Die Alte Hamburger Poststraße – sie lässt mich nicht los

Irgendwie war meine letzte Tour über die alte Postroute nicht komplett, wurde ihr nicht gerecht. Über fehl leitende Wegweiser will ich heute nicht meckern. Stattdessen mehr zur Historie und zum Verlauf der Route im Havelland schreiben. Die sogenannte Alte Hamburger Straße, später dann Hamburger Poststraße, ist die älteste noch nachweisbare Wegeverbindung in der Region. In Abhängigkeit von der Befahrbarkeit der Wege, der Einschätzung des Überfallrisikos, nutzten Reisende, Händler und schon Jahrhunderte zuvor Pilgernde verschiedene Wegführungen von Berlin aus nach Hamburg. Vom Ende des 14. Jahrhunderts bis ins 16. Jahrhundert waren die Pilger unterwegs nach Wilsnack. Damals war dies der wichtigste Pilgerweg Nordeuropas. Heute ist der Weg wieder für Pilger beschrieben und ausgeschildert. Ausgangspunkt war die Marienkirche oder das Heilig-Geist-Spital in Berlin-Mitte, das Ziel war die Wunderblutkirche St. Nikolai in Wilsnack im nordwestlichen Brandenburg. Mit dem Ausbau des Postwesens im 17. Jahrhundert manifestierte sich eine Hauptroute entlang der errichteten Poststationen. Kurfürst Friedrich Wilhelm sorgte für eine befestigte Oberfläche, um die Geschwindigkeit der Kutschen und deren Sicherheit zu verbessern. So konnte eine Postkutsche pro Stunde 10 Kilometer zurücklegen. Die Trasse von Berlin führte über Hennigsdorf, Bötzow, durch den Krämer, Staffelde, Flatow und das Storchendorf Linum.

Am westlichen Ortsausgang von Hennigsdorf ist der Weg nach Bötzow als Radweg gut beschildert und genauso gut zu befahren. Schon gegenüber des Hennigsdorfer Friedhofs steht der erste Viertelmeilenstein. Ein Herz ziert passenderweise seinen Sockel. Bei der Recherche zu den Meilensteinen stoße ich auf die Internetadresse der Forschungsgruppe Meilensteine e.V. und auf einen gehaltvollen Beitrag von https://markradler.de/anderthalb-meilen-gen-hamburg/ Eigentlich ist jetzt alles gesagt und geschrieben?! Auf der anderen Seite hat jeder, ob Radfahrer, Wanderer oder ehrenamtlicher Forscher, eine andere Perspektive und sieht wieder Anderes, Neues, Interessantes. So beschließe ich, meinen Artikel weiterzuschreiben.

Hennigsdorf – Viertelmeilenstein

1880 Meter weiter westlich, entsprechend einer Viertelmeile, steht am Feldrand das schöne Replikat eines Ganzmeilensteins.

Ganzmeilenstein zwischen Hennigsdorf und Bötzow – 3 Meilen vom ehemaligen Oranienburger Tor aus

Alle meine Räder habe ich in den vergangenen Jahren an den Sandstein angelehnt und meistens auch fotografiert. Morgens und abends, winters wie sommers. Bei den Meilensteinforschern erfahre ich, dass diese markante Form der Säulen zu den Preußischen Postmeilensteinen gehört, die in der Zeit von 1790 bis 1806 aufgestellt wurden. Der Radweg führt jetzt im Nordknick über die Bahnlinie, dann wieder auf Originalkurs durch Bötzow in Richtung Wansdorf. Auf halber Strecke beginnt die Alte Hamburger Poststraße, die hier abknickt in das Waldgebiet des Krämer. Und schon bald sichte ich den nächsten Stein, einen Halbmeiler.

Halbmeilenstein – bis Berlin 3,5 Meilen

Zwischen Pferdekoppeln führt der Weg hinein in den Krämer Wald, der sich auf einer langgestreckten Grundmoräne der Weichseleiszeit 15 km nach Nordwesten ausdehnt. Der Weg ist zunächst gepflastert, dann geht er über in eine geschotterte Oberfläche. Für das Radfahren mäßig geeignet, für die Postkutschen aus damaliger Zeit wäre das ein höchst komfortabler Untergrund gewesen. Als im Jahre 1698 der Kurfürst Friedrich III die ersten Meilenzeiger in Form von bunt angemalten Holzsäulen errichten ließ, muss eine Fahrt in der Postkutsche ein wahres Martyrium gewesen sein. Nicht wenige Kutschen sollen auf rutschigem Untergrund umgekippt sein, mit verletzten Passagieren als Folge. Genauso eine Holzsäule sichte ich nahe der ehemaligen Poststation Ziegenkrug.

Die neu gefertigte Holzsäule soll hier als Vorgänger für die steinerne Säule ursprünglich Orientierung gegeben haben. Die Postmeilensäule wurde hier nach umfangreicher Restaurierung am Originalstandort im Jahr 2004 wieder aufgestellt.

