Die Sonne sorgt für die Ausschüttung von Serotonin, Dopamin und Noradrenalin. Das sind die sogenannten Glückshormone. Im Umkehrschluss fördert graues Winterwetter mit wenig Licht miese Stimmung und macht müde. Wenn „wetteronline“ also nach einer grauen Woche einen Tag mit acht Stunden Sonne vorhersagt, wäre es geradezu sträflich, drinnen zu bleiben.
Körper und Seele mit Nahrung versorgen, das wollen Wolfgang und ich an diesem Sonnenfreitag. Start halb elf praktisch vor seiner Haustür in Pankow, um dann möglichst schnell aus der Stadt hinaus in die Felder und Wälder zu kommen. Die Äste der Eiche, die vor unserem Haus steht, schwingen im aufkommenden Westwind. Die Luftströmung sollte nicht nur die letzen Wolken vom Himmel verscheuchen, sondern uns auch auf dem Weg nach Osten ordentlich Schub geben. Ich packe mich gut in meine Winterjacke ein, drunter ein Merino Trikot und an den Beinen die treffliche Winterhose von La Passione. Eine Thermosflasche habe ich mit Ingwertee gefüllt, die Apfelsaftmischung in der zweiten darf ruhig kalt werden. Mit meinem Granfondo rolle ich um 9.30 Uhr los, dann werde ich pünktlich eine Stunde später nahe beim Schloss Schönhausen, dem vereinbarten Startpunkt, ankommen. Ich bin viel zu früh dort, so mache ich noch eine kleine Extrarunde durch den Majakowskiring. Hier wohnten einst Hans Fallada und Arnold Zweig, dann nach dem Krieg Ulbricht, Honecker und Grotewohl. Das ehemalige Polit-Bonzenviertel mit seinen Gründerzeitvillen erstrahlt in frischem Glanze. Die heutigen Bewohner dürften nicht zu den Ärmsten der Stadt zählen. Nahe dran der Amalienpark mit seinen Mietervillen im Landhausstil. Über 100 Jahre stehen sie schon hier. Bei der Einfahrt entdecke ich die Skulptur eines sitzenden Paares. Friedlich und irgendwie Sanftheit ausstrahlend. Die Berliner Bildhauerin Carin Kreuzberg hat sie 1976 geschaffen. Und viele andere im gleichen Stil, die allesamt im Osten des Landes zu finden sind. Genau wie die Skulpturen ihres Lehrers Drake. Mutig, gar modern ist der Stil nicht, aber schön anzusehen allemal.

Wolfgang führt uns nach Osten über Malchow in die Barnimer Feldflur. Auf dem Weg nach Osten wundern wir uns über in Bau befindliche Riesengaragen. Offensichtlich Winterparkplätze für die Wohnmobile der Großstädter. Trappenfelde, ein Garagenort. Die Großtrappe, den namensgebenden Riesenvogel, bekommen wir leider nicht zu Gesicht.
In Altlandsberg gibt es nicht nur einen schönen Altstadtkern mit Mauer und Türmen zu sehen, nein, die wahre Attraktion ist der Fahrradhof! Seit über 20 Jahren baut hier Peter Horstmann sein damals noch kleines Radlädchen immer weiter aus. Professionell, originell, außergewöhnlich. Einen Ausflug wert für alle, die an Rädern und am Radfahren interessiert sind.







Hunderte von alten Rädern sind an der Fassade aufgehängt und werden im Sommer grün umrankt. Im Innenhof warten Gravelbikes, E-Bikes, Bikes aller Arten und Qualitäten auf Menschen, die Lust auf eine Probefahrt haben. Ein junger, radbegeisterter Monteur erzählt uns die Geschichte des Fahrradhofs und dass „der Laden brummt“. Möge es so weiterlaufen. Engagement und Auftritt passen!
Wir reißen uns los, damit wir wieder warm werden. Der Wind zieht die Wärme aus dem Körper, wenn man sich nicht bewegt. Strausberg kennen wir recht gut, deshalb lassen wir das Städtchen heute einfach links liegen und rollen weiter über Rehfelde hin nach Garzau, wo ich Wolfgang unbedingt die Schmettau´sche Pyramide zeigen will. Vor Jahren hat Wolfgang im Frankfurter Palmengarten eine Ausstellung über das Thema Pyramiden gestaltet, er erinnert sich auch an die Feldsteinpyramide von Garzau. Aber in Natura gesehen hat er sie eben bislang noch nicht. Holen wir es also nach! Um halb zwei stehen wir in Garzau auf dem Pflasterweg, der am ehemaligen Gutshaus ( Schloss) und der Brennerei vorbei zur Pyramide führt.






