Werde ich heute nass oder bleibe ich trocken? Wer weiß? So packe ich meine Shakedry-Regenjacke in den Aeropack. Bekanntlich kann man das Regenrisiko maßgeblich durch die Mitnahme von Regensachen herunterschrauben. Schließlich regnet es ja auch selten, wenn man einen Regenschirm dabei hat.
Erst um halb zehn sitze ich auf dem Granfondo und setze Kurs nach Osten, hinein in den Barnim und die großen Felder und Wälder. Es rollt! So mache ich den ersten Halt erst in Grüntal an meiner Lieblingseiche. So richtig gut sieht ihr Blattwerk in diesem Frühjahr nicht aus. Einiges Totholz wird sichtbar. Ich lehne mein Rad vorsichtig an ihren monumentalen Stamm. Warm fühlt sich die Rinde an, als ich meine Hände auflege.



Neben dem 400 Jahre alten Baumriesen und vor der Kirche hat die Gemeinde in diesem Frühjahr einen Gedenkstein für den „Besitzer Grünthals“, den Justizrat Carl August Julius Schuetz, aufgestellt. Folgende Information entdeckte ich auf Wikipedia:
„Im Jahre 1826 gründet Carl August Julius Schütz in Grüntal die erste Brauerei nach bayrischer Art, „es war das erste bayerische Lagerbier, das in der Mark Brandenburg gebraut wurde“ (nach R. Schmidt 1922, 1928). Er hatte sich vorher in Süddeutschland ausführlich über das Brauen untergärigen Bieres erkundigt und den Bamberger Küfer (Fassmacher) und Bierbrauer Conrad Bechmann (* 1801 in Pommersfelden; † 1881 in Berlin)[7] als Braumeister für die Produktion gewonnen“
Wer heute in Grüntal nach einer Brauerei sucht, sucht vergebens. So gerne hätte ich hier einmal , am besten unter der riesigen Eiche vor der Kirche, ein „Grünthaler Unterhöler“ getrunken. Genauso, wie seinerzeit der Reichskanzler Otto von Bismarck.
Über Gersdorf, an Hohenfinow vorbei, rausche ich schließlich hinunter nach Falkenberg und dann an der Abbruchkante des Oderhanges entlang nach Bad Freienwalde. An den Wegrändern blüht der Mohn und leuchtet in herrlichem Rot. Ausnahmsweise mache ich kein Foto, ich warte auf ein riesiges Blütenfeld als Motiv. Aber leider warte ich heute auf eine Mohnorgie vergeblich. In Hohenwutzen erreiche ich die Oder und biege auf den wunderbaren Radweg ein. Es beginnt zu tröpfeln, hinter mir schiebt sich eine Schauerzelle heran. Also reintreten und dem Regen davonfahren. Es gelingt! Ist aber recht kraftraubend für mich, so zwischen 25 und 30 km/h zu fahren. Früher ging das auch lockerer, als ich beim 400er Brevet zusammen mit Wolfgang und Matthias bis Kienitz mit einen Schnitt von 27 unterwegs war. 10 Jahre liegt das nun zurück.





Die Europabrücke moderte zu dieser Zeit noch vor sich hin, heute kann man wunderbar nach Polen hinüberrollen und den Blick über die Oderauen genießen. Ob das Kirchencafé Himmel und Erde wohl geöffnet hat? Ja, es hat. ( Mittwochs- Sonntags von 12 bis 18 Uhr). Einfach schön, heute habe ich Glück.






