Louis Hanri ? Fontane

 

ENTDECKUNGEN IM ODERBRUCH

das Oderbruch hat für mich etwas Magisches, eine besonders starke Anziehungskraft. Woher kommt das eigentlich, frage ich in mich hinein. Die Landschaft und die Kultur sind eher unspektakulär, zumindest wenn man die Gegend mit dem Allgäu oder gar den Tiroler Alpen, wo ich vor wenigen Wochen gewandert bin, in Vergleich bringt. Falscher Denkansatz, sagt mein inneres Ich! Schon Fontane sagte im Vorwort zu seinen Wanderungen in der Mark Brandenburg: „Der Reisende in der Mark muß sich mit einer feineren Art von Natur- und Landschaftssinn ausgerüstet fühlen. Es gibt gröbliche Augen, die gleich einen Gletscher oder Meeressturm verlangen, um befriedigt zu sein. Diese mögen zu Hause bleiben“ 

Schon auf der Anfahrt über die Wellen des Barnim durch kilometerlange Ahorn- Eichen- Linden- und Kastanienalleen wird deutlich: Hinschauen ist erforderlich, nicht nur stures Durcharbeiten und Durchkurbeln. Sonst bleibt das Schöne dem Auge verborgen. Zwischen Grüntal und Klobbicke bewundere ich eine herrliche Ahornallee, die schon eine ganz leichte Herbstfärbung zeigt. Auf dem Weg nach Osten folgt dem Ahorn die Kastanie. Die Bäume sehen aus wie nach einem Frosteinbruch im Spätherbst. Für den frühen Laubfall ist aber nicht Temperatur, Sturm und Jahreszeit , sondern die gefräßige Miniermotte verantwortlich. 

In Gersdorf werden Zierkürbisse feilgeboten, in Dannenberg steht ein ausgedienter Feuerwehr-Robur an der Straßenecke. Nostalgische DDR-Lüfte umwehen mich.

ein echter Robur

Der geflasterte Freienwalder Weg geht am Ostrand des Ortes über in einen gut fahrbaren Waldweg. Nur eine vom letzten Sturm gefällte Fichte will von mir überklettert werden. Auf den nächsten zwei Kilometern führt der als Radweg gekennzeichnete Track durch den Wald. Kurz vor Bad Freienwalde stößt er auf die B 168. Fünf Minuten später kann ich wieder, aufs Neue erstaunt, die Sprungschanze von Bad Freienwalde erblicken. Dann rausche ich mit 50 km/h hinunter gen Oderbruch.

Schwalben und Simsons haben die Tankstelle besetzt

An der Esso-Tankstelle am Ortsausgang herrscht buntes Treiben: Die Fans nostalgischer Mopeds mit Namen Schwalbe und Simson haben sich hier versammelt und blockieren den gesamten Betrieb. Aber sicher nicht böswillig. Die Stimmung ist ausgelassen. Ich schaue mir einige der Zweitakt-Oldtimer an und erfahre, dass die Simson neben mir aus dem Jahr 1988 stammt. Ich nehme ein paar tiefe Züge vom verbrannten Zweitaktgemisch und rette mich wieder auf die Bundesstraße in Richtung Schiffmühle. 

In Schiffmühle hat der Vater meines Lieblings-Brandenburg-Literaten Theodor Fontane seine letzten Lebensjahre in fast schon ärmlichen Umständen verbracht. Seine Spielsucht hatte ihn und die Familie nicht nur einmal in die Pleite getrieben. Bevor ich das Fontane-Haus erreiche, sichte ich an der nächsten Kreuzung Polizeifahrzeuge mit Blaulicht und mehrere Krankenwagen. Als ich, meinen Blick weiter nach vorn gerichtet, die Unfallstelle passiere, sehe ich eine nostalgische Schwalbe verformt am Straßenrand liegen.

Mein Adrenalinspiegel steigt ruckartig an, und mir wird wieder einmal bewusst, wie gefährlich das Fahren auf Schnellstraßen sein kann. Und auf diesem Abschnitt gibt es auch keinen begleitenden Radweg.  

Ich bin froh, als ich in Schiffmühle die Bundesstraße verlassen kann. Das Fontane-Haus ist wieder geöffnet, Kaffee und Kuchen werden feilgeboten, allein, ich habe noch keinen Hunger. Heute will ich durch die Ansiedlung an der Oderbruchkante weiter rollen bis nach Neutornow.

