trotzdem aber auch eine Regenjacke und Regenüberschuhe. Der Brocken ist immer für eine Überraschung gut!

Im Amstelhouse schreiben sich um die 40 bis 45 Starter in die Liste ein. Distanz und Streckenprofil haben für eine gewisse Selektion gesorgt.

625 Kilometer und ca. 4800 Höhenmeter sorgen für Respekt. Ralf ( 1001 Miglia Finisher), freut sich wahrscheinlich schon wie Bolle auf die ersten Anstiege.

Um kurz vor sieben machen sich die ersten auf die Strecke. Matthias, Peter und ich starten in der zweiten Gruppe zehn Minuten später.

Rainer gibt besonders im Gegenlicht der frühen Sonne ein wunderbares Fotomotiv ab. Die ersten fahren schon in „kurz-kurz“ ab. Mir ist es noch zu kalt – die Bein- und Armlinge bleiben erstmal dran. Entblättern kann ich mich noch früh genug bei der ersten Kontrolle in Beelitz.

Durchtrainierte Körper, definierte Waden – Der Kollege mit dem Regione-Piemonte-Fausto Coppi-Trikot hat augenscheinlich einen exzellenten Trainingszustand.

Um 8.53 Uhr erreichen wir Beelitz: Erster Stempel heute. Kein Kaffee, kein Brötchen, weiterfahren! Nur Peter verkündet, dass er umkehren will. Sein geliebtes iPhone will und will keine Netzverbindung aufbauen, und er hat wohl das mögliche Szenario einer Panne nachts mitten im Harz, allein auf weiter Flur, im Kopf. Ohne Telefon. Wir können ihn nicht überreden, weiterzufahren.

Auf den nächsten 80 Kilometern bis nach Zerbst bleibe ich eine Weile bei den Schnellen, lasse aber dann doch abreißen. Ich will und ich darf nicht meine Kräfte schon vorm Harz verpulvern. In Zerbst fülle ich meine Trinkflaschen auf – ich habe brav bis hierher 1,5 Liter Traubenschorle in den Körper geschüttet. Und ein Salamibaguette lacht mich an. Da muss ich gar nicht meine Vorräte angreifen. Lange Kilometer bin ich allein auf weiter Flur. Bin ich bei einem Brevet unterwegs?? Dann kommt die Elbfähre in Tochheim in Sicht. Schlechtes Timing: Die schnelle Gruppe hat soeben abgelegt und grüßt über die Elbe herzlich ( natürlich kein bisschen schadenfroh) zurück. So komme ich zu einer wohlverdienten Pause, reiße ein Snickers auf und vertilge es genüsslich. Matthias und ein weiterer Randonneur rollen heran.

Auf der Fähre sind wir dann zu dritt und wieder ein kleines Team. Zig Kilometer bin ich schon hinter, neben und selten auch vor Matthias mit seinem schnellen Troytec-Lieger gefahren.

Ein paar Kilometer weiter stehen wir unvermittelt in einer Baustelle.

Wo bisher eine Brücke stand, klafft jetzt ein Wassergraben mit herausstehenden Brückenstümpfen. Unser Begleiter meint trocken: Nimm dir ein Brett und schwimm rüber! Wir entscheiden uns für den Rückzug aufs Trockene und fluchen über den Zwangsumweg.

Bei der Suche der kürzesten Strecke hin zum Ursprungstrack lotse ich Matthias über einige Kilometer Plattenweg mittlerer Qualität. Als wir wieder „auf der Spur“ sind, dann die nächste Überraschung: Die Straße nach Calbe ist auch gesperrt. Weil wir nicht nochmal vorm Wasser stehen wollen, entscheiden wir uns, über Nienburg nach Staßfurt zu fahren, und werden dafür mit einer knackigen Baustellen-Pflasterpassage belohnt. Macht nichts, das härtet nur ab. Auf der Suche nach einem „Pausen-Café“ fahren wir und fahren wir und fahren wir. In Quedlinburg gönnen wir uns leicht gefrustet von der Anhaltinischen Servicewüste in einer Tanke Kaffee und Brötchen. Obwohl, das muss gesagt werden, die Altstadt von Quedlinburg überaus sehenswert und gastlich ist. Davon konnte ich mich in einem Kurzurlaub im  Jahr zuvor überzeugen. Heute haben wir es eilig und lassen das historische Kleinod links ( eigentlich doch rechts) liegen. Der nächste Kontrollpunkt ist Blankenburg am Fuße des Harzes. Kilometer 221. Um kurz vor fünf arbeiten wir uns bei Heimburg in die erste Rampe hinein. Matthias lässt mich langsam davonziehen. Schön, dass ich auf meinem „Upright“ auch mal einen Vorteil genießen darf. Den Berg hinauf muss Matthias hart arbeiten. Und aus dem Sattel gehen kann er auf seinem Lieger auch nicht. Was soll´s, sagt er sich und beißt sich in den Berg hinein.

