Winde wehen kalt
Tage schlafen schneller ein
Wasser friert zu Eis
Sonntag will ich zu meiner Abschlusstour starten. Der Winter steht vor der Tür, und die Schönwetterfenster sind selten. Bis Mittwoch soll die Sonne lachen. Also starten – hinein in die kalte Luft, hinein in die frierende Landschaft. Noch einmal Sauerstoff und Sonnenstrahlen tanken.
Im Spätherbst sieht eine Etappentour anders aus als im Sommer. 200 Kilometer sind nicht mehr im Hellen zu fahren. Es kann empfindlich kalt werden. 150 Kilometer sollten aber machbar sein pro Tag. Mein Plan sieht vor, ab Brandenburg in drei Etappen ins Sauerland, meine alte Heimat, zu fahren. Abends ein Hotel anlaufen, gut essen und trinken, und am nächsten Tag mit dem ersten Licht wieder auf die Straße.“ Wetteronline“ verspricht Sonne – aber auch mit nach Ost drehendem Wind knackige Kälte bis minus 6 Grad. Winterausrüstung ist gefragt: Mein Endurace rollt auf Conti 4Seasons 25/28mm, Die Supernova E3 und das Taillight werden vom SONdelux mit Strom gefüttert. Eine 10000 mAh Powerbank steckt zur Sicherheit auch noch in der Tasche. Auf dem Körper drei Schichten Kleidung – Assos-Shirt, Rapha-Brevet-Trikot, Gore Winterjacke. Dünne Handschuhe in dicken Roeckl Fingerlingen. Lange Winterhose von Sugoi, Winterschuhe Polaris MTB. Auf dem Kopf eine Wintermütze, um den Hals ein Buff zum Hochziehen über Gesicht und Nase.
So eingepackt habe ich schon manche lange Wintertour überstanden. Der Regionalzug bringt mich bis Brandenburg, dann geht es endlich los. Langsamer als ich geplant habe! Der Nordwest bläst kräftig und kalt ins Gesicht und bremst meinen Eifer. Viel mehr als 20 km/h sehe ich selten auf dem Tacho.
In Wusterwitz entdecke ich in einem verwahrlosten Park dieses Thälmann-Denkmal. Die Skulptur strahlt, passend zum Wetter, Eiseskälte aus. Also raus aus dem Gelände und warm fahren.
In Burg zeigt der Wegweiser 1143 km nach La Roche-sur-Yon an und 335 km bis Gummersbach im Bergischen Land. Das liest sich doch ganz freundlich, wo ich doch nur die Region des näher gelegenen Ziels anpeile. Die Sonne tut der Seele gut, Finger und Füße bleiben so eben auf angenehmer Temperatur. Wenn nur dieser fiese Gegenwind nicht wäre.
Nach einigen überflüssigen Umwegen komme ich schließlich von Süden an der mächtigen Trogbrücke bei Hohenwarthe an. Hier wird der Mittelland-Kanal über die Elbe geleitet und seit 2003 mit dem Elbe-Havel-Kanal verbunden. Ich stehe staunend vor der 918 m langen Stahlkonstruktion, der längsten Kanalbrücke Europas.
Und so sieht das von der anderen Seite aus. Blaues Wasser – blauer Himmel.
Am Mittellandkanal komme ich nur zäh voran. Der Weg ist mit feinem Split belegt, der Wind bläst auf der Deichkrone unbarmherzig. Also treten, treten, treten.
In Gutenswegen in der Magdeburger Börde sind die Straßen wieder ordentlich glatt, und gegen den späten Nachmittag wird auch der Nordwest schwächer. Warum gibt es nur hier nirgendwo ein Café oder zumindest eine Tankstelle zum Aufwärmen und Kalorien tanken?