Friedrich Wilhelm Carl Graf von Schmettau ließ in den Jahren 1780 bis 1784 das Herrenhaus Garzau samt Landschaftspark und Pyramide errichten. Bis zum Jahr 1804 ließ er sich es hier gut gehen, wenn er nicht gerade irgendwo in irgendwelchen Schlachten für seinen König unterwegs war. Wenn man die Historie liest, könnte man meinen, sein Leben hätte nur in Kriegen stattgefunden. Wenn er nicht dazwischen das erstaunliche Kartenwerk für die preußischen Lande gezeichnet hätte. Wen das interessiert: hier der Link zu meinem Beitrag aus 2020.
Im Jahr 1804, zwei Jahre vor seinem Tod in der Schlacht von Auerstädt, verkaufte Schmettau Garzau samt Pyramide, um in das Schloss Köpenick umzuziehen, das zum Verkauf stand. Geldnot scheint der gute Mann jedenfalls nicht gekannt zu haben. Die Taler flossen zuverlässig. Aufgaben und Verdienste als Offizier für verschiedene Kriegsherren zahlten sich in barer Münze aus.
Auf der Mauer vor dem Eingangsportal schlürfen wir heißen Tee aus unseren Thermosflaschen und räsonieren über die alte Zeit und wie die Menschen hier gelebt haben mögen. Dann peilen wir das eigentliche Ziel des Tages an: Die Derfflinger-Eiche in Gusow. Noch 40 Kilometer im Zickzack der Radwege, immer wieder hinüber und herüber über die Ostbahntrasse. In Trebnitz leuchtet der Ziegelturm einer ehemaligen Kalkbrennerei im späten Licht.

Dann erreichen wir Neuhardenberg, werfen einen Blick hinüber zum Schlosspark und bleiben auf den Rädern. Wir wollen die alte Eiche noch im Abendlicht erblicken. Platkow, Gusow-Platkow, Gusow. Hier zweigt der Weg ab nach Werbig. Nur noch ein Kilometer bis zum Baum-Monument.



I 1646 heiratete Georg Derfflinger Margarete Tugendreich von Schapelow. So kam er in den Besitz der Rittergüter Gusow, Platkow und Wulkow. Eine wahrhaft lukrative Beziehung. Die Beziehung zur „Derfflinger Eiche“ ist eine ganz besondere: Der Sage nach pflanzte der General-Feldmarschall im Jahre 1650 genau auf der Grenze zum Nachbarort Werbig eine junge Eiche.
„Als Derfflinger sie an der Grenze zwischen den beiden Dörfern Gusow und Werbig gepflanzt hatte, soll er 13 Jungen aus der Gusower Schule an den Baum geführt und ihnen 13 Schläge verabreicht haben, mit der Bemerkung: ‘Nun werdet ihr behalten, wo die Grenze steht. Verrückt sie nie wieder! Unter der Eiche hat der Alte oft gesessen. Wer um Mitternacht an ihr vorüberfährt, dem bleiben die Pferde wie festgebannt stehen. Sie zittern und tun keinen Schritt vorwärts, soviel man sie auch schlagen mag. Um ein Uhr ist der Bann zu Ende. Der Alte will nicht dulden, dass man um Mitternacht über die Grenze fahre.
Würde man diese Geschichte in unserer Zeit berichten, würde der alte Derfflinger ziemlich sicher eine Anklage wegen Misshandlung Jugendlicher und Missbrauch zu erwarten haben. Nicht so im Jahre 1650.
Wir legen die Hand auf die fast 400 Jahre alte Baumrinde und fragen, was damals wirklich geschah. Sie hat es uns erzählt, die wunderbare Eiche. Aber nur unter der Bedingung, dass wir die Kunde nicht weitertragen. So bleibt das Derfflinger-Geheimnis auch unser Geheimnis. Als wir die Eiche verlassen, leuchten die Wolken am Abendhimmel in malerischem Rot, wie in einem Film.

Am Bahnhof in Seelow-Gusow zeigt die alte Uhr 17.22, 63 Kilometer bis Berlin, Abfahrt nach Lichtenberg 17.36


Das war ein Tag mit viel Nahrung für Körper und Seele, so wir es uns am Morgen erhofft hatten.