Die Brücke

Schon am 25. Juni 2022 ist sie feierlich eingeweiht worden. Der Ministerpräsident hielt eine Rede.

„Es ist immer eine Freude, gemeinsam mit unseren polnischen Partnern ein gutes Projekt zum erfolgreichen Abschluss zu bringen. Und das ist hier der Fall. Umso mehr, wenn sich dieses Projekt im vorzüglichen Exzellenzlandkreis Märkisch-Oderland befindet.“ 

Diesen Satz der Europaministerin Katrin Lange lese ich auf der Seite der Staatskanzlei des Landes Brandenburg. Und der Marschall der polnischen Partnerwoiwodschaft Zachodniopomorskie (Westpommern), Olgierd Geblewicz, gab schließlich gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten Woidke die Brücke für Wanderer, Radfahrer, Spaziergänger und Naturfreunde frei.

Ausgerechnet ich, der ich mich zu den ausgewiesenen Oderbruch-Fans zähle, lasse mir ein halbes Jahr Zeit, das Monument von Freundschaft und Partnerschaft und Zeugnis der Brückenbauerkunst endlich heimzusuchen. Vielleicht lag es daran, dass ich in den vergangenen 15 Jahren gar nicht mehr geglaubt hatte, dass diese Brücke tatsächlich einmal fertiggestellt werden würde.

Die Europaministerin feiert das Projekt als Maßstab europäischer Zusammenarbeit. Geht’s nicht ein bisschen kleiner? So frage ich mich, als ich diese Zeilen lese.

Wie auch immer, das Werk ist vollbracht. Heute werde ich mir anschauen, wie es wirkt, wie es aussieht. Sechs Grad zeigt das Thermometer um 10 Uhr beim Start. Die Sonne hält sich noch versteckt, dafür bläst ein spürbarer Wind aus Südwest. Genau richtig für eine Tour ins Oderbruch. Das erste Foto mache ich erst nach 70 Kilometern Fahrt – in Wriezen, wo mich der markante Marktbrunnen wieder einmal reizt.

Ein Fabelwesen, das Mann und Frau, Tier und Mensch gleichzeitig ist, posiert auf einem riesigen Findling. Primäre und sekundäre Geschlechtsteile werden freizügig hergezeigt. Am Fuß des großen Findlings steht ein Fischer, der sein Netz einholt, daneben sitzt ein Mann mit einem dekorativen Brett vorm Kopf. Text: „Jeder kann es selbst herunter reissen“. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Heute bin ich langsam unterwegs, schon 13 Uhr ist es. Eine Pause beim Bäcker verkneife ich mir, mich zieht es hin zur Oder auf der Trasse der alten Wriezener Bahn, die vor 100 Jahren einmal ein Teil der Verbindung von Berlin nach Königsberg/ Neumark war. Vorbei an den alten Bahnhofsgebäuden Alt-Mädewitz, Alt-Reetz und Neurüdnitz. Schon lange werden die ehemaligen Bahnhöfe als Wohngebäude genutzt. Nur die verwitterten Schriftzüge künden noch von der ursprünglichen Bestimmung. Schnurgerade verläuft der Radweg 13 Kilometer lang hin nach Bienenwerder zur Brücke. Schon bei meinen ersten Touren an die Oder zu Anfang der 20er Jahre habe ich mich über die Hinweisschilder zur „Europabrücke“ gewundert. Das Bauwerk war seinerzeit in einem jämmerlichen Zustand. Die Brücke Deutschland und Polen verbindet, genauer das Bundesland Brandenburg mit der polnischen Woiwodschaft Westpommern. Einen Hinweis auf das Datum der Namensgebung „Europabrücke“ habe ich nirgendwo finden können. Allerdings hat die Deutsch-Polnische Gesellschaft zu Ehren des großen, versöhnenden Europäers Wladyslaw Bartoszewski eine Bronzestatue und eine Gedenktafel an der Brücke aufgestellt. Bartoszewski hat sich Zeit seines Lebens für den Frieden und die Freundschaft und Versöhnung zwischen Deutschland und Polen eingesetzt. Er hat die Einweihung der Brücke zwar nicht mehr erlebt, aber sicher würde er sich darüber gefreut haben. Er wirkt geradezu wie eine Ermahnung, immer vernünftig miteinander umzugehen, sich zu unterstützen, friedlich und respektvoll.