In diesem Landstrich bis hin nach Helmstedt erstreckt sich eine wahre „Service-Diaspora“. Dafür endet jeder zweite Ort mit -leben. Dieses Kürzel bedeutet soviel wie “ Überbleibsel, Hinterlassenschaft, Rest“. Es hat also mit Leben , wie „Leib und Leben“, nichts zu tun. So kann ich es beim Namensforscher Udolph nachlesen. Bis Königslutter will ich heute noch kommen und dann im „Alten Brauhaus“ nächtigen. Bis dahin muss ich noch reichlich viele Hügel hinaufkurbeln, manchen Wald durchqueren und drei Stunden lang auf die Lumen-spendende E3 Leuchte vertrauen. Als ich gegen 19.30 Uhr im Brauhaus nachfrage, bekomme ich erst ein freundliches Ja auf meine Zimmernachfrage und dann doch noch die Absage des Hotelbetreibers. Will der keine Radfahrer??? Ich bin leicht frustriert und suche weiter. Eine halbe Stunde später werde ich im „Avalon“, einem typischen Tagungshotel an der Straße nach Braunschweig, fündig. Freundliche Menschen, gute Dinkel-Pasta, leckeres Warsteiner Pils. Alle Mühsal des Tages ist vergessen. Und 150 Kilometer stehen auch zu Buche.
Klarer Himmel, Minus 4 Grad, gute Laune nach reichlichem Frühstück! Start um 9 Uhr in Richtung Braunschweig und Hildesheim. Locker geht es voran. Heute ist der Wind gnädig. Er schiebt sanft, bringt aber noch mehr Kälte mit sich.
Rauhreif auf den Radwegen, und am Ampelschalter schmilzt das Eis nur langsam weg.
Zuckerfabriken und Kraftwerke als Orientierungspunkte in der Hildesheimer Börde.
Mein Endurace steckt die Beladung spielerisch weg. Am Oberrohr hängt neuerdings eine Tasche von „Burgfyr“ aus Hamburg. Sie passt genau ins vordere Rahmendreieck und lässt noch Platz für die hintere Trinkflasche. Klasse und wertig gemacht. Ein neues Ausrüstungsteil der Kategorie „Randonneurs-best“.
Um die Mittagszeit erreiche ich Hildesheim. Hier will ich irgendwo einkehren und mich aufwärmen. Doch: diese Stadt will mich einfach nicht. Schon vor zwei Jahren hatte ich mich fast bei einer Schienenquerung lang gelegt. Dieses Mal habe ich übel geflucht über die mäßige Radweg-Beschilderung. Und die genau so bescheidene Radweg-Qualität in der Stadt. Irgendwann will ich nur noch raus nach Westen. Nach 10 Kilometern finde ich eine Tankstelle, in der ich einen riesigen Milchkaffee, ein Brötchen und eine Bockwurst vertilge. Kein Genuss, aber hilfreich für Körper und Seele. Die nächste Stadt am Track ist Hameln, das ich im späten Nachmittagslicht erblicke.
Ein riesiges Besteck am rumpeligen Radweg, aber nichts zum Speisen.
Hameln wirkt bei der Einfahrt aus Osten wie eine Ruhrgebietsstadt. Trist und grau und abgeschabt. Kann sein, dass ich der Rattenfängerstadt Unrecht tue. Schließlich habe ich die historische Altstadt links liegen lassen. 150 Kilometer sollen es auch heute noch werden. Und deshalb muss ich einfach weiterfahren – hinein in die Dunkelheit. Und hinein in die Hügel des Weserberglandes. Warm wird es beim Kurbeln, und nach zwei Stunden stehe ich vor dem Bahnhof von Steinheim. Über Paderborn geht ein Zug nach Soest. Das ist verlockend. Schließlich ist die alte Stadt für einen sehenswerten Weihnachtsmarkt bekannt. Und die Aussicht auf 90 Minuten wärmende Kilometer im Regionalzug ziehen mich hinein in den Bahnhof.
In Soest steige ich gewärmt und ausgeruht aus und schaue mich im Internet nach einem geeigneten Hotel um. Schnell ist das „Am Wall“ gefunden. Und beim Finden des direkten Weges dorthin ist mir ein Ehepaar behilflich, das auch großes Interesse an meinem Rad und meiner Ausrüstung zeigt. Was ist das für eine Lampe, woher kommt die Tasche… Ich werde gelöchert. Von Markus, der auch engagiert Rennrad fährt, wie sich im weiteren Gespräch herausstellt. Gegen 19 Uhr checke ich im Hotel Am Wall ein und nehme mein Endurace mit aufs Zimmer. „Nie ohne mein Pferd“. Neben dem Bett hat es das treue Gefährt warm, und es muss sich nicht vor Dieben fürchten.
Ich dusche, ziehe mich um und bin 20 Minuten später auf dem Weg zum Altstadt-Weihnachtsmarkt. Hier werden zwar schon „die Stühle hochgeklappt“, aber einige Buden bieten noch Glühwein und Bratwurst an. Ich ziehe es vor, im „Wilden Mann“ einzukehren.
