Bonjour tristesse

Im Spätherbst entfärbt sich die Natur: Aus grünen Blättern werden bunte, dann braune, und dann segeln sie zu Boden und enden auf der Laubdeponie oder vermoddern feucht auf dem Waldboden. Nur die Wiesen leuchten noch leicht grün im fahlen Licht der halbhoch stehenden Sonne.

Auf der kleinen Runde in den Norden fallen mir Dinge auf, die ich im Sommer beim Vorbeifahren gar nicht wahrnehme. Immer im Spätherbst muss ich an dem seltsam anmutenden Haus in Klosterfelde anhalten.

DDR-Waffen Reparatur, Waffen – An-und Verkauf. Daneben ein vergammelter Kondomautomat

Waffen und Kondome scheinen hier nicht mehr besonders gefragt zu sein. Irgendwie stimmt mich das fröhlich. Auf der gegenüber liegenden Seite ist vor drei Jahren eine Werbeagentur in den Flachbau eines ehemaligen Landmaschinenhändlers eingezogen und hat bereits die Hälfte des Betriebs einem Tuningbetrieb überlassen. Hier sind die Straßen in besserer Verfassung als das Drumherum. Auf der Westseite des Ortes liegt das verlassene Zentrallager der Pleite-Firma Innova. Vor der Kirche wird eifrig an einer Neugestaltung des Vorplatzes gearbeitet. Das stimmt mich frohgemut. Der nächste Ort ist Zerpenschleuse am alten Finow-Kanal, dem Langen Trödel.  Auch hier wurde unlängst die durch den Ort verlaufende B 109 samt Geh-und Radweg aufwändig erneuert. Der Lange Trödel ist nach dem Neubau der Hubbrücke und der Schleuse und einer Klappbrücke wieder zu neuem Leben erwacht.  Die aktuellen Wassertouristen können heute wieder durchpaddeln, rudern , oder mit ihren Sportbooten bis nach Berlin oder hinauf in die Seenplatte fahren – auf der ältesten schiffbaren künstlichen Wasserstraße Deutschlands.

An der Kreuzung vom Kanal und der B 109 gammelt seit vielen Jahren das Gebäude des ehemals prächtigen Gasthofes vor sich hin. 

„Das Schöne ist nur schön durch die Hässlichkeit des Hässlichen“

Ich biege vor der Kanalbrücke nach Westen ab in Richtung Liebenwalde. Die alten Häuser am Kanal stehen in enger Reihung. manche sind liebevoll restauriert, andere warten noch auf ihre Neu-Erweckung. 

Ein weiteres Kunstwerk am Langen Trödel, diesmal zum Sitzen

Am Ende der Hausreihe rolle ich an „Emma Emmelie„, dem wunderbaren Antiquitäten-Café von Ines Schweighöfer, vorbei. Der Weg nach Liebenwalde führt weg vom Kanal durch den Wald. Die Felder links liegen unter feuchtem, kalten Nebel. 


Noch 15 Kilometer weiter südlich hatte ich mich an Sonne im Rücken und recht milder Luft erfreut. Jetzt sind es gefühlt mindestens fünf Grad weniger, und die Sonne ist nur noch als milchige Scheibe zu erkennen. Genau hier verläuft in diesem Moment die Grenze zwischen warmer aus Süden heranströmender und feuchtkalter, nur unwillig weichender Winterluft. Unvermittelt stehe ich vor einer Baustellenbarriere, ohne jede Vorankündigung. Ich fahre weiter – Radler kommen schließlich überall durch! Aber es wird rumpelig. Auf den nächsten zwei Kilometern ist immer wieder die Oberfläche abgefräst, um den lästigen Wurzelschäden beizukommen. Rühmlich, allerdings heute für mich ausgesprochen lästig. 



In Liebenwalde grüßt mich zunächst der ehemalige Konsum, dann lockt mich das Haus vom „Speditionsgeschäft Ernst Gohlke“. Die Bewohnerin des Anwesens zeigt sich gereizt, als ich die Kamera zücke. „Ich hasse es: die Touristen, die rumknipsen und rumstehen. Jetzt soll auch noch der Radweg direkt vor meinem Haus verlaufen – auf meine Kosten! 25000 € sollen die Anwohner bezahlen, wovon denn? … Und die Firmen am Ende des Weges zahlen nichts… “ Nicht alle freuen sich über die Erneuerung der Infrastruktur, und nicht alle sind richtig informiert, kann ich konstatieren, und rolle weiter – wieder gen Süden, wieder zurück nach Berlin.

Im alten Konsum ist wieder Leben eingekehrt – Kunst und Café – Ausstellungen sind geplant. 

Auch Liebenwalde hat Licht und Schatten: Neuer Hafen, neue Brücke, prachtvolles Rathaus. Darüber können sich die Liebenwalder freuen. Und wenn dann die Freude überschäumt, begibt man sich einfach an die Ausfallstraße Richtung Kreuzbruch.

Die Berliner Chaussee kreuzt den Oder-Havel-Kanal. Hier bin ich auf dem Weg in den Süden wieder in der einfließenden Warmluft angekommen. Die Sonne scheint, die Stimmung hebt sich.

und unter der rostigen Eisenbahnbrücke ein einsamer Angler

Ich folge dem Radweg, der hinter der Straßenbrücke nach rechts in Richtung Friedrichsthal und Oranienburg abknickt. Ein wunderbarer Weg durch den Wald, an Bernöwe und der ehemaligen Lungen-Heilanstalt Grabowsee vorbei, dann am Voßkanal entlang nach Lehnitz. 

Lichtspiele am Radweg Berlin-Kopenhagen bei Bernöwe

An der Schleuse in Lehnitz biege ich ab nach Oranienburg und erhasche einen warmen Lichtblick auf die Königin Louise.

Louise Henriette, geb. Prinzessin von Oranien, Namensgeberin von Oranienburg

Ich fahre zwar noch ein paar Kilometer weiter bis „Venedig“ – mit der couragierten Louise soll aber mein Bericht von heute enden. 

Straßenschild der Wassersportsiedlung Venedig in Borgsdorf, angelegt 1929

Demnächst hoffentlich wieder mit Geschichten und Fotos aus Schnee und Eis…

6 Kommentare zu „Bonjour tristesse

  1. Sehr schöner Artikel. Weckt längts vergangene Erinnerungen. Bekommt man richtig Lust wieder das Berliner Umland mit dem Rad zu erkunden. Ich hoffe der Autoverkehr zwischen Stadt und Umland ist jetzt nicht mehr so stark wie im Sommer… Oder fährst Du nur auf Rad- und Schleichwegen?

    Thomas

  2. Das sind ja teilweise richtig schöne alte Häuser. Ich bekomme da immer so Ideen was man mit ihnen alles schönes machen kann. Ach ja, die Bank mit den verschiedenen Stuhllehnen ist auch orginell. Danke für die Bilder.

  3. Innova hat fast alles – außer teuer.
    An diesen Satz aus dem Radio erinnere ich mich, wenn ich diese wehmütigen Zeilen lese. Sehr treffende Bilder und Worte.

Kommentar verfassen