3. Etappe entlang Elbe, Saale und Unstrut

Merseburg – Leuna – Bad Dürrenberg – Weißenfels – Naumburg – Freyburg

Zumindest die Dusche funktioniert im Westfalia-Hotel. Und recht ruhig war die Nacht. Das letzte Fläschchen Budweiser habe ich nicht mehr geschafft, so kann sich Putzfrau oder -mann ein warmes Schlückchen beim Saubermachen gönnen. Um acht Uhr verlasse ich die ungastliche Stätte und lenke das Granfondo und meine Gedanken hinaus aus dem Gewerbegebiet nach Süden, wieder an die Saale. Hinein in die Natur. Eine halbe Stunde später erreiche ich bei Döllnitz einen Flussradweg, nur nicht den an der Saale, sondern den an der Weißen Elster, die ein paar Meter weiter in die Saale mündet. Folglich trägt das bewaldete Gebiet auch den Namen Saale-Elster-Aue. Noch 20 Minuten, dann das erste Schild: „Domblick“. Gemeint ist das eindrucksvolle Turm-Ensemble von Merseburg.

Merseburger Dom und Schloss

Die Kulisse ist herrlich, mein knurrender Magen, der auf ein Frühstück wartet, verhindert aber längeres Verweilen. Mit Vorfreude auf ein nettes Café und leckere Brötchen rolle ich hinein in die alte Stadt. Nur ist sie um neun Uhr leider noch nicht aufgewacht. Die Plätze sind leer, die gastlichen Stätten schlummern noch.

Marktplatz mit Staupenbrunnen

Ich hoffe auf die Innenstadt und lasse mich durch die Hinweisschilder zum Dom und zum Schloss locken. Sehr eindrucksvoll, sehr alt, aber auch hier kein Kaffeeduft in der Luft.

Diese Boulangerie ist Geschichte. Die Kreideaufschrift an der Türtafel lässt vermuten, dass der Schreiber kein Muttersprachfranzose ist. Die Fensterläden am nächsten Haus sind auch nicht mehr in bestem Zustand. Nur wenige Meter weiter kann ich aufwändig restaurierte Bauten bestaunen. Im alten Schloss residiert jetzt die Saale-Kreisverwaltung.

Dieses so schöne Städtchen will mich einfach zu dieser Zeit ( noch) nicht. Unschlüssig rolle ich durch die Fußgängerzone, wo vor einer Bäckerei einige hungrige Handwerker die Tische besetzt haben. Irgendwann habe ich keine Lust mehr, weiterzusuchen, und setze Kurs Süd, hinaus aus Merseburg, hinein in die Geschichte und Neuzeit der Chemieindustrie von Leuna. So historisch beeindruckend die eine, so kalt und industriell, aber durchaus eindrucksvoll wirkt die Industriestadt mit dem riesigen Chemiepark. „Zukunftsort Sachsen-Anhalt“, lese ich.

Und plötzlich ist es da, das Bäckereicafé mit überdachter Terrasse – in Leuna, direkt gegenüber dem alten Eingangstor zu den Chemiewerken.

Nach dem Vertilgen des Käsebrotes und mit dem Milchkaffee im Magen, gibt mein Körper das Signal, wieder aufzusteigen und den Saale-Radweg aufzusuchen. Nach einer Umwegschleife durch die sehenswerten historischen Arbeitersiedlungen tauche ich endlich wieder in die Natur ein. Der Auenwald duftet, die Vögel tirilieren. So habe ich mir das gewünscht. In Bad Dürrenberg bestaune ich den alten Salzförderturm, in dem mittels Pumpenanlagen die Sole nach oben und dann in die Salinen befördert wurde.

Industriekultur, Bäderkultur, es gibt viel zu sehen hier. Tagelang könnte ich verweilen, ohne Langeweile zu bekommen. Heute aber will ich weiter radeln an der Saale entlang. Ich genieße die Ruhe und das Mit-Mäandern des Radweges mit dem Fluss. Weißenfels ist die nächste Stadt. Ich kurve hindurch und sehe alt neben neu, Glanz neben Grau.

Die Stadt fängt mich heute nicht ein, lieber fahre ich nach einer kleinen Pause am Saaleufer weiter in Richtung Naumburg. Noch hält das „Spätstück“ vor und noch ist eine Trinkflasche voll. Das sollte reichen bis Naumburg, oder besser sogar bis Freyburg, das ich noch gar nicht kenne. Auf dem Radweg, ca. fünf Kilometer vor Naumburg, treffe ich einen Langstrecken-Reiseradler, der seinen E-unterstützten Wilier-Renner schiebt statt fährt. Er hat ein ähnliches Erlebnis mit Plattfüßen, Flicken und Luftverlust wie ich zwei Tage zuvor. Ich biete ihm Hilfe an, er hat aber Lust, ein Stündchen bis zur Stadt zu laufen und dann einen Radladen zu suchen. Nach seinen bisher zurückgelegten ca. 1500 Kilometern von Augsburg zur Ostsee und retour scheint er auch ein paar Wanderstunden gerne zu verkraften. Ich lasse die Domstadt links liegen und folge der Saale bis zur Einmündung der Unstrut. Weinberge kommen in Sicht. Habe ich da einen Hinweis zu einer „Straußenwirtschaft“ gelesen? Auf den nächsten Kilometern ändert sich der Ausdruck von Landschaft und Kultur. Ich fühle mich angenehm hineinversetzt in eine typische Weingegend. Steil ragen die Rebhänge auf, und auf jedem Felsabsatz klammern sich Häuschen und Villen in den Hang.

