Eisig und saukalt ist es an diesem Dienstagmorgen. „Bei minus 8 Grad sollte man keinen Sport treiben“, mahnt mich meine bessere Hälfte. Ist ja auch kein Sport, wir fahren nur ein paar Kilometer durch die Winterlandschaft, ganz locker, ganz ruhig, beruhige ich. Heute starten wir in Frohnau und rollen nach Norden aus der Stadt hinaus. Invalidensiedlung, Birkenwerder, Lehnitz. An der Lehnitzschleuse biegen wir auf den Kanal-Radweg ein.
Hier bekommen wir einen ersten Vorgeschmack von Schneeglätte und Eis. Meine Crossreifen greifen gut, Peter ist mit den 4Seasons unterwegs, da ist Konzentration gefragt.
Schaut her, ihr auf dem warmen Sofa sitzenden, daheim gebliebenen. So schön kann ein Wintertag auf dem Rad aussehen. Vorausgesetzt, die Füße stecken in warmen Winterschuhen – ich habe heute sogar noch Überschuhe drüber gezogen – und die Hände sind geschützt.
Auf dem Weg über Malz nach Neuholland wird das Fahren abschnittweise ungemütlich. Dort, wo die Sonne nicht mehr hinscheint, liegen 5 cm Schnee, und drunter lauert blankes Eis. Erleichtert biegen wir nach Norden auf die Nassenheider Chaussee ein. Hier sind zwar die Autos unterwegs, dafür ist die Straße griffig. Wir fangen an, die herrliche Wintersonne zu genießen.
Die Stadtkirche von Liebenwalde trägt unverkennbar die Handschrift Schinkels und ist ein echter Hingucker im auch drumherum gepflegt aussehenden Städtchen. Nach Osten hin verlassen wir Liebenwalde – unwiderstehlich zieht uns unser Lieblingsbäcker im Örtchen Hammer an. Genau um 12 Uhr lehnen sich unsere Crosser am Geländer vor der Bäckerei Kowsky an.
Aufgewärmt und gestärkt von Kaffee und Apfelstreusel, komme ich auf die Idee, Peter den direkten Weg nach Zehdenick vorzuschlagen – durch die Schorfheider Wälder. Reichlich 20 Kilometer über verschneite und von Autos eisig gefahrene Waldwege führt der Kurs. Schlingerkurs! Schlitterkurs!
Wir machen unsere Späßchen und lenken uns von der realen Gefahr, hier unsanft auf das Eis zu knallen, einfach ab. Das hilft. Wieder einmal wollen wir Zehdenick einen Besuch abstatten, um ganz genau hinzuschauen. Warum? Weil der Randonneursfreund Wolfgang den Film „Deutschboden“ in der RBB-Mediathek entdeckt hatte. Deutschboden spielt in Zehdenick, das im Film „Oberhavel“ heißt. Deutschboden . Moritz von Uslar hat nach seiner dreimonatigen Auszeit in Zehdenick ein wunderbares Buch geschrieben und dann daraus einen überaus sehenswerten Film gemacht.
An der Hauptstraße in Zehdenick finden sich einige „Sehenswürdigkeiten“
Hier gab es mal Cocktails „Do – 2 für 1“ . Schade, schade, heute scheint das Etablissement geschlossen zu sein. Weiter also – hin nach Deutschboden.
Aber wo, verflixt, ist dieser Ort zu finden. Im Nordosten von Zehdenick im Wald soll er sein. Kein Verkehrsschild, kein Wanderhinweis… Aber mein Garmin kennt Deutschboden! Fünf Kilometer noch, dann kommt der Abzweig nach Vogelsang, und wir stehen wieder mal im Wald. Mein Oregon weist uns auf einen vereisten Pfad. Noch 500m bis Deutschboden. Und dann das Schild „Vogelsang“. Nix mit Deutschboden. Wer irrt sich hier? Das Oregon? Oder hat jemand das Ortsschild abgeschraubt?
Wir stehen 45 m entfernt vom „Zentrum“. Wir sind am Ziel. Ein Haus, ein Zaun und Keramik auf den Pfählen. Kunst im Wald – in Deutschboden.
Und hier ist zu lesen, wie es zum Ortsnamen kam:
Wer es also ganz genau wissen will, der möge schauen.
Erschöpft von soviel Suche, soviel Kultur, soviel Wald und Eis, zieht es uns gen Templin. Dort ist unsere Kanzlerin aufgewachsen, dort können wir uns womöglich stärken und aufwärmen. Vogelsang, Hammelspring, und dann ein Hinweisschild: „Chocolaterie“. Hier im Outback? Eine Chocolaterie? Ja, und was für eine:
Das Versprechen „Die Beste! heiße Schokolade in ganz Europa und Übersee“, klingt vollmundig. Tatsächlich genießen wir in Hammelspring ein wahres Schokoladen-Doping. Heiß, gehaltvoll, wunderbar im Geschmack. Köstlich! Ein Top-Tipp in Berlin-Brandenburg.
