„Wo das Blut des schönen Jünglings ( Adonis) hintropft, sprießen die Blüten der Adonis aestivalis, der roten Verwandten unseres gelb blühenden Frühlings-Adonisröschens.“ So lese ich es nach in einem Beitrag des NABU über die Pontischen Hänge von Lebus an der Oder. Schon 1921 wurde hier ein kleines Naturschutzgebiet eingerichtet, um die seltene Pflanze zu schützen.
Es geht Adonis gut an den Pontischen Hängen. Die Blume stammt ursprünglich aus der Gegend des Kaukasus und Südsibiriens. Am Ende der letzten Eiszeit vor etwa 12000 Jahren hat sich die Pflanze in mehreren Schüben entlang der Flüsse Weichsel, Oder und Warthe schrittweise nach Westen vorgearbeitet. Das Adonisröschen hat also einen eindeutigen Migrationshintergrund. Es fühlt sich dennoch bei uns wohl, wird geschützt und geschätzt. Bei all meinen Fahrten „nad Odra“ hatte ich es bisher nicht in Blüte erlebt. Entweder war ich zu spät im Jahr auf Suche gegangen, oder ich war einfach zu bequem, die Feldwege zu fahren und zu schieben bis dorthin. Also wartete heute eine kleine Aufgabe auf mich. Endlich Adonisröschenblüten sehen und dann aufs Foto bannen.
Aber halt, bis zur Oder hin dauert es um die vier Stunden für den Kultur-Randonneur, denn er will ja auch auf der Anreise zum Tagesziel sehen und erleben. „Der Weg ist das Ziel.“ Frischer Westwind ist angesagt an diesem Aprilmittwoch und genauso frische 8 Grad, vielleicht noch ein Graupelschauer dazu… Ich packe sicherheitshalber meine Gore-Shakedry ein und streife mir für die ersten kalten Kilometer Langfingerhandschuhe über. Das Granfondo-Titan kommt zum Einsatz.

Es freut sich genauso wie ich auf eine ordentliche Granfondo-Distanz. In eine kleine Thermosflasche, die gut in den Halter passt, fülle ich heißen Ingwertee, in die normale kommt 0,6 l Isogetränk. Dazu stecke ich noch einen dicken Eiweißriegel in die Trikottasche. So sollte ich ohne Hungerast notfalls über den Tag kommen. Nach einem Frühstück mit Kaffee, Vollkorntoast, Käse, Honig und Marmelade sitze ich um 9.30 Uhr auf dem Rad. Dann rolle ich mich über Bernau, Tempelfelde, Heckelberg ein. Durch den langen Wald nach Haselberg, und schon habe ich das Oderbruch formatfüllend vor Augen. Auf den ersten 60 Kilometern sind mir gerade mal zwei Rennradler begegnet. Meinem Radlerfreund Wolfgang schreibe ich hinter Schulzendorf eine WhatsApp mit diesem anhängenden Foto:

Ich bin fies, ich will ihn neidisch machen. Vor einem Jahr waren wir hier gemeinsam unterwegs, heute sitzt der Arme im Büro und arbeitet sich an einer Excel-Tabelle ab. Die Sonne lacht, der Wind schiebt mich mit 45 km/h hinunter nach Vevais, wo die Kolonisten, vom Alten Fritz angeworben, ihre neue Heimat im Jahr 1752 nach ihrer alten tauften. 17 Familien bauten sich ein neues Leben auf.

Eine Keramikskulptur erinnert an die ersten Siedler, die wahrscheinlich aus der französisch-sprachigen Schweiz am Genfer See stammten. Vevais – nach Vevey am Genfer See. Genau vor einem Jahr stand ich auch an dieser Stelle und fotografierte das Werk von allen Seiten.
Ich steige wieder auf mein Granfondo, sonst fange ich noch an zu frieren. Die dunklen Wolken, aus denen vereinzelt Graupel fällt, ziehen knapp nördlich an mir vorbei. Glück gehabt. Kurs Ost, nächster Halt Alt-Lewin, mit zwei Dutzend Häusern für 55 Einwohner. herumgruppiert um die Kirche, ein Angerdorf. Bei den Siedlungen für die Kolonisten, die immer mit „Neu“ anfangen, handelt es sich meistens um Straßendörfer.


Der heiße Ingwertee tut gut und wärmt. In Alt-Lewin lässt sich kein Mensch blicken, still liegt der Ort. Die lange Eichenallee, Ortwiger Kruschke genannt, führt mich nach Ortwig. Am Ortseingang biege ich ab in die Bauernstraße mit einem genauso dominanten wie hässlichen alten, grauen Mietshaus, das offensichtlich noch freie Wohnungen zu bieten hat.



