Ein Besuch bei Emma Emmelie

Es ist Samstag, die Einkäufe sind getätigt, der Hund hat seinen Spaziergang gemacht, meine bessere Hälfte freut sich auf die Fußballübertragung. Die richtige Zeit, auf das Granfondo zu steigen und noch eine schöne Runde zu drehen.

Die Routine führt mich nach Norden über Wandlitz nach Zerpenschleuse. Hier biege ich ab auf den Radweg nach Liebenwalde, der am Langen Trödel entlangführt, dem ältesten noch schiffbaren Kanal in Deutschland. Zwischen 1605 und 1609 wurde der Kanal samt fünf Schleusen von Liebenwalde  bis Schöpfurth gebaut. Ohne Bagger, ohne Großmaschinen. Einfach mit der Kraft vieler Hände und Spaten. Durch den Wiederaufbau der Ziehbrücken in Liebenwalde und die Öffnung der Durchfahrt in Zerpenschleuse wurde dieses Teilstück aus seinem fast hundertjährigen Sackgassendasein befreit und für die Wassertouristen wieder durchgängig schiffbar gemacht.

Orientalische Musik schallt zwischen den alten Häusern am Trödel hindurch und lockt mich in eine Seitengasse: Die Zerpenschleuser feiern Erntedankfest – auf erstaunliche Weise. Auf der einen Seite eine Theke, betrieben von der Feuerwehr, dann Bänke und Tische, dahinter eine kleine Bühne, auf der drei morgenländisch gekleidete Damen Hüfte und Bauch rhythmisch zur Musik bewegen. Bauchtanz in Zerpenschleuse! Da sage einer, im ländlichen Brandenburg gäbe es keine Integration. Wohlgefällig hören und schauen die Feuerwehrmänner, junge und alte Zerpenschleuser, dem Treiben auf der Bühne zu.fullsizeoutput_36fe

fullsizeoutput_36ff

Ein paar hundert Meter weiter, auch am Ufer des Langen Trödel, betreibt Ines Schweighöfer ihr Antiquitäten-Café „Emma Emmelie“. Schon zig Male bin ich hier vorbeigerollt, immer war geschlossen. Das liegt einfach an der Tatsache, dass ich sehr selten freitags, samstags oder sonntags zwischen 11 und 18 Uhr gerade hier gewesen bin. Denn das sind die Öffnungszeiten. Heute ist Samstag, 16.30 Uhr. Treffer!

Ines und Michael Schweighöfer geben mir heute persönlich die Ehre. Ich lasse mir einen ebenso vorzüglichen wie wohlschmeckenden Milchkaffee bereiten und genieße draußen am massiven Holztisch die theaterreife Gesamtinszenierung: silberne Kerzenleuchter, blütenweiße Tischdecke, Blumen über Blumen. Und vor dem langgestreckten Wohnhaus wachsen bis in Dachrinnenhöhe prächtige Hortensien.IMG_1949

Direkt am Kanal sind sehr dekorativ antike Damenschlüpfer an die Wäscheleine gehängt.IMG_1940

Im Holzhaus quellen die Regale und Tische über von Wäsche, Porzellan, alten Büchern… fullsizeoutput_3700

Emma Emmelie ist sicher kein Geheimtipp mehr, allerdings sicher eine Reise wert. Mit dem Rad und auch mit dem Auto erreichbar – 30 Kilometer nördlich vom Berliner Stadtrand entfernt.

Die Luft ist mild und duftet würzig nach Holz und Wiese. Weiter kurbele ich hin nach Liebenwalde und dann wieder Richtung Oranienburg auf dem Radweg Berlin–Kopenhagen.

An der Schleuse in Lehnitz verlasse ich den herrlichen Weg und den Kanal, in dem sich Wolken und Wald so unwirklich spiegeln.IMG_1964

Naturgenuss vom Besten!

Hier der Track auf Gpsies: Emma Emmelie besuchen

 

Colnago?

Ein stahlblauer Himmel lacht über Berlin am 5. September. Also trage ich mein Schönwetter-Rad aus dem Keller ans Tageslicht: das Colnago-Mexico , das in diesem Jahr seinen 37. Geburtstag feiert. „Only steel is real“ – Tatsächlich verfügt das Stahlgerät aus 1980 noch über die Original-Campa-Record-Titan-Gruppe. Nur das Innenlager habe ich vor einem Jahr erneuert. Sattel, Steuersatz, Lenker und Vorbau sind nicht mehr die ursprünglichen. Aber: Kettenblätter, Ritzelpaket und Naben, das alles funktioniert noch wunderbar. Und schließlich sind das Verschleißteile. Wenn ich in „Roadbike“ über die Lebensdauer in sogenannten Dauertests über 4000 km von teuren Ritzelpaketen und Kettenblättern lese, die am Ende des Tests am Ende sind, kann mein altes Colnago nur souverän in sich hineinschmunzeln – nach mehr als 80 000 Kilometern.