Die wenig freundschaftliche, wenig vertrauensvolle Zusammenarbeit von polnischen und deutschen Behörden bei der Aufklärung des mysteriösen Fischsterbens im Sommer war jedenfalls wahrlich kein gutes Beispiel, und schon gar nicht „maßstabgebend“ für die europäische Zusammenarbeit. Es gibt noch viel zu tun!

Erinnerung an Wladyslaw Bartoszewski, den Brückenbauer zwischen den Völkern ( Foto Ulf Grieger/MMH)

Als ich gegen 14 Uhr am westlichen Brückenkopf ankomme, bin ich angenehm überrascht. Die Bauzäune sind weg, die Konstruktion in grau wirkt geradezu modern, hat aber auch etwas von einem stählernen Tunnel. Insgesamt ist die Brücke 860 Meter lang, je 330 m auf deutscher und auf polnischer Seite, 200m in der Mitte führen auf einem Damm über die Oderinsel. Ich rolle über die Planken aus Verbundmaterial und wundere mich über die Metallstege, die etwa alle 50 Meter quer darüber liegen. Klapprig und glatt. Und bei näherem Hinschauen nicht besonders gut verarbeitet. Lack bröselt schon von der Oberfläche. Schweißperlen sind nicht sauber entfernt worden. An den Diagonalträgern prangen spitze, scharfe Stahlprofile. Wenn hier jemand nicht aufmerksam fährt, drohen ihm fiese Verletzungen. Wem ist nur solch ein Blödsinn eingefallen?!

Ich erfreue mich am Ausblick über die Weiten der Oder. Aus dieser Perspektive sind Fluss und Uferlandschaft noch eindrucksvoller als vom Deich aus. Nach dem ersten Abschnitt kommt die Oderinsel, und dann der polnische Teil der Brücke mit einer herrlichen Aussichtsplattform. Hier wird die Fahrbahn höchst komfortabel. Ganz fein aufgeraut und ganz ohne Klapperplanken. Holzbänke laden zum Verweilen ein. Tafeln informieren in deutsch und polnisch über die Geschichte der Brücke, Vorbildlich.

Der Radweg führt weiter auf der ehemaligen Bahntrasse nach Osten. Bis zum Bahnhof Sikierki, früher Zäckerig, fahre ich.

Zeit zum Umdrehen, denn 80 Kilometer Rückweg warten auf mich. Den schönen Radweg durch die polnischen Uferauen spare ich mir für das frühe Frühjahr auf. Rund vier Stunden werde ich gegen den Wind brauchen, um über Schiffmühle, am Fontane-Haus vorbei, durch Bad Freienwalde , dann nach Falkenberg und die heftige Steigung die Oderbruchkante hoch. Als ich wieder die Barnim-Wellen erreiche, ist mir wohlig warm geworden. Die innere Heizung funktioniert sehr gut. Es wird dämmrig, Bodennebel bildet sich. Gut, dass ich meine Lupine-Piko vorn und die Lezyne Rückleuchte hinten angebaut habe. So kann mich kaum ein Autofahrer übersehen. Ich komme langsam in meinen Rhythmus. Fast wie bei einem Brevet.

Zwischen Tempelfelde und Albertshof kann ich eine wahre Lichtinszenierung bewundern. Die roten Warnleuchten an den Windrädern wirken wie ein modernes Bühnenbild.

Ich probiere verschiedene Blenden-und Zeiteinstellungen meiner Olympus Tough. Lange Lichtspuren und Farbeffekte ohne jede Nachbearbeitung sind die Ausbeute. Um 19 Uhr, bei km 161, stehe ich wieder vor der Haustür. Zufrieden. Hungrig. Durstig.

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