Mein Freund Peter W. fährt dieses Mal nicht mit, hat aber für uns dafür eine besondere Überraschung bereit: Er hat auf dem Parkplatz in Schierke vor dem Brockenanstieg mit seinem Campingmobil Position bezogen. Heiße Bockwürste, Brötchen und kalte Getränke stehen für die Hinaufstrebenden bereit. DANKE!!! Peter, du hast uns einen großartigen Dienst erwiesen und bekommst den  Titel „Super-Service-Randonneur“.

Meine Satteltasche, Gewicht 2,6 kg, kann ich bei Peter im Bus deponieren und mir so den Aufstieg erleichtern. Die „Bergziegen“ sind schon wieder unten, als wir unten losfahren. Dafür sind sie im Gegensatz zu uns in einem typischen Brocken-Schauer richtig nass geworden. Uns bleiben Pfützen und aufsteigender Dampf.

Auf den ersten Kilometern beginnt die Steigung sanft – trügerisch! Ab 800 Metern Höhe wird es steiler, drei ganz fiese Rampen mit deutlich über 10 % sind zu drücken. Hier bereue ich, dass ich mein 32er Ritzelpaket doch nicht montiert habe. Mit max. 27 Zähnen ist es schon ziemlich hart. Aber ich komme ohne abzusteigen hinauf. Nur ein Foto von der querenden Brocken-Bahn muss sein.

Schnaufend und dampfend arbeitet sich die historische Lok den Berg hinauf. Ganz so wie wir auch.

Mein Endurace ruht sich am Brocken-Museum aus. Ein Stempel im Kontrollheft, den ich im „Touristensaal“ holen will, wird mir wegen akuter Überfüllung und Überforderung des Personals verwehrt. Knurrig gehe ich wieder durch die Wandertouri-Schlange nach draußen. Eine nette Dame macht dann ein paar Beweisfotos von mir. 260 Kilometer.

Heinrich Heine war schon 1824 hier oben. Im Gegensatz zu ihm kann ich eine herrliche Fernsicht genießen.

Und runter geht es wieder in wärmere Regionen. 10 Minuten Abfahrt, kalte Finger, kalte Nase. Beim Passieren des Brocken-Bahnhofs kommt mir Matthias entgegen. Chapeau! Mit dem Lieger hier hinauf zu reiten! Wieder in Schierke angekommen, gönne ich mir noch eine leckere Wurst aus Peters heißem Topf, befestige wieder mein neues Ortlieb-Saddle-Pack und mache mich nachtfein. Nach 15 Minuten bin ich – ab jetzt allein – wieder auf der Strecke. In Sangerhausen gibt es den nächsten Stempel. 75 zähe Kilometer quer durch den Harz – immer rauf und runter … Die untergegangene Sonne wird vom fahlen, durchscheinenden Mond ersetzt. Richtig stockdunkel wird es nicht. Die Straßen sind trocken, die Luft recht mild. Also gibt es keine Ausrede, diese Etappe nicht mit Anstand zu fahren. Eine kurze Pause lege ich in einer komfortablen Blockhaus-Bushalte ein. Fünf, sechs Lichtfinger erhellen die Straße, dann ein Ruf: „Dietmar, alles o.k?“ Alles gut, antworte ich wahrheitsgemäß. Ich meine Rainer erkannt zu haben. Immer fragt er mich zu den unmöglichsten Zeiten, an einsamen Orten nach meinem Wohlbefinden. „Es gibt keine Zufälle“,  danke Rainer!

Nach Sangerhausen rausche ich aus den letzten Hügeln von 500 auf 150 Meter Höhe hinunter. Die Supernova E3 habe ich ein klein wenig höher eingestellt als sonst. Eine klasse Fernsicht habe ich so und kann mit gutem Gefühl Speed machen. Genau in dieser Abfahrt muss es Matthias erwischt haben. Er ist gestürzt und hat sich Vorderrad und Bremse ruiniert, schreibt er mir per sms. Gottlob ist er heil geblieben und kann mit dem Zug nach Hause fahren.

Kontrollpunkt Nr.4: Die Dame von der Aral-Tankstelle zeigt sich auch um 1.24 Uhr bestens gelaunt, öffnet per Knopfdruck für den Kollegen mit Mercedes-Beresa-Trikot und mich die Schiebetür, drückt uns den Stempel ins Heftchen und serviert dann heißen Kaffee und Baguette. Köstlich! 347 Kilometer.

Bis hierher bin ich ohne große Pausen gefahren, nach den 70 Harz-Hügelkilometern sagt mir aber mein Körper, dass er jetzt sofort Ruhe braucht. Also frage ich die nette Tankwartin, wo ich in Sangerhausen eine schöne Sparkasse finden kann. Geradeaus, bis zum Kreisverkehr und dann noch 200 Meter – genau! In einer alten Villa prunkt die Sparkasse mit einem Vorraum der Luxusklasse. Warm, sauber, groß, ruhig. Nur ein wenig hart ist der Granitboden. Ansonsten top und ideal für ein Stündchen Ruhe. Guten Mutes starte ich danach in die letzte Harzetappe nach Ballenstedt. Nochmal 45 Kilometer „Harz querdurch“. Mit zwei Kurzpausen in Bushaltestellen und gefühlten 50 Anstiegen rolle ich vor dem Hotel „Auf der Hohe“ in Ballenstedt aus. Und wieder einmal werde ich mit überragender Gastlichkeit überrascht. Durch einen Seiteneingang dürfen die müden Randonneure ins Hotel hinein. Und als Luxus wird der Tresenraum einfach umfunktioniert zur Radler-Herberge. Die Wirtin macht mir einen Teller Soljanka warm, dazu trinke ich eine große Apfelschorle. Wunderbar! 390 Kilometer.

Beim Kauen und Schlürfen begleitet mich das Schnarchen und tiefe Atmen von Ingo, Andy, Ralf und noch drei weiteren „Harzer Rollern“. Was tun? Auch Ausruhen oder einfach weiterfahren und so wieder Anschluss an die Schnellen haben? Weiterfahren, sagen mir Körper und Wille. Ab also, raus in den frühen Morgen! Gegen sechs Uhr bin ich wieder auf Kurs.

Die Luft ist angenehm, die Kräfte kommen zurück. Nur 35 Kilometer bis Staßfurt, zur Kontrolle Nr. 7. Nur ein Stempel, sofort bin ich wieder auf dem Rad. 426 Kilometer. Es rollt! Ich nähere mich wieder der Elbe, passiere Aken und arbeite mich vor nach Dessau. Am Elbufer lacht mich dann eine versteckte Bank zum Kurzschlummer an. 20 Minuten runterkommen, das tut gut. Weiter nach Dessau, über die Brücke hinein in die Stadt zur Aral-Tanke. Ankunft 11.02 Uhr.

Hier wartet wieder ein Déjà-vu auf mich – in Form der dort pausierenden schnellen Truppe. Andy, Ingo, Ralf… Alle sind wieder beisammen. Nur ich habe ein paar Stunden weniger Schlaf bekommen als die Schnelleren. Wie lautet doch die alte Randonneurs-Weisheit: In den Pausen werden die Brevets entschieden. Leider komme ich gänzlich ohne Pausen auch nicht zurecht. Andere dürfen schneller sein! Aber ja doch, es sei ihnen gegönnt. 481 Kilometer.

Ich lasse die Gruppe fahren, verweile noch 10 Minuten und rolle dann wieder hinein in meinen Rhythmus. 100 Kilometer bis Trebbin, in fünf Stunden sollte das zu schaffen sein, auch mit leicht angebrauchten Kräften.

Passt! Um kurz nach 16 Uhr kommt die Total-Tanke in Trebbin in Sicht. Und wer steht schon wartend davor: Ja, die schnelle Truppe um Ingo, Ralf und dann auch Andy. 582 Kilometer.

Noch 42 Kilometer bis zum Ziel. Netterweise laden mich die Kollegen ein, die letzte Etappe im Windschatten mitzurollen. „Randonneurs-Solidarität!“ ich nehme das Angebot an, und wir kurbeln mit knapp unter 30 km/h gen Hauptstadt. Selbst in der Stadt geben die Kollegen noch mächtig Gas. Ampelstarts, Ampelhalt und immer wieder. Echtes Kraft-Ausdauertraining, und das nach mehr als 600 Kilometern. Ganz zum Schluss ruft Ralf zur Mäßigung. Die letzten drei Kilometer lassen wir ausrollen. Danke fürs Mitnehmen. Sonst wäre ich hier 30 Minuten später eingerollt.

Ein Dank geht hier an Gerhard, dessen kleine Foto-Dokumentation der Zielankünfte ich nutzen darf.

Was war das für ein Brevet! Knackig, fordernd, vielfältig, …625 Kilometer.

Heiße Lasagne, kühles Weizenbier, spendiert von Ralf! Ein runder Abschluss des Brocken-Brevets. Ein harter Brocken eben!

Danke an Ralf, Ingo und Klaus. Ihr habt uns wieder einmal an die Grenzen gebracht – und wieder zurück.