In diesem urigen Gasthaus bekomme ich leckeres Krombacher und dazu Grünkohl mit Mettwurst. Die riesige, wohlschmeckende Portion schaffe ich trotz Kaloriendefizit nicht ganz. Zufrieden und satt schlüpfe ich um 23 Uhr unter die warme Bettdecke.
Am nächsten Morgen zeigt das Thermometer Minus 6 Grad. Ursprünglich wollte ich heute noch eine Etappe von ca. 110 km über Werdohl nach Meschede fahren. Mal sehen, wie sich die Kälte anfühlt. Um 9Uhr sitze ich wieder im Sattel. Den Buff habe ich über Mund und Nase hochgezogen. Der Giro „Air attack“ mit seinem Visier ist ideal geeignet, Stirn und Jochbeinregion vor dem kalten Luftstrom zu schützen. Ein Aero-Helm als Kälteschutz!
In Soest ist das Radfahren sehr angenehm, auf guten Radwegen geht es entspannt hinaus der Stadt nach Süden in Richtung Möhnesee. Der Haarstrang bringt ein paar Höhenmeter, die etwas anstrengen, aber auch den Körper wohlig durcharbeiten lassen und wärmen. Auf der Südseite führt der Track wieder hinunter ins Möhnetal. Erst jetzt spüre ich die beißende Kälte. Das erste Mal auf dieser Tour bekomme ich kalte Finger und kalte Zehen. Im Schatten zeigt der Sigma minus 7 Grad. Das Tal bekommt den ganzen Tag über keinen Sonnenstrahl ab.
So sieht ein kalter Morgen aus.
Und so die kalte Ruhr.
In Neheim-Hüsten beschließe ich, meine Etappe abzukürzen und auf direktem Wege nach Meschede zu fahren. Nochmal mehr als 100 km bei Minusgraden sind mir heute zu ungemütlich. In Meschede wartet ein köstliches, warmes Mittagsmahl auf mich. Und ein herzlicher Empfang noch dazu. Wenn das kein Grund ist, heute ausnahmsweise auch einmal mit 60 Km zufrieden zu sein. Den Tag und den Abend genieße ich in der alten Heimat.
Am nächsten Morgen bringt mich die Bahn – mit ein paar Verspätungen und Umwegen – aber letztlich sicher, nach Berlin zurück. Und in Dortmund mache ich in der 2 Stunden-Umsteigepause einen Currywurst-Test. Ergebnis: Preis-Leistung-Geschmack vorzüglich.
Weihnachten kommt bald! Und damit auch wieder die „Festive 500“. Bis dahin werde ich mich mit kurzen Einheiten fit halten. Eine Winterpause gibt es nicht.
Wie hat Albert Camus doch geschrieben:
“In the midst of winter, I found there was, within me, an invincible summer“.
Stark 🙂 Da bekommt man sofort Lust, sich auf’s Rad zu setzen und loszufahren, wenn man das liest. Mich hat es neulich mal für einen Tag ins Sauerland nach Sundern verschlagen. Tolle Gegend zum Radeln, muss ich auch mal erkunden, liegt ja von Bonn aus fast vor der Haustür
Sind grad auch hier mit mtb. Und ‚kletter‘ .. bericht und bilder folgen und strecken auf strava … da bist du sicher auch …?
hallo Gabi, mit Abschluss-tour habe ich nur die letzte längere Etappentour gemeint. Festive 500 wird natürlich „erledigt“, egal wie das Wetter ist. Hohoho! Und Meschede… das ist ja witzig. Viel Freude beim Gardasee-fahren wünsche ich Dir. Da beneide ich Dich.
Sauerland … das war eine zeitlang auch meine heimat … meschede … da war ich aber noch jahrzehnte entfernt vom radfahren …
Meine abschlusstour wird wohl das brevet solstizio d’inverno werden… am wintersonnwendtag- nein diesjahr schon am 17.12. Rund um den gardasee … nachts… im märz tour war ein bericht drüber … jahresabschluss? Wenn es weiter keinen schnee hat bei uns geht sich vielleicht auch die rapha festive 500 aus … gute erholung!
Hallo randonuerdidier, ja der Ortlieb ist wahrlich spitze. Die Idee mit der Kunststoffplatte, die hat auch was. Mal sehn ob ich da auch was passendes finde.