Hier, auf einem  kleinen Friedhof neben der Kirche soll Louis Henri Fontane, der Vater von Theodor begraben sein. Dieser Ort der Fontane-Familiengeschichte fehlt noch in meiner Sammlung. Dort, wo die Wriezener Alte Oder von der Stillen Oder abzweigt, erblicke ich links auf der Abbruchkante thronend ein kleines Kirchlein. Ein paar Meter weiter steht, etwas eingewachsen im Buschwerk ein Hinweisschild auf die Grabstätte. Da heißt es absteigen und raufklettern. Nach 200 Metern komme ich von der Nordseite heran an die alte Kirche. In Neutornow habe ich bislang keinen einzigen Menschen gesichtet. Ganz schön einsam hier. Die Kirche stammt aus der Kolonistenzeit aus dem Jahr 1770. Die Sitzbank neben der Eingangstür hat schon bessere Zeiten gesehen, daneben zeigt ein vom Wetter gegerbtes Schild den Weg zur Fontane-Grabstätte. Ein paar Meter weiter lese ich auf einem Aluminiumschild, was Sohn Theodor zur Grabstelle seines Vaters formuliert hat. 

Ganz nah an der Kirchenmauer, auf dem leicht abschüssigen Gelände, liegt eine von kleinen Findlingen umrahmte große Steinplatte mit einer Inschrift, die mich zum Staunen und Nachdenken bringt:

LOUIS HANRI FONTANE, kann ich lesen. Kein Geburts-und Sterbejahr, nur eben Louis HANRI Fontane. Hat er denn Hanri mit Vornamen geheißen? Nein, hat er nicht. In allen Dokumenten, die ich finden kann, wird der Fontane-Vater nur Henri genannt und geschrieben. Berichte von Veranstaltungen zum Todestag von Louis Henri F. habe ich gefunden und gelesen. Keinem der Schreiber oder Redner ist sie aufgefallen oder gar sauer aufgestoßen, die falsche Schreibweise. Also finde ich meine eigene Erklärung für den bösen Lapsus. Der Steinmetz wird betrunken gewesen sein, als er den Namen in Stein meißelte. Und eine „Korrekturplatte“ wird zu teuer gewesen sein. So mutierte Henri auf dem Grabstein zu Hanri , rede ich mir ein.  Schluss mit der Krittelei, sage ich mir und richte den Blick ins schöne Oderbruch. Und der Blick von diesem Friedhof hin nach Osten ist wirklich grandios. 

„ Sand, Geröll und große Steine, wie sie dort überall in der Erde stecken, liegen auf seinem Grab; sei ihm die Erde leicht“. So schrieb Sohn Theodor. Zu lesen in seiner Biografie. 

Ich setze mich auf die verwitterte Bank unter der von Efeu umrankten Eiche, knabbere einen Müsliriegel und genieße die Fernsicht. 

Mein gesetztes Tagesziel habe ich erreicht, jetzt rolle ich noch gemütlich nach Hohensaaten und dann zurück über Oderberg und den Hügel rauf nach Liepe und dann zum Schiffshebewerk. Dort vertilge ich eine große Portion Pommes, die es leider schon mindestens dreimal im heißen Fett bis zur Verschrumpelung ausgehalten hat. Fast ungenießbar, aber kalorienreich. Zwei Stunden kurbele ich hinüber nach Eberswalde, dann am Kanal entlang bis Zerpenschleuse.  

Die Sonne steht schon niedrig über dem Horizont, als sich auf dem Oder-Havel-Kanal der Tanker Odin auf dem Weg ins ferne Ruhrgebiet unter der Brücke hindurchschiebt. Jetzt noch 30 Kilometer nach Süden, und schon werde ich zu Hause ein wohlverdientes Bier genießen können.

Vielleicht finde ich doch noch irgendwann heraus, wie es zur falschen Schreibweise auf der Grabplatte kam, welche Geschichte dahintersteckt.

3 Kommentare zu „Louis Hanri ? Fontane

  1. Hallo Dietmar,
    vielleicht kommt das ‚Hanri‘ aus einer französischen Aussprache von ‚Henri‘, welche der Steinmetz nicht erkannte. Theodor Fontane hieß ja auch ‚Henri Théodore Fontane‘.

    Grüsse
    Stefan

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