Herbst in der Uckermark

Milde Lüfte, Herbstfarben, Zugvögel am Himmel… Die Steuererklärung ist fertig, der Heizungsbauer hat die Heizung gewartet, und das Dach vom Gartenhaus habe ich auch winterfest gemacht. Ein guter Zeitpunkt, wieder Nahrung für Körper und Seele zu tanken. Am besten bei einer langen Ausfahrt in die bunte Landschaft. Grobe Richtung Nordost bis hin zur Ostsee und dann eine gemütliche Übernachtung in der Uckermark. Gedacht, geplant, getan. In Löcknitz buche ich ein Zimmer im Hotel am See. Das Ziel des ersten Tages ist also klar. Den Track vom Radweg Berlin-Usedom nehme ich als grobe Orientierung für meine Fahrstrecke. Dann bessere ich auf der Basis meiner vergangenen Erkundungstouren noch auf Basecamp nach. Diese Art der Vorbereitung liebe ich, denn beim Planen kann ich im Kopf schon mal vorfahren. Bilder aus den gemachten Touren laufen vor meinem geistigen Auge vorbei und erzeugen erwartungsfrohe Gedanken.

Für nur eine Übernachtung und bei angekündigten Spätsommertemperaturen kann ich mein Reisegepäck auf ein Minimum schrumpfen. Zahnbürste, Linola-Creme, Deo – Pulli, dünne Funktionshose und leichte Turnschuhe samt einem Paar hineingestopfter Ersatzsocken. Dann für alle Fälle meine ultraleichte Gore Shakedry zum Überziehen. Das passt alles locker in eine einzige Ortlieb-Gravel-Tasche. Summa summarum wiegt meine Ausrüstung samt Radwerkzeug, Ersatzschlauch, Kamera etc. weniger als 3 kg. Drunter geht es kaum. Dazu kommen noch zwei 750ml Trinkflaschen. Macht zusammen mit meinem Granfondo Titan etwa 14 kg Gepäck plus Rad. Dann noch meine 78kg inclusive Kleidung. Nur knapp über 90 kg muss ich also über die Endmöränenwellen drücken.

Beim Start genau um 9 Uhr sind es noch frische 8 Grad. Dünne Langfingerhandschuhe und meine Rapha-Brevetjacke, dazu Beinlinge für die kälteempfindlichen Knie. Was so ein in die Jahre gekommener Randonneur mittlerweile alles braucht, um sich wohlzufühlen…

Das erste Foto mache in in Eichhorst. Selbstredend von der namensgebenden Eiche des kleinen Ortes.

Als 1709 die „Werbelliner Kanalkolonie“ auf Geheiß von Friedrich I. gegründet wurde, war der Baum schon über 300 Jahre alt und auch damals schon von imposanter Größe. Für den Verbindungskanal vom Werbellinsee zum Oder-Havel-Kanal musste das Gelände vier Meter hoch aufgeschüttet werden – die alte Eiche wurde genauso tief eingegraben. Auch diesen Angriff auf ihre Gesundheit hat sie überstanden. Heute, noch einmal über 300 Jahre später hat das beeindruckende Alter Spuren hinterlassen: Totholz, abgebrochene Äste, allerdings tragen daneben auch einige kräftige, vital wirkende Ausleger reichlich Eicheln und Herbstlaub. Möge es noch lange so bleiben. Der Werbellin liegt ruhig und friedlich da, die Strandgaststätten haben die Herbstruhe eingeläutet. Erst in Joachimsthal sehe ich die ersten Menschen auf der Straße. Das Gasthaus „Zur Krim“ gibt es seit 1883. Ob es hier wohl den berühmt-berüchtigten Krimsekt gibt? Ich kann es nicht testen, denn die Krim hat Betriebsruhe bis zum 8. November.

Jetzt, zur Mittagszeit ist mir auch mehr nach einem Milchkaffee und einem süßen Teilchen. Beim Bäcker Hakenbeck in Friedrichswalde wartet sicher schon ein leckerer Pfannkuchen auf mich. Der erste Duft, der mich erwartet, riecht allerdings nach Teer und nicht nach frischem Kaffee. Die Landstraße wird aufwändig mit einer dicken, neuen Decke versehen, bis hin zum Ortseingang. Die Bauarbeiter sind freundlich und lassen mich an den schweren Maschinen vorbei. „Vorsicht, der Teer ist noch heiß“, werde ich gewarnt.