Vorsorglich habe ich meine Unterkunft schon mittags gefunden und gebucht: Das Weinberghotel Edelacker, direkt neben dem Schloss ganz oben auf der Hangkante gelegen. Durch das Städtchen Freyburg kurve ich mit wachsender Vorfreude auf Wein und Gastlichkeit. Doch bis dorthin muss ich noch ein paar Höhenmeter wegdrücken. An Weinbergen vorbei, durch Wald und dann auf einer schmalen Straße hinauf zum Schloss.

Oben angekommen, fahre ich zunächst bis zum Schloss durch. Ich will die Aussicht und die Baulichkeiten erleben und werde reichlich belohnt. Neuenburg ist eine mächtige Burganlage, der Ausblick auf Freyburg und die Weinberge grandios. Wenn jetzt auch das Hotel noch passt … Es passt wunderbar. Das Granfondo bekommt sogar einen eigenen kleinen, abschließbaren Schuppen für die Nacht. Ich breite meine Sachen im Zimmer aus, dusche und lustwandele auf die Aussichtsterrasse, suche mir einen schönen Platz und darf einen erstklassigen Weißburgunder schon einmal als Aperitif vor dem Essen genießen.

An diesem Abend gibt es ein Büffet für alle Gäste – draußen. Ganz schön gewagt, denn im Westen verdichten sich die Wolken und schieben sich näher heran. Der Küchenchef bleibt entspannt, das Büffet wird aufgebaut, eine ganze Reisegesellschaft aus Verden an der Aller wird begrüßt, ein Liedermacher macht seine letzte Probe vorm Auftritt. Andreas Max Martin, eine mehr als nur lokale Größe. Großes Kino also heute. Und Action ist durch einen erfreulicherweise nur wenige Minuten durchrauschenden Regenschauer auch noch geboten. Ich genieße geradezu die Tropfen – die im Glas und die von oben.

Alles in Allem: Ein herrlicher Ausklang einer erholsamen 85-Kilometer-Kurzetappe!

Freyburg ist eine Reise wert.

4 Kommentare zu „3. Etappe entlang Elbe, Saale und Unstrut

  1. Hallo Rüdiger, mit Deinem Kommentar hast Du eine sehr substanzreiche Ergänzung zu meinem Bericht geschrieben. Und von einem Insider Sachsen-Anhalts ist das umso mehr wert. Besonders Merseburg, wo ich einige Schleifen gedreht habe, ist mir sehr ambivalent erschienen. So schön restauriert auf der einen Seite, so verfallen direkt daneben. Wenig konsequent, nicht durchgehalten… Aber die historische Substanz ist allemal beeindruckend. Genauso habe ich Weißenfels erlebt. Und so wohltuend die Freundlichkeit der Menschen und die Hilfsbereitschaft.
    Halle habe ich offensichtlich , zumindest was die Hotellandschaft betrifft, untypisch erlebt. Als ich den Namen „Stadt-gut-Hotel- Westfalia las, habe ich zu unbedacht auf den Buchungsknopf gedrückt. So habe ich zumindest ein unvergessliches Erlebnis geerntet. Halle ist sicher eine sehenswerte Stadt, die ich auch gerne spätabends erlebt hätte. Mitten drin… Freyburg hat das locker wettgemacht.

    bleib munter und gesund

    all the best

    Dietmar

  2. Na, da hast du ja die Verhältnisse in Haseloffs kleiner DDR kennengelernt. Merseburg (eigentlich eine der ältesten Städte Deutschlands mit entsprechender Geschichte) ist neben vielen anderen post-DDR-„Siedlungen städtischen Typs“ symptomatisch für die Sorte Politik, die in diesem Bundesland getrieben wird – nicht zuletzt, was sanften Tourismus und daran hängende Gewerke und Gewerbe angeht. Ich bin 2000 aus OWL hierher gezogen und auch nach >20 Jahren fassungslos über die absolute Begriffsstutzigkeit, die komplette Unfähigkeit langfristig zu Denken, die kleinkarierte provinzielle Korruptheit (ich sage nur: EU, Saalekreis und der Saaleradweg) und das glühende Bekenntnis zum Durchschnitt, der dann in diesem Bundesland tagtäglich und völlig folgerichtig grossmäulige Feste feiert (s. a. Bauhaus Dessau und dessen politisch erzwungener Leitungswechsel). Das Positive: Die Sachsen-AnhaltINer selbst sind den Westfalen wesensverwandt, sehr hilfsbereit und so kann man die Haseloffsche Katastrophe dann etwas neutralisieren. Und die Landschaft ist auf ihre Weise sehr schön, wenn man sie lässt – von der Köthener Ebene vielleicht mal abgesehen.

    Und: In Halle (wo ich wohne) hast du tatsächlich das schlechtest denkbare Quartier gefunden – das „Hotel“ war mal, äh, integraler Bestandteil eines Westfalia-Baumarktes 😉 und sollte das Fußvolk der Blühenden Landschaftgärtner bis zum Vetragsabschluß beherbergen. In der Innenstadt (und der sog. Südlichen Innenstadt) gibt es zahlreiche empfehlenswerte Pensionen und kleinere Hotels und selbst die Jugendherberge in der Nähe des Steintores kann sich sehen lassen. Ich nehme mal an, der Quartiervorschlag ist eher eine Folge von booking.coms Vertragspraktiken…

    Davon abgesehen: Ein (wie immer) interessanter Bericht über mein Rennrad-Hausrevier. Du hast damit schon jetzt mehr wirksame Werbung für das Bundesland gemacht, als eine ganze Regierungsbehörde in drei Jahren ;-).

    RM

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