Die auseinandergebrochene Silkebuche wirkt nach – ich entdecke mehr und mehr Buchen, die als Käfer- und Insektenhotel ihre Letztverwendung gefunden haben. Alte Bäume am Ende ihrer Lebenszeit, die aber immer noch einen Nutzen für andere Lebewesen bieten. So ist der Kreislauf der Natur, wenn der Mensch nicht oder nur behutsam eingreift. Ein Wald mit jungem Grün, das sich nach oben streckt, mit alten Baumkronen, die erhaben Schatten bieten, mit Buchen und Kiefern, die sich geradezu ineinandergedreht haben. Mit gemeinsamem Wurzelsystem. Friedliche Koexistenz.


Das riesige Waldgebiet war seit Jahrhunderten bevorzugtes Jagdrevier von Markgrafen und Kurfürsten, Kaisern und Königen, dann von Ministern und dem Reichspräsidenten Hindenburg der Weimarer Republik, dann übernahmen die kruden Köpfe der Nazidiktatur, mit Hermann Göring als oberstem Jagdmeister. Zuletzt jagten die Granden der DDR-Führung Hirsche und Rotwild. Die Schorfheide hat seit jeher eine starke Anziehungskraft für Freunde der Natur und leider auch für deren Ausbeuter. Zu denen zähle ich auch die sogenannten Jäger, die nichts Anderes waren als Jäger von Trophäen. Heutzutage sind die Freunde der Natur in der Überzahl. Sehr erfreulich.
Als ich nach dem besten Waldweg suche, der mich nach Norden führt, stoße ich zunächst auf den grob gepflasterten Groß Schönebecker Damm, der ursprünglich wohl als Weg für die kaiserlichen Kutschen angelegt worden ist. Heute werden eben ich und mein Basso vom Pflaster ordentlich durchgerüttelt. Die Wege tragen Namen wie: Großer und kleiner Kaisergrund und Königsgestell. Abseits des Hauptweges finde ich den Gedenkstein „Königseiche von 1843“.




Der kleine Granitblock erinnert an Friedrich Wilhelm IV, der auch das Jagdschloss Hubertusstock errichten ließ – eher ein großes Landhaus als ein echtes Schloss. Geprotzt hat er wohl mehr in Potsdam bei der Erweiterung der Schlösser. Die Jagd war seine große Leidenschaft, die Schorfheide war königliches Jagdrevier. Kein Normalsterblicher durfte hier ungestraft die Büchse anlegen. Schon mehr als 10 Kilometer kurve ich in diesem Riesenwaldgebiet herum und sehe keine Menschenseele. Eichen, Buchen und auf den nächsten Kilometern in Richtung Norden und Groß Döllner See immer mehr Kiefern. Auch riesig gewachsene, alte Exemplare sind dabei. Und drunter ein grüner Teppich von Heidelbeeren.

Ein Findling trägt die Aufschrift „Bärens Kirchhhof“. Ob hier einmal Bären gelebt haben? Meine Recherche ergibt, dass die letzten Exemplare der sogenannten Beutegreifer, die den Jagdherren die Beute streitig machten, von den Menschen im 16. Jhd. hier ausgerottet wurden. Der Stein mit der „Bärens“- Inschrift deutet hingegen auf den Heidereiter Bärens hin, der unter mysteriösen Umständen hier ums Leben gekommen sein soll.

Weiter rolle ich auf schnurgerade angelegten Forstwegen nach Norden und sauge saubere Waldluft ein. An den wichtigen Wegekreuzungen stehen die alten Hinweissteine. Mein Garmin ist hier überflüssig. Navigation ist hier auf Stein geschrieben seit vielen Jahren.


Kurz bevor ich den Wuckersee erreiche, staune ich über zwei bemerkenswerte Torwärterhäuschen und die zugehörigen Gebäude. Hier, mitten im Wald!