Leichten Fußes rollen wir die nächsten Kilometer nach Templin. Die Sonne im Rücken. Bestens gelaunt. Durch das mittelalterliche Berliner Tor schieben wir die Räder in die Stadt.
Die 1735 Meter lange, sehr gut erhaltene Mauer aus dem 13.Jahrhundert ist sicher das beeindruckendste Bauwerk der alten Stadt. Drinnen fahren wir zunächst auf den Rathausplatz, auf dem gerade die letzten Stände des Wochenmarktes abgeräumt werden.
Das Rathaus, ein prächtiger Barockbau aus dem Jahre 1751.
Wir streben weiter in den tiefer gelegenen Teil der Stadt, wo uns schon von Ferne der Kirchturm der Maria-Magdalenen-Kirche anleuchtet.
Auch die Kirche ist ein Barockbau und datiert aus dem Jahre 1749.
Wir reißen uns nur schwer los und schlagen den Weg zum Bahnhof ein. Und nochmal beeindruckt uns die Stadtmauer. Diesmal garniert mit einem vornehmen Krawatten-Schneemann
Noch 300 Meter bis zum Stadtbahnhof. Der ist mittlerweile „umgenutzt“ zu einem Imbiss mit Kneipe und anhängender Bahnhaltestelle.
Wenn schon kein Bahnhofsgebäude alter Prägung mehr benötigt wird, dann lasse ich mir diese Art der Umgestaltung gerne gefallen.
Die Zugbegleiterin der ODEG ist freundlich und erträgt mit Fassung unsere Schneemaschinen, die im warmen Waggon ihre Eislast in Schmutzwasser verwandeln.
Hundert Kilometer blauer Himmel, erfrischende Luft, Naturgenuss vom Feinsten. Freundliche Menschen.
Und um es mit Moritz von Uslar zu sagen:
„Ich will dahin, wo Leute in strahlend weißen Trainingsanzügen an Tankstellen rumstehen und ab und an einen Spuckefaden zu Boden fallen lassen!“
liebe Eva, diese Art von Komplimenten kommt tut uns ausgesprochen gut. Danke
Lieber Dietmar, eigentlich könnten die über Eure Outback-Erkundungen mal eine Sendung machen. Ich hätte da auch einen Titel. „Die Unverwüstlichen“! Ich finde Euch Typen gut 🙂
Hallo Rainer, „Deutschboden“ hat mich sehr angeregt, noch genauer, möglichst vorurteilslos die Menschen und die Orte anzuschauen, hineinzusehen. Es lohnt sich. Und schön, dass der Film auch Dich beeindruckt hat.
Gerade bin ich von einer MTB-Runde durch das Briesetal zurückgekommen. Mit den frisch aufgezogenen Spikereifen ist das die reine Freude.
bleib munter – und auf bald
Dietmar
Hallo Dietmar,
vielen Dank für Deinen wieder mal tollen Bericht.
Und vor allem für den Hinweis auf den Film „Deutschboden“ – großerartiger Journalismus!!! Wie man so sehr vorurteilsfrei und sympatisch Menschen darstellen kann, die von den meisten anderen Menschen mit extrem vielen Vorurteilen betrachtet werden, ist wirklich riesengroß. Danke.
Ich bin z. Zt. viel auf breiten MTB-Reifen unterwegs – macht großen Spaß.
Komm´ gut durch den Winter
Liebe Grüße
rainer
Super Ausfahrt und ein toller Bericht, aber auch sehr mutig. Um ehrlich zu sein, ich traue mich derzeit nicht draußen auf’s Rad, trocken und kalt wäre ok, aber nicht mit Schnee uns Eis. Gehe derzeit eher Laufen, Ausweichprogramm wenn’s mit dem Radl hapert. Laufen gehe ich derzeit auch nur mit Spikes Schuhen, ist einfach sicherer… Mit dem Rad geht derzeit nur auf der freien Rolle rund, aber so wirklich faszinierend ist es nicht, nur eine Notlösung, draußen macht es einfach mehr Spaß.
Klasse. Da juckt es wieder richtig in den Waden…
Was die Spikes betrifft, hast du sicher recht. Aber so wird der Balance-Sinn mehr gefordert und entwickelt. Im Alter soll das gut sein für den Körper. Wenn man denn auf dem Radl sitzen bleibt. Und für das Outback werde ich aus Überzeugung weiter Werbung machen und außergewöhnliche Plätze suchen. Da ist noch viel zu entdecken.
Der Eisweg durch den Wald ist eigentlich ideales Terrain für Spikes. Ansonsten habt ihr mittlerweile, glaube ich, mehr positive Werbung für das Brandenburger Outback gemacht, als das zuständige Ministerium bezahlen könnte ;).
Widersteht auch im Restwinter aufrecht der Schwerkraft.
fein gemacht! Besonders der Kollege auf slicks! Freue mich immer wieder über kulinarische entdeckungen richtung Nordpol.
Hallo Dietmar,
wie immer von dir ein sehr schöner Bericht.
Was habt ihr bloß für tolle Wege und soviel Kultur rund um Berlin.
Da beneide ich euch.
Mach weiter so und bleib schön gesund.
Gruß Peter