Bäume, Wasser und riesige Findlinge

Nach Nordosten, bis die Oder kommt. Das ist das Motto meiner Freitagstour. Über die Barnimwellen nach Heckelberg und Kruge. Dann den Feldweg hinüber nach Krummenpfahl. Mein Auge kann sich nicht sattsehen an der ergrünenden, erblühenden Natur. Bei zwei Eichen liegt ein mächtiger Findling, der mich zur ersten Pause animiert. Das Alter der Bäume schätze ich auf etwa 100 Jahre, der rundgeschliffene Granit hat am Ende der letzten Eiszeit vor 10000 Jahren hier seine Reise, die irgendwo in Skandinavien begann, beendet.

Von der schon kräftig strahlenden Sonne erwärmt, fühlt der Stein sich angenehm wohlig an. Die kupfergrüne Spitze der Gersdorfer Kirche lugt über den Feldhorizont. Nur ein paar Minuten weiter, in Dannenberg, grüße ich die Gerichtslinde. In ihrem 500-jährigen Leben von Blitzeinschlägen mehrfach malträtiert, steht sie immer noch trotzig da und treibt auch in diesem Frühjahr wieder frische Triebe.

Gerichtslinde in Dannenberg bei Freienwalde

Dann schwinge ich mich in den Wald hinunter nach Bad Freienwalde, vorbei an der Skisprungschanze, die mir immer wieder aufs Neue in dieser Gegend deplatziert vorkommt. Mit fast 50 km/h rausche ich hinunter in die Altstadt. Beim Bäcker im Norma-Supermarkt vertilge ich eine Riesenschnecke und schlürfe einen genauso riesigen Milchkaffee. Die Bedienung ist wie immer freundlich, und mein Granfondo habe ich direkt vor mir im Blick. Auf dem Titel der am Wandhaken feilgebotenen BILD lese ich, dass Fürst Albert „die Krise wegwinkt“. Was auch immer damit gemeint ist … Die Titelseite zu lesen reicht mir allemal.

Ich reiße mich von der Qualiätslektüre los und kurbele weiter nach Schiffmühle, vorbei am Fontanehaus, hinüber nach Altglietzen und Hohenwutzen. Die Äcker und Wiesen im Oderbruch ähneln nach dem nassen Winter immer noch einer Seenlandschaft.

Endlich bin ich auf dem Radweg am Ufer der Oder. Blauer Himmel, tiefblaues Wasser, überflutete Auen. Die Bäume haben nasse Füße. Zwei Schwäne ziehen würdevoll ihre Bahnen. Ich denke an Fontanes Zitat :

Der Reisende in der Mark muß sich … mit einer feineren Art von Natur- und Landschaftssinn ausgerüstet fühlen. Es gibt gröbliche Augen, die gleich einen Gletscher oder Meeressturm verlangen, um befriedigt zu sein. Diese mögen zu Hause bleiben“

Ich sauge die Natur einfach ein in meine Seele, das tut gut.

Vogelgezwitscher, weidende Rinder, blühende Sträucher. Da rollt es leicht und lustvoll. Allein bin ich auf weiter Flur. Keine Radler, nur ein paar Wanderer sind unterwegs. Eine Stunde später stehe ich an der Brücke bei Stolpe, staune wieder einmal über den „Grützpott“, der klotzig seit geschätzt 800 Jahren über der Hangkante thront.

Zeit für eine kleine Pause. Ich genieße einen Proteinriegel und bin froh, dass ich zwei Trinkflaschen dabei habe. Bei 16 milden Grad verlangt der Körper Flüssigkeit. Als ich nachschaue, wann die Züge von Schwedt, meinem geplanten Tagesziel, nach Berlin fahren, sehe ich erstaunt: „Schienenersatzverkehr“ bis Angermünde. Und Busse transportieren Fahrräder bekanntlich nur, wenn man Glück hat. Darauf will ich mich nicht verlassen und setze Kurs in Richtung Angermünde. In Alt-Galow quere ich die Alte Oder über die Brücke und arbeite mich die Rampe nach Schöneberg hoch. 50 hm können auch ganz schön in die Beine gehen. Über Felchow erreiche ich die Bundesstraße 2, die nach Angermünde führt. Leider viel befahren und auf den ersten Kilometern ohne Radweg. Bei Dobberzin biege ich nach Kerkow und dem Mündesee ab. Endlich wieder Ruhe. Der Weg wird sandig, dann rumpele ich über einen so typischen Plattenweg mit Kanten und Löchern. Ich bin auf dem Mündeseerundweg, der mich in großem Bogen erst nach Osten, dann nach Süden zur Stadt führt.

Am höchsten Punkt des Weges steht diese mächtige Findlingsplastik mit dem Namen „Leuchtturm“, gebaut vom niederländischen Bildhauer Ton Kalle. Von hier hat man einen herrlichen Blick auf den See und Angermünde. Eine gute mentale Entschädigung für die Rüttelfahrt auf dem Plattenweg. Mein Granfondo läuft wie immer perfekt und harmoniert sehr gut mit dem Aeropack von Tailfin. Nichts wackelt, nichts klackert. Mit gutem Grund haben sich so viele Ultradistanz-FahrerInnen für die Gepäckbrücke der Engländer entschieden. Für mich ist das die ultimative Tasche für lange und auch kurze Touren, denn sie wiegt knapp 1 kg, ist absolut wasserdicht, wirkt bei Regen wie ein Schutzblech, und sie ist bequem zu beladen und zu komprimieren. Heute wäre ich natürlich auch ohne Oberrohrtasche und die Tailfin ausgekommen. Aber so ein Test vor den nächsten Mehrtagestouren beruhigt enorm.

Ich verlasse den Leuchtturm und freue mich, dass der Plattenweg endet und ein asphaltierter Abschnitt folgt. Die Silhouette der Stadt Angermünde suggeriert eine viel größere Stadt als diese mit etwa 13.000 Einwohnern. Am Seeufer am Altstadtrand erwarten mich weitere Findlings-Kunstwerke. Monumental immer, manchmal brutal, andere filigran.

An einem Anlegesteg neben dem „Segel mit Durchsicht“ komme ich mit einem Radler in meinem Alter ins Gespräch, der sein Bike auch langstreckentauglich ausgerüstet hat. Er wohnt schon seit 20 Jahren hier und fühlt sich offensichtlich wohl. Der Bürgermeister gehört keiner Partei an und hat in den vergangenen 10 Jahren viel Kunst und Kultur hier etabliert. Ein guter Grund für mich, zu einer intensiven Stadtbesichtigung bald wiederzukommen. Der Zug nach Berlin fährt in knapp einer Stunde. So rolle ich noch gemütlich bis Chorin, steige dort in den RE3 und gönne mir noch die 26 km von Bernau aus bis nach Hause. Knapp 150 km sind es heute geworden.

Natur, Kultur, Menschen … was will ich mehr. Schön war es.

4 Kommentare zu „Bäume, Wasser und riesige Findlinge

  1. lieber Christoph, ich erinnere mich an die „Meerglas“-Randonneure von Tom Becker in Groß Lüben. Schon bei einem 300er nach Norden habe ich das Rad von Alexander Wegener bewundert. Feine Teile! all the best von Dietmar

  2. Lieber Dietmar,

    es gefällt mir sehr, wie Du immer wieder Neues und Schönes aus dem so einseitig dargestellten Brandenburger Land berichtest. Solche Erkundungen aus erster Hand in den Dörfern haben Seltenheitswert. Randonneure werden übrigens auch in Groß Lüben bei Bad Wilsnack gebaut. Zwinker und danke

    Christoph

  3. Sehr schön entspannt nach dieser Erzählung – so soll Radfahrlektüre sein. Ich freue mich immer über die schönen Bilder, die Du mitbringst.

    Grüsse aus Hannover, Stefan

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