„Selig sind, die Frieden stiften“, lese ich an der teilrestaurierten Dorfkirche, die in den letzten Tagen des Krieges in Trümmer gelegt wurde. Zwei Glocken haben in den Fensteröffnungen der Südwand einen neuen Platz gefunden. Die kleine evangelische Gemeinde hat in den vergangenen 30 Jahren mühevoll und in kleinen Schritten innerhalb der Grundmauern wieder einen Gedenkraum gestaltet.
Noch zwei Kilometer bis zur Oder, bis Groß Neuendorf – einem Ort, in dem wieder mehr als 350 Menschen wohnen, auch Zugezogene aus der Hauptstadt, die am Wochenende hier leben und in Berlin arbeiten. Sogar übernachten kann man in einer Ferienwohnung im alten Verladeturm und – sehr originell – in alten Zugwaggons, die einen freien Blick auf die Oder erlauben.





Am 26. April aber erlebe ich Groß Neuendorf ohne jede Gastlichkeit. Der Radlergarten samt Haus steht zum Verkauf, das Maschinenhaus sucht einen neuen Pächter, und auch das Landfrauencafé ist geschlossen. Möge die beginnende Saison reichlich Rad- und sonstige Touristen an die Oder locken, damit wieder Leben einkehrt und die Menschen lachen können. Landschaft und Leute haben es wahrlich verdient.
Auf meiner Suche nach heißem Kaffee werde ich auch in Kienitz und seinem Kirchen-Café nicht fündig. Es hat nur freitags bis sonntags geöffnet.



Also rolle ich um die nächste Dorfecke, am Panzer vorbei und dann südwärts. Und hier wartet dann eine echte Überraschung auf meinen nach Speis und Trank lechzenden Körper.



„Bitte sind Sie so nett und klingeln, ich bin in 1 Minute da – bis gleich, freue mich“
Ich klingele. Nach wenigen Augenblicken öffnet eine freundliche Frau die Türe und bittet mich herein. Auf einem Blech liegt ein frisch angeschnittener Apfelstreusel. In einer Kanne wartet heißer Kaffee. Als ich bezahle und die Gastfreundschaft mit drei Euro Trinkgeld belohne, werde ich meinerseits durch ein „da freu ick mir aber janz dolle“ wertgeschätzt.
Gut gelaunt biege ich wieder auf den Deichweg ein. Küstrin lasse ich heute „links liegen“, ich will schließlich mein Tagesziel, die Pontischen Hänge in Lebus, noch zeitig erreichen. Der Reitweiner Sporn, ein langgestreckter Hügel, erhebt sich aus der Bruchebene auf 80 Meter empor. Dann schließt sich das Lebuser Plateau südlich an. Die Adonishänge kommen näher. Der Radweg macht im unteren Teil von Lebus einen Bogen wieder auf die Hochfläche hinauf. Ich bleibe diesmal nahe an der Oder und folge einem Fußpfad und dem Hinweisschild zum Adonis.










Diesmal lachen die Röschen mich an, sie stehen in voller Blüte und leuchten in klarem Gelb. Harmlos sehen sie aus, sind aber überaus giftig und zum Verzehr nicht geeignet. Das wissen auch die Schafe und Ziegen, die hier weiden und die Hänge von Unkraut freihalten und eine Verbuschung verhindern. Sie knabbern alles weg, lassen aber die Adonis-Pflanzen stehen. Gut so.

20 Minuten verweile ich hier, sauge die Farben und die Düfte auf und genieße den Blick in die Oderauen. Dann stiefele ich den Feldweg durch das Buschwerk hoch, um wieder auf den Radweg zu gelangen. Von hier oben reicht der Blick bis hin zu den polnischen Oderhängen auf der Ostseite. Traumhaft.


Die Wildkirschen stehen in voller Blüte und leuchten in strahlendem Weiß. Ich muss mich geradezu losreißen von diesen An-und Ausblicken. Bis hinunter nach Frankfurt begleitet mich diese Frühlingsorgie noch. Da braucht es keine gemütsaufhellenden Drogen. Die Natur macht das alles noch besser und leistet einen wunderbaren Beitrag zur seelischen Gesundheit. Also, liebe Leser, macht euch auf an die Oder, es lohnt sich.
Nach 150 Kilometern in den Beinen und dem Kopf voller schöner Eindrücke steige ich in Frankfurt in den leeren RE und gleite entspannt gen Berlin.

Sehr schöne Erkundung und dank für die Bilder ! – hatte diese Pflanze noch nie gesehen. Grüße ans weite Land
Es ist immer wieder toll und inspirierend Deine Berichte zu lesen.