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Ich gönne mir ein großes Stück hausgemachten Erdbeerkuchen, dazu einen erstklassigen Milchkaffee. Den beiden Radfahrerinnen, die auch im Kirchencafé sitzen, erzähle ich von der Trockenlegung des Oderbruchs und dem wunderbaren Buch von Norman Ohler: „Die Gleichung des Lebens„. Vor meinem inneren Auge kommen gerade Leonhard Euler und der Oberdeichinspektor Simon Leonhard von Haerlem durch die Kirchenpforte. Aber nein, die beiden haben ja hier im Auftrag von Friedrich II. schon vor über 270 Jahren gezeigt, was sie konnten.
Fast eine Stunde bleibe ich im Kirchencafé Himmel und Erde. Ein Ort zum Wohlfühlen!
Dann rolle ich weiter entlang der Oder. In Küstrin steige ich heute noch nicht in die Bahn. Nächstes Ziel: Frankfurt. Die Oderauen zeigen sich in herrlichem Licht unter dem dynamischen Himmel mit im Norden vorbeiziehender Schauerfront. Heute bin ich dem Regen immer 10 Kilometer voraus.




Am Rande des Reitweiner Sporns füttere ich noch einmal meine Kohlenhydratspeicher mit einer Banane. Die Mohnfelder, auf die ich gehofft hatte, bekomme ich immer noch nicht vor die Augen. Entweder sind sie verblüht oder ich fahre immer ein paar Kilometer an ihnen vorbei. Die weißen Rinder und die Pferde am Hang von Lebus entschädigen mich für das entgangene Blütenrot.
Die Wüste Kunersdorf kann mich auch heute nicht locken. Ich spare meine Kräfte für die kleinen, aber fiesen Rampen auf dem Wege nach Frankfurt. Diese Stadt zeigt mir auf den Straßen hin zum Bahnhof ihr weniger attraktives Gesicht. Hochhäuser, vergammelte Häuserfronten,



Das ehemalige Lichtspieltheater der Jugend, die Frankfurter Tafel in einem Gebäude mit eingeworfenen Fenstern… Ich lese auf der Seite des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur, dass hier einmal das Brandenburgische Museum für moderne Kunst entstehen soll… Ein Architekturwettbewerb war auf europäischer Ebene schon 2020 ausgeschrieben. Die Fördermittel stehen bereit… berichtet stolz die Ministerin Manja Schüle. Nur kann ich an dem Gebäude beim besten Willen weder Hinweise auf die Zukunft, noch Umbauaktivitäten erkennen. Auch hier: zerborstene Fenster, Graffiti, Unrat…
Und hier der aktuelle Stand der Planung, zu lesen in der Süddeutschen Zeitung vom 16.Februar 2024:
Frankfurt (Oder) (dpa/bb) – Vor dem Umbau des alten Lichtspieltheaters in Frankfurt (Oder) haben sich die Stadt und das Land Brandenburg auf einen gemeinsamen Plan verständigt. Nach einem Vergabeverfahren und weiteren Gutachten, etwa zur Bausubstanz und Bauhistorie, soll 2025 die Kostenplanung abgeschlossen sein. Eine solche Haushaltsunterlage sei die Grundlage für die Beantragung der Fördermittel für den Bau, teilte die Stadt am Freitag mit. Die Bauarbeiten sollen erst 2030 fertig werden.
Aha, nun weiß ich mehr und bin, wie sooft bei ähnlichen Bauvorhaben und Politikereigenlob reichlich desillusioniert.
Der Stadt Frankfurt/Oder und ihrer historischen Bedeutung samt Viadrina, Heinrich von Kleist, bis zu Henry Maske kann ich an diesem Spätnachmittag nicht mehr gerecht werden. Ich werde wiederkommen und die schönen Seiten suchen.
Ich beeile mich, den Bahnhof zu erreichen. Diese Stadt kann mich zumindest heute nicht zu weiteren Erkundungen locken. Der Zug fährt pünktlich, um 20 Uhr bin ich wieder daheim.
Schönes, Erhabenes, Hässliches, Erstaunliches… Alles habe ich an diesem Tag vor die Augen bekommen.
P.S Als ich am Folgetag mein Titan Granfondo vom Staub der Tour befreie, entdecke ich höchst Unliebsames: Die Kettenstrebe hat einen deutlich erkennbaren, fast umlaufenden Riss! >>> Darüber werde ich mich nach dem Verdauen des ersten Schrecks in Kürze detailliert auslassen.