Die Ausspannstation und das Gasthaus Ziegenkrug wurde schon vor 50 Jahren abgerissen und abgetragen. Nur ein gleichnamiger Rastplatz für Wanderer mit einem Wetterpilz erinnert noch an die historische Stätte.

Weiter rolle ich durch den Krämer, der sich heute von seiner sonnigen Seite zeigt. Im westlichen Teil des Waldgebietes wird erfreulicherweise umfangreich mit Laubbäumen aufgeforstet. In 50 bis 100 Jahren werden die Kiefernstangen von den Eichen und Buchen wieder verdrängt sein. Ein klimafester Mischwald wird dann hoffentlich hier den Wanderern Schatten spenden.

Eine halbe Meile weiter kreuzt die Poststraße die Perwenitzer Chaussee.

Ich bleibe auf der Poststraße, die ab hier rumpeliger wird. Die Hinweise werden spärlicher. Vielleicht kann ich heute endlich „Reckins Grab“ , vom sagenhaften Förster Reckin, der zu den Zeiten, als französische Soldaten durch den Krämer zogen, einige von ihnen aus dem Hinterhalt in einer hohlen Eiche, erschossen haben soll. War das eigentlich eine Heldentat??? Wie auch immer: Letztlich wurde er entdeckt und gerichtet. 300 Schritte von der Eiche entfernt, erinnert ein Findling an den Förster. Ein kleiner Findling mit einem kaum noch erkennbaren Schriftzug „Reckin“.

Reckins Grab

Der jetzt etwas unmotiviert im Zickzack verlaufende Radweg führt letztlich quer über den Autobahnring und dann nach Staffelde, einem kleinen Ort mit Reiterhöfen, Gutshof und Kirche. Der schön restaurierte Dorfkrug war über Jahrhunderte Poststation. Hier wurden die Pferde ausgespannt, Kutschen repariert, und die Gäste hatten die Möglichkeit, sich beim Aufenthalt zu stärken. Aus dieser Zeit stammt auch der Begriff „Schmiergeld“ . Geld, das für die Schmierung der Wagenachsen fällig wurde. Im Bereich der Vorlaube der Station konnten unter dem Schutz des Daches Pferde beschlagen werden und Kutschen repariert werden. Wenn ich mir die Betriebsamkeit dieser Blütejahre vorstelle, mutet die jetzige Einsamkeit und Beschaulichkeit sonderbar an.

Dorfkrug und ehemalige Poststation in Staffelde

Aber: Ideenreiche Menschen haben in den letzten Jahren Mut gezeigt und hier ein Unternehmen gegründet: Das „Forschungs- und Innovationszentrum Mensch-Technik-Straßenverkehr GmbH“ hat sich hier angesiedelt, das Gebäude saniert und weitere Anlagen restauriert. Von hier aus kann man mit einer neu gebauten Postkutsche Ausfahrten unternehmen, die Natur und die alte Art des Reisens erleben. https://alter-dorfkrug-staffelde.de/kutschfahrten/

Über Kremmen, das ehemalige „Cremmen“, dem der Krämer Forst seinen Namen verdankt, rolle ich über Sommerswalde und Germendorf wieder in die heimischen Gefilde. Mit dem guten Gefühl, jetzt endlich eine klare Vorstellung vom Krämer und der Alten Hamburger Poststraße zu haben. Im nächsten Schritt kommt der Abschnitt von Flatow bis Lenzen an der Elbe dran. Einige Orte sind mir aus 8 x Zeitfahren Hamburg–Berlin wohlbekannt. Aber eben nur aus dem schnellen Durchfahren. Zukünftig werde ich mehr hinter die Kulissen blicken und recherchieren, wie es in der Vergangenheit hier aussah.

Zum Schauen:

2 Gedanken zu “Die Alte Hamburger Poststraße – sie lässt mich nicht los

  1. randonneurdidier 23. Dezember 2021 / 19:44

    lieber Rainer, bleibt auch ihr beide munter und gesund, unternehmungslustig und neugierig. Habt besinnliche Tage und rutscht gut ins neue Jahr. all the best Dietmar

  2. rainer trepke 23. Dezember 2021 / 18:38

    Lieber Dietmar,
    schön, dass Dir die Gegend so gefällt.
    Meine Holde und ich sind den Pilgerweg von Henningsdorf nach Bad Wilsnack schon 2 mal gewandert. In jeweils 5 Tagen. Das waren tolle Eindrücke. Und beim Wandern sowie beim Übernachten in Pilgerherbergen kommt den Menschen so richtig nahe.
    Und einmal bin ich das Ding natürlich auch schon mit dem gravelbike gefahren (im Winter bei gefrorenem Matsch).
    Du siehst, dass Du nicht allein bist mit dem Interesse an dieser Gegend.
    Weiter so.
    Ich wünsche Dir und Deiner Frau in frohes Fest und besinnliche Tage sowie einen guten Rutsch.
    rainer

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