Irgendwie deplatziert und ungewöhnlich. Dahinter dann erstreckt sich ein etwa ein Kilometer langer, schnurgerader Weg. Breiter als die üblichen Forstwege und mit feinem Splitt belegt. Während ich noch nachsinniere, löst sich das Rätsel am Ende des Weges an einem Granitstein auf: Ich stehe vor einem Granitblock mit der Aufschrift „Carinhall“.


Hier also stand einmal das Prunkanwesen vom Reichsjägermeister Hermann Göring. Hier ließ sich der offensichtlich wahnsinnig geltungsbedürftige Machtmensch eine Art Jagdschloss bauen. Mit Skulpturen, Gemälden, aufwändiger Möblierung. Allein die Wohnräume nahmen über 11000 Quadratmeter Fläche ein, dazu kamen noch 15000 Quadratmeter Innenhöfe. Seine erste Frau, Carin, die schon 1931 in Schweden gestorben war, ließ er aus ihrem ersten Grab in Schweden in die Schorfheide transportieren und in eine dafür angelegte Gruft umbetten. Adolf Hitler und viele Nazigrößen waren bei pompös inszenierten zweiten Beisetzung dabei. Wer über Carinhall Details erfahren möchte: hier nachzulesen: Carinhall


Wer an diese Ort Monumentales, Sehenswertes, Erstaunliches sucht, sucht vergeblich. Von dem ehemaligen Anwesen sind nur noch Spuren erkennbar: Fundamentreste, höhlenartige Eingänge zum Bunker, Betonteile. Sonst nichts, einfach nichts. In den letzten Tages des Krieges hatte Göring, der schon nach Berchtesgaden geflohen war, alles Wesentliche, alles Wertvolle wegtransportieren lassen. Als die sowjetischen Soldaten immer näher rückten, ließ er seine Wachmannschaft mittels 80 Fliegerbomben die ganze Herrlichkeit dem Boden gleichmachen. Und so sieht das Gelände auch heute noch aus. Bäume und Sträucher haben sich ausgebreitet, nur schmale Trampelpfade führen durch das Dickicht hinüber zum Steilufer des Groß Döllner Sees. Das Wenige, das hier noch zu finden war, haben in den Jahren „Schatzsucher“ weggetragen.


Geblieben oder besser wiederentwickelt hat sich die ursprüngliche Natur. Der See liegt ruhig da. Wer allein sein will, ist hier genau richtig. Nur kurze Abschnitte des Uferpfades sind befahrbar, schieben ist meistens angesagt. In Gollin hat mich die Zivilisation wieder, und im 400-Seelen-Örtchen Vietmannsdorf backt die Bäckersfrau auch in unseren Tagen noch selbst wunderbares Natursauerteig-Brot. Ich genieße einen großen Kaffee und einen süßen, riesengroßen Krapfen. Neben mir plauschen zwei einheimische Senioren über das Ortsgeschehen und die politische Lage.

„Jwd“ ist man hier: Janz weit draußen. Bald bin ich wieder auf Südkurs und rolle am Havelkanal gen Liebenwalde. Ein Schwanenpaar behütet ihre Jungen und quittiert meine Annäherung mit vernehmbarem, warnenden Zischen.

Noch 40 lockere Kilometer sind es bis nach Hause. Meine Gedanken sind noch in der Schorfheide und der duftenden Natur, der Einsamkeit des riesigen Waldgebietes und auch beim „lost place“ Carinhall mit seiner Vergangenheit.
[sgpx gpx=“/wp-content/uploads/gpx/Silkebuche_in_Memoriam.gpx“]
hallo alter Junge. Schön, dass Dir meine Berichte gefallen. Es ist auch für mich sehr interessant und spannend, anhand meiner Fotos zu recherchieren und mehr über die Orte zu erfahren. All the best Dietmar
Diese Runde würde ich gern fahren. Natur pur.
herrlich.
Immer wieder spannend und informativ Dir zu folgen.