Erst heißer Teer, dann heißer Kaffee bei Hakenbeck, dem besten Bäcker weit und breit. Gestärkt steige ich nach einer Pause in der wärmenden Sonne wieder auf und kurbele über die sanften Barnimwellen nach Norden. Auf den Äckern und Wiesen rasten Graugänse, drei Kraniche fühlen sich von mir gestört und starten zum kurzen Rundflug.

Kleine Eiszeitseen säumen meinen Kurs, hin zum ersten größeren Gewässer, dem Oberuckersee. Langsam wird es hügeliger, meine Beine werden zunehmend gefordert. Viele kleine Hügel wirken auch wie ein einziger großer. Die Uckermark wirkt menschenleer. Herrliche Ausblicke kann ich in mich hineinsaugen ohne jede Ablenkung. Vor ein paar Jahren kam ich hier vorbei bei einem 400 km Brevet. Der offizielle Track führte über einen rumpeligen Waldweg, den ich mir heute spare.

Bei Warnitz, einem kleinen Ort am Rande des Oberuckersees, bietet der Gasthof „Deutsche Eiche“ eine Karre Mist zur gefälligen Verkostung an. Wobei die kulinarische Übersetzung für Mistfladen, Pferdeäpfel und Hühnerkot tröstlicherweise Schnitzel, Bratkartoffeln und Spiegelei lautet. Ich habe aber noch keinen Hunger, und überdies hat das Haus noch nicht geöffnet.

In Brüssow weist ein Plakat an einem trostlos-grauen Gemäuer auf ein Kino hin. Ein Kulturhaus samt Kneipe, Galerie und 60 Quadratmeter großem Kino soll sich hier verbergen, lese ich auf der Ortsseite nach. Die Sonne wird durch eine Cirrusschicht milde abgedimmt. Das erzeugt eine Stimmung, geeignet für einen melancholischen Film aus der alten Zeit.

Löcknitz ist nicht mehr weit. Bald habe ich 150 Kilometer in den Beinen. Aussicht auf eine Dusche, dann vielleicht ein Bier auf der Terrasse… Vorfreude. Ein kleiner Festungsturm markiert den 3300-Seelen-Ort an der Randow, die hin zum Stettiner Haff fließt. Etwas Kultur muss sein, erinnert mich mein inneres Ich. Also durchschreite ich die Burganlage samt Touristikzentrum. Das ist kein zeitraubendes Unterfangen, nach wenigen Schritten habe ich das Areal durchmessen.

Ein paar hundert Meter weiter erreiche ich das Hotel am See, in dem ich ein Zimmer gebucht habe. Freundlich und professionell werde ich empfangen, mein Granfondo erhält eine sichere Bleibe im sogenannten Radschuppen, der sich als Abstellraum, ehemaliger Fitnessbereich und Rumpelkammer erweist. Trotzdem oder gerade deshalb fühlt sich mein Rad neben einer ausgedienten Hantelbank sehr wohl.

Wo bin ich hier hingeraten? Ja, bin ich denn in Bayern? Alles ist korrekt geschrieben, auch der Obazda und die Brezn.

2 Kommentare zu „Herbst in der Uckermark

  1. Liebe Eva, wenn ich lese, welche Strecken Du jüngst wieder unter die Räder genommen hast – in Nacht und Wind und und… , dann wird mir manchmal wehmütig ums Herz. Dann lese ich mir wieder einmal meinen Wahlspruch selber vor: Mache das Machbare, aber auch nicht mehr. In diesem Sinne: bleib munter und tatenfroh.

  2. Wunderbare Herbstreise durchs spröde Land, lieber Dietmar. Macht wieder mal Spaß, dem Weg und Erleben des „Kultur-Randonneur“ 😉 hinterher zu spüren (muss bei dem Wort vor allem etwas Schmunzeln, weil deine Kilometer ja noch immer nicht zu verachten sind!). Vielen Dank dir fürs Berichten!

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