12. Oktober, 14.15 Uhr. Wolfgang, Peter und ich stehen an der Flixbus-Haltestelle in Berlin-Alt-Tegel. Das Wetter ist traumhaft, warme Lüfte umschmeicheln uns, gleich wird der grüne Bus kommen und uns mitnehmen nach Hamburg. Um 15.30 warten wir immer noch. Der Berliner Freitagsverkehr sorgt für eine saftige Verspätung von 90 Minuten. Irgendwann sind unsere Räder auf dem Heckträger des MAN festgezurrt, und der immer noch gut gelaunte Fahrer drückt auf das Gaspedal. Um uns herum meist junge Leute, die bereits ihre iPads aufgebaut haben, Filme anschauen oder sich mit Spielen die Zeit vertreiben. Ich nicke ein und träume von einer herrlichen Fahrt durch die Elbauen, vom Geschnatter der ziehenden Gänse und von träge auf den Wiesen liegenden Rindern. Derweil ist Matthias, mit dem wir schon viele lange Brevets gefahren sind, zum ersten Mal mit seinem Quattrovelo, einem Velomobil unterwegs. Weil er das große Gerät nicht in der Bahn mitnehmen kann, fährt er eben mit Muskelkraft am Freitag von Berlin nach HH und am Samstag wieder retour. Unser Busfahrer bemerkt ein paar Kilometer vor dem ZOB Hamburg, dass er seine zulässige Lenkzeit überschritten hat und hält kurzer Hand einfach auf der viel befahrenen Zufahrtsstraße an. Nichts geht mehr! Wir sind leicht verblüfft, dass er sich nicht zumindest eine Parkbucht gesucht hat. Schließlich überreden wir ihn, uns hier rauszulassen. Räder runter vom Gepäckträger und rein ins Stadtgetümmel.
Um 19 Uhr wollen wir uns im Hotel treffen. Als wir um 20 Uhr vorm Hotel einrollen, hat er sein erstes Bier schon genossen.
Zum achten Mal werde ich das Zeitfahren HH-B in Angriff nehmen. Dieses Mal ist es für Wolfgang, mich und eben ganz besonders Peter ein außergewöhnliches Vorhaben. Schließlich hat Peter seit gerade 9 Wochen nach Oberschenkelbruch ein neues Hüftgelenk im Körper. Langsam hat er sich wieder an die längeren Strecken herangearbeitet. Erst 30, dann 50, dann wieder ein paar Touren über 100 Kilometer. Er weiß genau , wie sich wirklich lange Strecken anfühlen. Schließlich gehört er zu den wenigen, die auch schon ein 2000-km-Brevet absolviert haben. In Hamburg traut er sich wieder an eine Marathon-Distanz heran. Wolfgang und ich wollen ihn eskortieren, das ist eine Frage der Freundschaft und eine besondere Ehre.
Am Samstag sitzen wir um 6 Uhr am Frühstückstisch und laben uns am reichhaltigen Buffet vom Lohbrügger Hof. Unsere Räder durften wieder einmal im Heizungskeller sicher übernachten, um 6.30 Uhr schalten wir die Festbeleuchtung ein und machen uns auf den Weg zum Startort „Clausens Vierländereck“ in Hamburg Curslack. Nach 9 km rollen wir hinein in das Startgetümmel.

Startnummern abholen, dicke Jacke gegen Weste tauschen, Gepäck abgeben, Freunde begrüßen, Schwätzchen halten, letzte Überprüfung von Navi und Licht, dann gehen wir pünktlich um 7.31 Uhr auf die Strecke.

Langsam klettert die Sonne vor uns über die Elbdeichkante und taucht die Wiesen in goldenes Licht. Den richtigen Rhythmus finden – nicht zu schnell und nicht zu langsam.

