2. Etappe entlang Elbe, Saale und Unstrut

Magdeburg – Bernburg – Halle

Nach einem reichhaltigen Frühstück befreie ich das Granfondo wieder aus dem Motorradkeller, wo es neben mehr oder weniger gut restaurierten Maschinen aus den 50er Jahren offensichtlich eine gute Nacht verbracht hat. Der hintere Reifen hat die Luft gehalten, und so hänge ich zufrieden die beiden Gravel-Packs wieder am Tubus-Träger ein. Die Trinkflaschen sind gefüllt, die Akkus von Garmin und iPhone auch. Die gestrigen 182 Kilometer habe ich dank gutem Abendessen und langem Schlummer gut verdaut. Es ist kurz nach acht, und schon wieder lacht die Sonne bei milden Temperaturen. Ich setze Kurs Süd, an Magdeburg vorbei, der Blick reicht weit hinein in die abgeernteten Felder der Börde. So träume ich vor mich hin, als – war da nicht wieder das Gefühl des weich werdenden Hinterbaus? Untrüglich, schon wieder schleicht die Luft sich durch ein Leck aus dem Schlauch hinaus. 500 Meter weiter stehe ich bedröppelt auf dem Parkplatz eines Autohändlers. Nur heute , bei Plattfuß Nummer drei, habe ich keine Co2-Kartusche mehr zum Aufpumpen, und zu allem Übel baut die kleine Carbon-Handpumpe aus dem Erbe eines alten Freundes fast keinen Druck auf. Das Gummi, das den Ventilschaft dicht umschließen sollte, ist im Laufe der Zeit spröde geworden. Und das ist dem Ding halt nicht anzusehen. Ich fluche laut, aber genauso vergeblich vor mich hin. Die Ursache des Luftverlustes war offensichtlich der innovative , aber leider nicht mehr gut haftende, nicht hitzeresistenten Flicken. Jetzt weiß ich das auch. Und was nützt ein neuer, unversehrter Schlauch, wenn man ihn nicht vernünftig aufpumpen kann. „Wenn man kein Glück hat, kommt auch noch Pech hinzu!“ Ich befrage Google nach Radgeschäften in der Nähe und werde in Olvenstedt, zwei Kilometer entfernt, fündig. Also Abmarsch auf Schusters Rappen und immer schön die entlastende Hand am Hinterbau. Eine halbe Stunde später stehe ich vor dem Radladen.

Der Aufkleber an der Ladentür schafft deprimierende Klarheit. Wo ist denn der nächste Laden, frage ich Google Maps. Noch einmal 1,5 Kilometer, und Lemmy´s Fahrradcenter soll tatsächlich geöffnet haben. Das Schieben fällt leicht, mit dieser Perspektive. Nach 20 Minuten empfängt mich Ingo Lehmbruch vor seinem Laden, mitten in einem Wohngebiet. Nach fünf Minuten weiß ich: Auch hier bin ich an einen Magdeburger Radsportler von Format geraten. Umso schöner – er berät gut und launig, und nach 15 Minuten habe ich neue Kartuschen, neue Schläuche und eine schöne, kleine Pumpe bekommen. Luft auf den Reifen, Sachen einpacken – herzlichen Dank an den Sportler und Schrauber –, und frohgemut begebe ich mich um 10.30 Uhr wieder auf Kurs. Es rollt gut, und ich leiste mir ein paar Rumpelumwege durch die Bördehügel, vorbei an einem riesigen Motocrossgelände. Dann schnurstracks durch nach Süden in Richtung Bernburg an der Saale , das ich noch von einem 600er Brevet positiv in Erinnerung habe. Wie kann Radfahren doch schön sein, mit genügend Druck in den Reifen, genügend Reserveschläuchen und einer funktionierenden Pumpe ausgerüstet!

Am Ortsrand verdreht mir eine ganz besondere Siedlung den Kopf: „Zickzackhausen“ Hier wurden um 1930 im Bauhausstil etwa 90 Häuser von ursprünglich ganzen 2800 geplanten samt Versorgungsgeschäften und Gemeinschaftsanlagen gebaut.