Bisher stopfe ich ich immer ein wenig mehr rein, als eigentlich notwendig, also für den Transport. Der Handlebar-Pack, den ich inzwischen auch besitzte, ist da deutlich unempfindlicher.
Nur der hält halt eben den Regenbeschuss von hinten nicht so gut ab.
Hallo Markus, die Platte habe ich eingelegt, um das Herunterhängen – wie eine Wurst – zu verhindern. Der Spanngurt fixiert die Tasche noch etwas besser. Allerdings ist die Ortlieb von Hause aus längsstabiler als Revelate, Apidura u.ä
all the best
Hallo Dietmar,
schöne Tour hast Du da zusammengefahren. Und besser kalt, sonnig und trocken als warm und Regen, oder? Ich habe mich erst gefragt, wo denn die „Art“ auftaucht und dann bemerkt, dass Du dafür einen extra Beitrag angelegt hast. Ich denke, der erste Platz im Artfahren ist Dir nicht mehr zu entreißen 😉
Ich habe gesehen, dass Du einen zusätzlichen Spanngurt zur Fixierung der Ortlieb Tasche angebracht hast und Du schreibst von einer Kunststoffplatte zur Stabilisierung. Würde die sonst doch das Schlackern anfangen, oder hat das eher mit der (zu vollen oder zu leeren) Beladung der Tasche zu tun?
Viele Grüße!
Hallo Alex, mit der Ortlieb bin ich sehr zufrieden. Besonders, nachdem ich als „Tuning“ zur Stabilisierung eine Kunststoffplatte in den unteren Teil eingelegt habe. Die Knog lässt sich einfach in 7 verschiedenen Positionen, je nach Ausladung befestigen. Ich habe allerdings, als die Befestigung der Knog gerissen war, mit Klettband eine eigene Lösung gebastelt. Original Knog müsste aber auch gut gehen.
Moin, „schönen Heckkofferraum“ hast Du da. *blinzel*
Du hast eine Knog Blinder dran, sehe ich das richtig ? Lässt die sich gut befestigen, auch wenn man mal die Tasche anders befüllt hat und die Lampe schnell anders positionieren muß ?
Auf der Piste wünsche ich Dir viele schöne Fotomotive und immer nette Menschen um Dich herum. Bleib munter!
Du hast vollkommen Recht. Die Direttissima von Soest nach Warstein verläuft nicht über Werdohl. In diesem nicht besonders attraktiven Städtchen habe ich aber meine Jugend verbracht und dort liegt auch das Grab meiner Eltern. Ein guter Grund für einen „Umweg“ also. Bleib munter und kreativ und führe Deine Oldies auch im Winter aus. Die können das vertragen. Hab Sonne im Herzen… In diesem Sinne – genieße die Zeit.
Ausgezeichnete leistung! Nur der weg Soest-Werdohl-Meschede kommt mir etwas indirekt vor, man muß doch nur noch über den Haarstrang nach Warstein hinab??
Danke für die Übernachtungstips in der mitteldeutschn Wüste. Ja, wer in Radkleidung daherkommt gilt nicht mehr als zivil, jedenfalls nicht überall. Wünsche einen gesunden Advent und noch viele glückliche km in diesem Winter
Hallo Dietmar
Da werden einem ja schon beim Lesen die Fingerspitzen und die Zehen kalt
Ich fahre nur 30-50 km bei so einem Wetter und bei so einer Kälte und habe nicht ganz die gleiche Bekleidung wie Du
Ich weiß wovon Du schreibst
Morgen früh geht’s wieder auf die Piste
Vielleicht habt ihr ja bei der „Festive 500“ mit dem Wetter mehr Glück
Ich wünsche eine geruhsame Adventszeit, ein friedliches Weihnachtsfest und ein sportliches, gesundes Neues Jahr 2017
Beste Grüße
Franz
Hallo Peter, genau so! Eine kleine Runde fahren. Sauerstoff und Natur aufsaugen. Bleib munter.
Hallo Dietmar,
wie immer toll geschrieben. Beim lesen habe ich auch kalte Füße und Hände bekommen.
Ein Schwachpunkt von mir. Aber was solls. Mache mich fertig für eine kleine Runde.
Die Sonne scheint. Um Null Grad. Es könnte schlimmer kommen..
Ich wünsche dir alles Gute und ein Frohes Weihnachtsfest.
PP
Respekt, schöne Abschlusstour! 🙂