In Geesthacht wechseln wir über die lange Brücke auf die andere Elbseite. Teste, Hohnstorf, Bleckede heißen die verschlafenen Dörfer am Deich. Frisch ist die Luft noch von der klaren Nacht. So ist es angenehm, durch die leichte Belastung eine Wohlfühltemperatur in den Körper zu bringen. Gänsegeschnatter in der Elbaue, auf den Wiesen liegen noch die Rinder im Schlaf.
In Neu-Darchau habe ich die Idee, doch mal den im Navi eingezeichneten Radweg, ca. 1 km parallel zur Landstraße zu testen. Für dieses Manöver handle ich mir die Schelte der Begleiter ein. Über Schotter und Sand führt der Weg. Fluchend und dann erleichtert erreichen wir schließlich wieder die wunderbar glatte L 231. Die leichten Wellen bis nach Hitzacker baggert der tapfere Peter brav weg.
Eine Brückenbaustelle mit Straßensperrung zwingt uns runter von den Rädern. Wir nutzen den Halt, um uns zu entblättern: Beinlinge, Armlinge und Weste wandern in die Taschen. Bald kommt die Dömitzer Brücke in Sicht.
Der Windsack an der Elbkante wird vom stärker werdenden Südostwind durchpustet. Und genau in diese Richtung weisen die nächsten 200 Kilometer. Arbeiten ist angesagt. Das herrliche Wetter tröstet uns darüber hinweg, ein paar Watt mehr treten zu müssen. Meistens zeigt der Tacho um die 25 km/h an.

Ein für Peter noch machbares Tempo. Wolfgang und ich genießen es. In der Ruhe liegt die Kraft.
Kurz hinter der Brücke ist wie immer die Kontrolle und Verpflegungsstation von Audax SH aufgebaut. Und wie immer ist das Team überaus hilfsbereit und bester Laune. Es ist einfach eine klasse Organisation. Alle sind mit Herzblut bei der Sache.
Zwei belegte Brötchen drücke ich mir rein. Die Trinkflaschen bekommen eine frische Füllung. Einige Velomobile sind auf dem Platz geparkt, ein Kollege schraubt verzweifelt an Hinterrad und Antrieb herum. Wo mag sich jetzt Matthias befinden mit seinem schnellen QV? ( Nachher erfahren wir, das auch ihn ein Missgeschick ereilt hat – die Schaltung blockierte und er hatte nur die beiden größten Gänge zur Verfügung. Trotzdem war er um 18 Uhr im Ziel! Chapeau, Matthias)
Kurz nach 12 Uhr starten wir auf die lange Teiletappe über Lenzen und Wittenberge nach Havelberg, wo der Track nach Osten in Richtung Berlin abbiegt. Ohne den frischen Gegenwind wären die nächsten fünf Stunden ein gemütlicher Ausflug im Goldenen Oktober gewesen. Wunderbare Farben, wunderbar würzige Luft, zwei Seeadler über uns, was will der Randonneur mehr.
Am Rand von Wittenberge entdeckt Peter auch noch eine geradezu luxuriös ausgestattete Feldküche, wo wir eine genauso luxuriös eine große Portion Currywurst mit Pommes und Cola vertilgen. In Wittenberge, so gesteht uns Peter, wollte er entscheiden, ob er dort in den Zug steigt, oder ob er sich noch zutraut, bis ins Ziel zu kommen. Die Kraft der Currywurst bringt ihn weg von allen Bahnfahrtgelüsten. Um kurz nach zwei sind wir wieder unterwegs. Noch 120 Kilometer bis zum Ziel.
Unvermutet wird der Weg wieder einmal gravellig. Hatte ich gar nicht so in Erinnerung. Aber der Ausblick auf die Elbeauen im sanften Licht lassen die rumpeligen Meter schnell unbedeutend werden.

In Havelberg machen wir noch einmal Halt an der Eislounge Florida auf der Stadtinsel. Ein alkoholfreies Weizenbier gönnen wir uns, und ich ordere zum Sonderpreis von drei Euro 1,5 Liter Cola als Brennstoff für den Endspurt. Ab hier rollt es langsam wieder etwas schneller – der Wind überlegt, ob er sich schlafen legen sollte.

In Stölln noch schnell posen vor dem Lilienthalmuseum, und weiter geht es. Ab Friesack wählen wir die Route an der B5 entlang, zuerst auf einem neu angelegten Radweg, dann wieder auf der Straße. Ich nehme mein Zusatzrücklicht von KNOG in Betrieb. Das ist geradezu gemein hell. Ackern bis Nauen, dann wieder auf den B5-begleitenden Radweg, den wir schon -zig Male gefahren sind. Einige Kollegen, die von hinten herangerollt sind, und nicht sicher sind, wo es langgeht, hängen sich an unser Schlepptau. Erstaunlich, dass kaum einer eine wirklich langstreckentaugliche Beleuchtung am Rad hat. So fahre ich mit meiner Lupine Piko vorneweg. Berlin-Staaken-Spandau – gleich kommt das Ziel.
Fast 22 Uhr ist es geworden. Nur noch wenige Randonneure sitzen im Wassersportheim. Ein Bier noch, dazu köstlicher Linseneintopf. DANKE, liebes Team von AUDAX-SH. Wieder einmal habt ihr eine Top-Veranstaltung auf die Beine gestellt.
Dann geben Wolfgang und ich uns noch den „Rest“ und fahren die 25 km nach Hause per Rad. 315 Kilometer stehen heute insgesamt zu Buche.
Lieber Peter: Dir gebührt der imaginäre Siegespokal für den härtesten alten Kernbeißer, der auch diese Herausforderung mit starkem Willen gemeistert hat.
Liebe Eva, genieße auch den Herbst mit seinen Farben und Düften- Keep on riding👍🌞🌦☃️
Lieber Dietmar, endlich mal wieder was zu lesen von Dir, sehr schön. Ihr Ehren-Randonneure habt das Zeitfahren natürlich wieder souverän gemeistert, was sonst. Aber besonders großes „Hut ab“ für Peter, so kurz nach einer Hüft-OP, das ist echt krass. Ich wünsche noch frohes Radeln durch diesen goldenen Herbst!
lieber Rainer, sehr gut, dass Du ein „plus 300er “ organisierst. Da werde ich gern dabei sein!
Hallo Dietmar,
Schreibpause geht ja gar nicht – ich dachte auch schon, dass Du krank bist. Erst die Leute auf Deine Berichte süchtig machen und dann faul werden – das geht so nicht!
Danke für den (wieder mal) sehr netten Bericht. Und schön, dass Ihr den Peter gut nach Berlin gebracht habt. Chapeau Euch Dreien!
LG rainer
PS: Asphalt fängt erst bei Rollreibwerten, die bei deutlich über 30km/h gegeben sind, an zu brennen.
noch ein PS: Im nächsten Jahr organisiere ich einen 300er ab Bhf. Erkner. Eure Nicht-Teilnahme würde von mir als persönliche Beleidigung gewertet werden! Anmeldung über die ARA-BB-Seite.
Schliesse mich Gero an: Hatte mir auch schon „Sorgen gemacht“ ;-). Dieses Oktoberwetter schreit ja auch förmlich nach Langstrecke – habe ich lange nicht mehr so erlebt. Und wirklich Hut ab vor dem Mann mit dem künstlichen Hüftgelenk!
Super Leristung von „EUCH DREIEN“.
Ein sehr schöner Bericht von dir, und dann die Bilder.
Sehr sehr schön.
SUPER
danke, danke, bin gesund und munter. Ich habe nur mal eine Schreibpause eingelegt. Demnächst wieder mehr. Ideen habe ich schon. Beste Grüße
Danke, endlich wieder ein interessanter Beitrag. Befürchtete schon, dass Krankheit zur Schweigsamkeit geführt hat.