Wir treffen uns an der Fähre in Ketzin. Peter kennt den Fährmann mittlerweile gut und grüßt mich schon von der Brücke. „Hol über.“ Die Seilfähre Charlotte bringt uns auf die Südseite der Havel an den Radweg, der nach Brandenburg führt. 11 Uhr ist es, und ich habe bis hierher schon 52 Kilometer in den Beinen. Der Himmel ist tiefblau, die Sonne lacht, ein sanfter Ostwind bläst. So macht Kurbeln Freude, nur in den Wäldern der Havelaue, zwischen den alten Tonstichen, lauern Mücken auf bluttragende Beute. Schneller fahren ist das Gebot, dann haben sie keine Chance zur Landung. Noch drei Wochen sind es bis zum 600er Brevet in Warberg. Meine Beine brauchen noch ein paar Trainingskilometer. Lange Strecken fallen leichter, wenn man vorher oft und lange und auch regelmäßig intensiv in die Pedale getreten hat. Peter weiß das genau und begleitet mich wie ein wohlmeinender, mit reichlich Erfahrung vollgesogener Mentor, der es selber nicht mehr nötig hat, ein Langbrevet zu fahren. Können kann er schon, bin ich sicher. Nur wollen will er nicht (mehr).
Um die Mittagszeit haben wir den Brandenburger Dom im Blick und umkurven das Innenstadtpflaster auf einem Bogen über einen Wanderweg an der Havel entlang. Der wird irgendwann sandig und schottrig. Auch kein echter Gewinn. Zu früh ist es für eine Pause in der Altstadt. Weiter nach Norden in die fetten Wiesen und Felder zieht es uns.
Am Stadtrand passieren wir diesen Obst-Verkaufsschuppen. Hoffentlich sind Äpfel und Erdbeeren von besser Qualität, als die Fassade vermuten macht.
In Brielow-Ausbau sichten wir im hoch stehenden Gras eine lange Reihe verrosteter Bahnanhänger. Stahl tonnenweise auf einem Abstellgleis inmitten der schönen Landschaft. Quer über die Landstraße führen immer noch die schon lange nicht mehr genutzten Gleise. Seit mehr als 20 Jahren rosten die Gefährte mittlerweile still vor sich hin. Wir fragen uns, was sich die Deutsche Bahn dabei denkt. Dieselbe Bahn, die sich noch vor wenigen Tagen stolz wegen ihrer Verdienste um unsere Umwelt auf die Brust geschlagen hat.
„2017 haben wir rund 207.000 recycelte Schwellen wieder eingesetzt und so insgesamt rund 10.000 Tonnen CO2 eingespart. Die Schwellen, die nicht mehr im Gleisnetz der Deutschen Bahn verwendet werden können, werden zu Baustoffen aufgearbeitet, um so wertvolle Rohstoffe einzusparen.“
Toll, welche Verdienste für die Umwelt die DB für sich reklamiert. Mein Vorschlag: Verwertet doch endlich die zig Tonnen Altstahl, die ungenutzt und die Umwelt verschandelnd in der Landschaft stehen. Verkauft die alten Bahnhöfe nicht an Investoren, die nicht investieren, sondern nur abschreiben und vergammeln lassen. Reißt die alten Schienen aus der Straße, wenn die Strecke schon seit Jahrzehnten stillgelegt ist. Wieviele Radfahrer mögen sich schon an solchen Gefahrenstellen flachgelegt und verletzt haben?!
Zeit, dass wir uns wieder der schönen Natur, und die gibt es hier überreichlich, zuwenden. Wir trösten uns mit der stahlblau glitzernden Havel, dem üppig wachsenden Uferschilf, dem Gequake von Fröschen und Kröten, dem Konzert von gut gelaunten Vögeln und den langsam dahin paddelnden Gänsen und Enten.
Die Kirschen sind reif und locken zum Genuss.
In Pritzerbe setzen wir wieder einmal über die Havel hin nach Kützkow. Von einer älteren, resoluten, derb meckernden Frau werden wir unmissverständlich darauf hingewiesen, dass zuerst die Autos auf die Fähre fahren dürfen, erst danach die Radfahrer! Wir sollten doch erst einmal die Schilder lesen, bevor wir uns am Ende strafbar machen. Oha, wo ist diese Dame wohl sozialisiert worden? Ein Blickwechsel mit dem Fährmann genügt, ein Nicken, und wir rollen als Erste auf die Planken – ungestraft. So geht das auch.