Beeindruckend zu lesen, welche Geschichte hinter den schlichten Bauten steckt. Das historische Bernburg dagegen, ein paar Meter tiefer an der Saale gelegen, wirkt beschaulich und herausgeputzt. Die Poststraße ist mit einer Reihe von Skulpturen an einem Wasserlauf gestaltet. Und das Schönste: In einem Bäckerladen bekomme ich einen riesigen Milchkaffee und ein genauso riesiges Stück Kuchen.

Ich bin froh, auf den Saale-Radweg einbiegen zu können, gesäumt von gepflegten kleinen Orten. Die Saale mäandert wunderbar durch die Auenwälder. Der Weg ist abschnittweise noch feucht, aber gut zu fahren. Die Düfte von Bäumen und Blumen würzen die Luft. Hier könnte man auch sehr gut wandern und Vieles noch intensiver als beim Radeln erleben und entdecken.

Am späten Nachmittag erinnere ich mich an den Hotelsuchprozess des Vortages und beschließe, jetzt und hier so lange booking.com zu quälen, bis ich eine Unterkunft gefunden habe. In Brachwitz wechselt der Radweg die Saaleseite, und eine kleine Fährfahrt wird nötig. Eine ideale Zwangspause zum Suchen.

In diesem Jahr haben die Fluten andere Teilen des Landes heimgesucht. Aber auch hier wissen die Menschen, was Hochwasser bedeutet. – Ich werde schnell bei meiner Hotelsuche fündig: „Hotel Stadt-gut Westfalia“ hört sich doch ordentlich an. Der Preis passt. Flugs buche ich ein Zimmer. Bis Halle sind es noch wenige Kilometer. Was ich nicht bedacht hatte, ist die Lage der Unterkunft im Ostteil der Stadt. Aber, aber, Halle ist doch historisch, ein schöner Ort mit guten Restaurants und Gasthöfen. Schon läuft mir das Wasser im Munde zusammen. Wie wäre es, ein kühles Bier zu trinken und dazu ein deftiges Mahl zu genießen?! So weit meine Fantasie. Mein Garmin führt mich zuverlässig durch die Stadt, durch den schönen historischen Teil, hinüber in ein Industriegebiet. Hier soll das Hotel sein??? Hat sich mein Navi getäuscht? Nein, es hat sich leider nicht geirrt. Das „Hotel“ entpuppt sich als grauer Schuppen mit der Anmutung eines heruntergekommenen Verwaltungsgebäudes. Daneben Fabriken, Werkhöfe, Lagerplätze … Herrlich! Die Tür ist verschlossen, ich drücke auf die Klingeltaste: “ Ich bin nicht mehr im Hause, tönt es auf der anderen Seite der Leitung. Aber ich öffne die Tür, und Sie finden den Schlüssel in einem Umschlag im zweiten Stock.“ Gesagt, getan. Rein durch die schmale Tür, rein in den schmalen Aufzug. Samt Granfondo hochkant passe ich hinein. Das Zimmer hat zumindest ein Bett, eine Dusche und einen kleinen Fernseher. Stickig ist es, also Fenster auf. Draußen haben es sich in einem Unterstand ein paar Handwerker bei Bier und Würstchen gemütlich gemacht und geben ihrem Wohlgefühl lautstark Ausdruck. Warum grillen die hier vorm Hotel, frage ich mich. Die Antwort ist einfach: Restaurant geschlossen, Personal zu Hause, Frühstück gibt es auch nicht. Uff. Schöne Bescherung.

Luxusherberge

„Ärgere dich nur über Dinge, die du auch ändern kannst“, lautet eine alte Weisheit. So beschließe ich, das Beste aus den misslichen Umständen zu machen. Ich finde zwar in der fußläufigen Nähe kein Restaurant, dafür bekomme ich in einer Tankstelle Bier, Beefi und Chips. Nahrhaft und ungesund. Aber es hilft.

Morgen beginnt ein neuer Tag, und dann suche ich mir eine Bleibe mit allem Komfort.

Mehr dazu in Teil 3

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