IMG_1822

Lässig lehnt das Mexico aus 1980 an der Ziegelei-Lok aus den 50er Jahren. IMG_1824IMG_1825

Diese Preziosen sind zu sehen im Ziegeleipark Mildenberg, in dem mittlerweile viel Interessantes für Jung und Alt geboten wird. Ein leicht angerosteter Container ist umfunktioniert zur Imbissbude. Ich bestelle einen Pott Kaffee mit Schoko-Muffin für 2,70 €. Martin aus Velten, der auch mit dem Rad an seinem freien Tag hierhergekurbelt ist, zieht die Kaffee-Currywurst-Kombi  vor.

Was ist denn das für ein Rad, Colnago?, fragt er mich. Einigermaßen perplex muss ich erst einmal realisieren, dass ein Tourenradler nichts mit der Marke Colnago anzufangen weiß. Ich erkläre ihm, dass Ernesto Colnago für Rennräder so in etwa die Bedeutung hat wie Enzo Ferrari für Sportwagen. Zu alledem waren die beiden auch noch eng befreundet. Enzo hat Ernesto beim Laminieren seines ersten Carbonrahmens tatkräftig unterstützt. Brav hört sich Martin meine Ausführungen an. „Da hab´ich doch wieder was dazugelernt“, meint er, als wir wieder aufbrechen und ich ihm noch einige Tipps zur Ersatzteilbeschaffung für sein betagtes, aber sehr gepflegtes Rennrad aus dem Hause Neckermann gegeben habe.

Den traumhaften Radweg Berlin-Kopenhagen, dem ich bis zum Ziegeleipark gefolgt bin, verlasse ich nun in Richtung Templin. Weil ich nicht den Südbogen über Burgwall nehmen will, folge ich einem Wegweiser, der mich schnurstracks in den tiefen Wald führt. Und in tiefsandige Wege. Zwei Kilometer schieben sind die Belohnung für diese Entscheidung. Abkürzung: zwei Kilometer, Zeitverlust: 20 Minuten. Aber schön ist dieser Laubwald mit Erlen und Buchen und Eichen. IMG_1831

In Templin-Postheim, am Lübbesee, finde ich mich an einem Südstrand wieder. Ernesto lehnt lässig an einer Strandbar, die leider außer Betrieb ist.

Von hier aus führt der Radweg in Richtung Angermünde wunderbar durch die Wälder bis Ahlimbsmühle. Dieses Stück gehört zu den schönsten Routen, die ich in Brandenburg und Meck-Pomm. kenne. Ich folge dem Uckermärkischen Radrundweg  bis Friedrichswalde. Von hier führt der gut beschilderte und glatt asphaltierte Weg noch weiter bis Angermünde. Dieser Ritt noch weiter nach Osten wäre für heute zu weit für mich. Auch so werden über 170 Kilometer am Abend auf der Uhr stehen.

IMG_1840
Ernesto auf Kurs Ost

In Friedrichswalde biege ich ab in Richtung Joachimsthal. An der Dorfstraße entdecke ich die Landbäckerei Hakenbeck, die ich noch in guter Erinnerung habe, als ich im Frühjahr auf der Flucht vor einem heftigen Gewitterschauer Schutz suchte. Heute scheint die Nachmittagssonne mild, und die freundliche Bäckersfrau bringt mir Kaffee, Pfannkuchen und Apfelkuchen nach draußen.IMG_1842

Ein Geheimtipp, diese Bäckerei, in der noch selbst gebacken wird. Köstlich!

Knapp 60 Kilometer liegen noch vor mir. Joachimsthal, Werbellinsee, Zerpenschleuse, Wandlitz.

Am „Werbellin“, wie Fontane den See nannte, genieße ich den Blick über das blaugrüne Wasser. Würzige Luft, herrliches Abendlicht.

Südlich von Zerpenschleuse  liebäugele ich mit dem Einstieg in die Heidekrautbahn, die am Lottschesee hält. 18.27 Uhr wäre Abfahrt, noch 15 Minuten also. Nee, dann kann ich doch weiterfahren nach Klosterfelde. Auch hier bin ich noch vor der Bahn. Ich bin motiviert, richtig reinzutreten, um mir zu beweisen, dass ich genauso früh in Schönwalde sein kann wie die Niederbarnimer Eisenbahn. Es gelingt genau: Ich treffe die Bahn am Übergang und dem Bahnhof Schönwalde. Geht doch!

IMG_1849

20 Minuten später bin ich zu Hause. Duschen, essen. Einen leckeren Wein trinken. Eindrücke verarbeiten.

Knapp 180 Kilometer waren es. Mehr, als ich wollte am Morgen.

Strava-Track: