Oder-Neiße-Elbe, Teil 3

quite hot today!

Nach Süden aus der Innenstadt von Görlitz hinaus führt mein Weg, vorbei an derObermühle, einer ehemaligen Getreidemühle. Mein Garmin hat an den ersten beiden Tagen 360 Kilometer gezählt. Gegenüber einer echten Brevetstrecke wenig, für einen Randonneur-Oldie im Reisemodus bescheinige ich mir selbstgerecht die Note drei plus. An der Mühle beginnt der Taleinschnitt der Lausitzer Neiße. Ein prächtiger Viadukt, der mit 475 Metern zu den längsten Eisenbahnbrücken Deutschlands gehört, verbindet Sachsen und Schlesien.

Reisezüge rollen mittlerweile wieder über die historische Strecke, die von Dresden nach Breslau führt. Dann passiere ich den Berzdorfer See, auf dessen Strand und Freizeitmöglichkeiten die Görlitzer besonders stolz sind. Der seit 2013 geflutete Braunkohlentagebau hat eine Fläche von 960ha , der drumherum führende Radweg ist 18 Kilometern lang. Von all der Seenschönheit ist vom Oder-Neiße Radweg aus rein gar nichts zu erspähen. Wald , Büsche und Hecken hemmen den freien Blick. „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“, fällt mir dazu ein. Am Ende hätte ich noch einen „Rundumweg“ gemacht…

So kann ich schnell wieder den beschaulichen Teil hinüber nach Ostritz mit dem Kloster Marienthal genießen. Die Gründung des Ordensklosters datiert auf das Jahr 1235. Seit dieser Zeit führen Zisterzienserinnen das älteste Frauenkloster des Ordens in Deutschland. Der Konvent, zu dem 10 Schwestern und eine Äbtissin gehören, ist schon seit geraumer Zeit in finanziellen Nöten. Schon 2010 wurde der mit über 800 ha gesamte Bestand von Wald- und Ackerflächen verkauft. Angeblich an die Textilkette Brenninkmeyer. Seither wurden weitere Schätze verkauft, um die Existenz zu sichern.

Als ich in das Gelände der prächtigen Barockanlage einrolle, präsentiert sich das Kloster in sehr vorzeigbarem Zustand. Möge es noch lange so bleiben.

Möge dieses Haus erhalten bleiben, bis die Ameise die Neiße ausgetrunken und die Schildkröte die ganze Welt umkreist hat“, so ist über dem Eingang eines Kindergartens im Kloster zu lesen.

Das Kloster strahlt Ruhe und Geborgenheit aus. Hier könnte ich irgendwann mal ein paar Tage verbringen…

Die nächsten zehn Kilometer in dem wild-natürlich anmutenden Neißetal gehören zu den schönsten Radwegabschnitten, die ich kenne. Dicke Findlingsblöcke werden vom schnellen Wasser umströmt. Sattes Grün steht bis zum Uferrand, an den Hängen wachsen Buchen, Eichen, Linden. Das Blätterdach gibt kühlenden Schatten. Zweimal quert die alte Bahnlinie über Stahlbogenbrücken das Flüsschen.

Kurz vor Hirschfelde, in Rosenthal, schlummert das ehemalige Verwaltungsgebäude der Flachsspinnerei.

Nur das Kontorgebäude aus der Gründerzeit, erbaut im historisierenden Tudor-Stil, hat die bewegten Zeiten überstanden. 1998 restauriert, diente es bis 2019 der Ausbildung und Förderung Jugendlicher samt Internat. Seitdem steht es wieder leer. Die Investorsuche verlief erfolglos. Über 1000 Menschen waren hier einmal in Lohn und Brot, eine der ersten Betriebskrankenkassen markierte sozialen Fortschritt. Zu Zeiten der Wende gab es noch 100 Arbeitsplätze. Dann sorgte die zunehmende Verlagerung der Textilproduktion in den fernen Osten für den finalen Niedergang.

Als ich in Hirschfelde aus dem beschaulichen Neißetal auftauche, sehe ich einen Ort mit schönen Umgebindehäusern, die ich vor Jahren schon bei einem Urlaub im Elbsandsteingebirge bewundert habe. Als Kontrast dazu erheben sich auf der polnischen Ostseite des Dorfes die Kühltürme samt Kondenswolken des 2000 Megawatt-Braunkohlekraftwerkes Turow. Am Rande eines riesigen Tagebaues wird laut Beschluss der polnischen Regierung bis mindestens 2044 eifrig CO2 produziert , zusätzlich schwerwiegende Auswirkungen auf die Grundwassersituation im Dreiländereck riskiert. Nun haben sich Tschechien und Polen auf eine „Ausgleichszahlung“ von 45 Mio Euro der polnischen Seite geeinigt. Nicht nur für Greenpeace ein höchst fauler Kompromiss.

Noch 10 Kilometer bis Zittau. Der Radweg verläuft hier weniger schön entlang der B99. Ich bin halt verwöhnt. Die Altstadt von Zittau entschädigt mich mit ihrer historischen Kulisse. Jugendstilfassaden, mächtige Kirchen, ein Rathaus im Stile eines italienischen Palazzo. Man mag nicht glauben, dass diese Stadt in ihrer Geschichte viele Male in Schutt und Asche gelegt wurde: Hussiten, Schweden, Österreicher marschierten ein und hinterließen Trümmer. Immer wieder erholte sich die Stadt. Wurde Anfang des 20. Jahrhunderts dank der Tuchmacher und einem riesigen Besitz an Wald, Grund und Boden reichste Stadt Sachsens.

Bis in unsere Zeit hat sich die Struktur mehrfach bedeutsam gewandelt. Die Wende tat das Ihrige dazu. Das Stadtmarketing bezeichnet zwar Zittau immer noch als Tuchmacherstadt, auch stark im Bereich Maschinenbau und Automobilzulieferung, allerdings tauchen in der Statistik der Top 100 Unternehmen in Zittau nur ganz wenige mit über 100 Mitarbeitern auf. Hauptarbeitgeber sind Klinikum, Hochschule und Sparkasse. Auch Zittau schrumpfte seit den frühen 50er Jahren, wo 47000 Einwohner verzeichnet wurden, auf heute 26000 Menschen. Trotzdem wirkt diese Stadt gesund und attraktiv, besonders der herausgeputzte historische Stadtkern. Möge die Entwicklung in eine positive Richtung gehen. Die Region braucht es.

Bei einem Mango-Vanille-Fruchteis lasse ich die Eindrücke sacken und beschließe, den Hauptteil der Strecke hinüber nach Dresden an die Elbe heute hitzehalber per Bahn zurückzulegen. Außerdem soll endlich mein 9 Euro-Ticket zum Einsatz kommen.

In Oberoderwitz ( kein Witz!) , steige ich in den Trilex und bin 70 Minuten später in Dresden Neustadt. Viele Höhenmeter und zwei Liter Schweiß eingespart. In Dresden habe ich Mühe, den Elberadweg zu finden. Ampeln, Ampeln, Autos, Autos… Irgendwann bin ich am Elbufer und kann es wieder rollen lassen. Die Innenstadt von Dresden reizt mich heute überhaupt nicht. Viel zu laut und getriebig finde ich es hier. Bei Niederwartha lasse ich mich verführen, auf die rechte Seite der Elbe nach Coswig zu wechseln. Ein Touristikhinweis lockt mich in die Weinberge hinauf. Das hätte ich besser nicht machen sollen. Fiese Anstiege ziehen mir den Saft aus den Beinen, und Wein trinken am frühen Nachmittag will ich schließlich auch nicht. Ich gleite wieder hinunter in die Elbauen und nehme Kurs Richtung Meißen. Eine halbe Stunde später wächst die Albrechtsburg vor mir in die Höhe.

Hamburger Hof – seit 30 Jahren im Ruhestand

Nach 30 Jahren und mehreren Insolvenzen von Investoren gammelt das ehemals altehrwürdige Etablissement vor sich hin. Schnell wende ich meinen Blick auf die Altstadtseite der schönen Stadt. Auf dem Marktplatz tummeln sich die Touristen, die Stimmung ist gut, der Himmel blau, die Lüfte lau. Booking.com liefert mir mit der Pension Burkhardt schnell eine gute Adresse zum Übernachten. Eingangscode per Telefon, Schlüssel aus der Klappe gefischt, Zimmer bezogen, geduscht und nix wie los in die Stadt. Fast wäre ich schon bei Vinzenz Richters Weinlokal eingekehrt. Mein Entdeckerdrang sorgt allerdings dafür, dass ich erst einmal die Treppen hinauf zu Bischofssitz und Burg hochsteige. Der Blick über die Stadt ist grandios, dann aber meldet mein Hunger mit Magenknurren, meine Kehle ist ausgedörrt. Also wieder treppab auf den Marktplatz.

Auf der Freiterrasse vom Ratskeller sind noch Tische frei, die Speisekarte lockt mich mit Wirsingroulade, gefüllt mit Reis und Champignons. Ungewöhnlich, vegetarisch und eine gute Wahl, wie sich beim Genießen herausstellt. Dazu ein Sauvignon Blanc aus Trauben der umliegenden Weinberge. Herrlich. Über eine Stunde verweile ich hier, schlendere dann zur Pension und gönne mir noch einen Absacker, bevor ich in tiefen Schlummer falle.

2 Gedanken zu “Oder-Neiße-Elbe, Teil 3

  1. randonneurdidier 3. Juli 2022 / 17:39

    Danke für die Info- bemerkenswert sind Durchhaltevermögen und Tatkraft der dort Verantwortlichen 👍💪

  2. Tom S. 2. Juli 2022 / 21:25

    Kloster Marienthal ist zweimal innerhalb weniger Jahre recht katastrophal bei Neiße-Hochwassern überschwemmt worden. Die Reparaturen müssen eine große Belastung gewesen sein. Wir haben bei einer Chorreise dort ein Konzert gegeben, und man sah in der Kirche nicht mehr, daß das Wasser sehr hoch gestanden hatte. Als Notwehr wurde Elektroverteiler in die oberen Stockwerke verlegt….

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