Durch duftende Kiefernwälder führt der wunderbar glatte Radweg in Bögen an der Havel entlang.


Wir schwingen uns hinein ins Milower Land, durchqueren Orte wie Jerchel und Marquede. Dann kommt Milow, das wir noch aus der Winterzeit in Erinnerung haben, als wir über vereiste Pfützen balancierten und uns auf heißen Glühwein freuten. Heute ist die Luft heiß, und wir lechzen nach kühlen Getränken.
Jetzt ein frisches Veltins, träume ich. Peter winkt mich alsbald auf den Hof eines kleinen Bistros mit drei großen Veltins-Sonnenschirmen davor. Gottseidank ist das keine Fata Morgana, sondern erfreuliche Realität.
Wir lassen uns den kühlen, gezapften Gerstensaft aus dem Sauerland schmecken, nicht ohne die nette Wirtin darüber in Kenntnis gesetzt zu haben, dass wir quasi vor den Toren der Brauerei groß geworden sind. Sie staunt und bringt uns freudig ein zweites Pilsken. Der Eigner der Gehhilfe neben Peters De-Rosa-Carbon-Renner sagt mir, er wolle absolut nicht weg mehr aus dieser Gegend . Apotheke, Arzt, Netto-Markt, Natur pur rund herum und dann auch noch das Scheunen-Bistro mit so leckerem Bier. Das reicht doch zum zufriedenen Leben. Wir nicken bestätigend. Komm’se immer wieder rein, wenn’se in der Gegend sind, sagt der Wirt, als wir aufbrechen. Und der Wahlspruch des Gasthofs ist hier zu lesen:
Hast Du Hunger oder Durst ,
ist Dir das Wetter draußen Wurst,
bist Du zu zweit oder allein
so schau in unsere „SCHEUNE“ rein !!!
Der Alltag ist bald vergessen bei unserem rustikalen Essen .
Der Wirt der zapft das Bier und alle rufen „hier“.
Es wird geschmaust ,getrunken und gelacht
bis hinein in die späte Nacht .
Zufrieden war der Gast ,der Wirt nun sagt „Gute Nacht“.
Billard ist jedenfalls nicht in Milow angesagt. Nicht mehr!
Dafür lockt der Verkaufsstand mit Erdbeeren und Spargel, das Kilo ab 3 Euro.
Das Straßendorf Milow hat neben der Kirchen-Sparkasse eine zweite Attraktion: die Jugendherberge Carl Bolle. Carl Bolle, der in Milow geboren wurde, war zunächst erfolgreicher Bauunternehmer in Berlin, dann wurde er als „Milchkönig von Berlin“ weltbekannt – erbaute die Villa in Milow 1882 als Sommersitz für seine Familie.

Ab 1891 stellte er sie als Erholungsheim für die Kinder seiner Angestellten, später als Jugend- und Ausbildungsheim zur Verfügung. Carl Bolle bewies damit und mit einer ganzen Reihe von Projekten beispielhafte soziale Kompetenz. In unseren Tagen können sich Jugendliche, Familien, Durchreisende, Radwanderer freuen, in solch einem Juwel Gast sein zu können.
Nördlich von Milow drehen wir wieder ein auf den Havel-Radweg, der allerdings ab hier von wechselhafter Qualität ist. Alte Plattenwege, Schotterpassagen, wir nehmen es gelassen. Die 28-mm-Pneus federn das ganz gut ab. Kurz vor Rathenow haben wir eine Begegnung mit einem Raben und einem Storch, die am Wege stehen, als würden sie sich gerade angeregt unterhalten. Ich bekomme die beiden stehend und dann startend auf die Platte.
Rabe nach links, Storch nach rechts im Alarm-Start. Entschuldigt bitte die Störung eurer Unterhaltung.
In Rathenow steigen wir in den RB nach Berlin und lassen einen herrlichen Ausflug Revue passieren. Wir werden hier noch oft die Räder durch Dörfer, Auen und Wälder rollen lassen. Es lohnt sich immer aufs Neue.
P.S Der Fotograf und Künstler Götz Lemberg hat die Havel in seinem Kunstband „Havelcuts“ intensiv und vielen Varianten eingefangen.
Da bekommt man Lust auf einen Ausflug ☺
Hallo Peter, bei Radkompass.de http://www.radkompass.de/Radfernweg/havel-radweg.html ist der gesamte Verlauf sehr gut beschrieben. Es lohnt sich!
Bin die Tour auf der Karte mitgefahren.
Sehr sehr schön. da muß auch mal fahren,