Spree-Neiße-Elbe Teil 1

Mal wieder rein ins Land, mal wieder ein paar Kilometer machen. Testen, wie es läuft an ein paar Tagen hintereinander auf dem Rad.

Am Mittwochmorgen zeigt sich der Himmel noch bedeckt. Nur mühsam und von Ampelhalten unterbrochen arbeite ich mich nach Osten aus der Stadtregion hinaus in das wilde Brandenburg. Erst bei Ahrensfelde und Mehrow komme ich richtig ins Rollen. Der Westwind schiebt mich vorwärts, dann bläst er auch den grauen Himmel frei. In Woltersdorf bei Erkner sind die ersten 50 Kilometer unter den 32er 4Seasons durchgerollt. Zeit für eine kleine Pause und die mitgenommene Stulle. Der örtliche „Verschönerungsverein“ hat sich schon 1885 um den Kranichshügel mit der darauf thronenden Kirche gekümmert. Ich freue mich über eine im Halbrund angelegte Ruhebank und stärke mich mit Brot und Iso-Getränk.

Schon in der Woche zuvor war ich mit Peter nach Neuzelle gefahren – heute wähle ich einen Track, der etwas weiter südlich verläuft und bei Guben an die Neiße führt. Den Spreewald streifen und zwischen Scharmützelsee und Gross-Schauener Seenkette hindurch. Sanfthügelig führt der Kurs weiter nach Osten. Eine neu angelegte Allee mit glattem Radweg daneben weist hin zum Örtchen Ranzig. Meine Assoziation, als ich die LPG-Gebäude vergangener Zeit sehe, ist klar. „Ranzig“ soll aber aus dem Altsorbischen kommen und „Hier sind Raben“ bedeuten.

Quer über die B87, dann auf dem MST – Radweg Märkische Schlössertour – zum Spreeufer an die Anlegestelle der Personenfähre Leißnitz. Weisungsgemäß läute ich die Glocke, um den Fährmann von der anderen Seite zu mir herüber zu bitten. Es dauert ein paar Minuten, bis sich etwas rührt. Dann setzt sich der Fährkahn in Bewegung. Hier ist noch echte Menschenkraft erforderlich: Zug um Zug am Seil hebelt der Fährmann das Gefährt über die zum Leißnitzsee geweitete Spree. Mürrisch werde ich begrüßt. Kein Blickkontakt, nur Handzeichen. „Das ist ja das reinste Fitnessprogramm für Arme und Oberkörper“, versuche ich mich in einem Kompliment. „Na ja“, ist die lakonische Antwort. Das war es dann auch mit der Kommunikation. Die zwei Euro für die Überfahrt darf ich erst auf der Ostseite bei einer genauso mürrisch dreinblickenden Dame bezahlen. Ich bestelle ein Stück Käsekuchen und einen Pott Kaffee. Das stimmt sie offensichtlich milde. Ich meine, ein Lächeln erkannt zu haben.

Groß Muckrow, Klein Muckrow, so heißen die Ansiedlungen auf dem Weg nach Guben. Wenige hundert Menschen leben hier, und es werden immer weniger. Aus dem ehemaligen, 30 Quadratkilometer großen Truppenübungsplatz bei Reicherskreuz ist ein herrliches Naturschutzgebiet geworden. Kilometerweit führt der glatte Weg durch die Heide.

160 Kilometer – Guben ist erreicht, und ich biege an der Neiße ab nach Süden. Klein Gastrose, Groß Gastrose, Groß Bademeusel, Klein Bademeusel. Seltsam muten die Ortsnamen an.

Die ehemalige Mühle und Papierfabrik verfällt unbarmherzig

Wenige Kilometer südlich von Forst habe ich auf der polnischen Seite der Neiße per Booking.com eine Unterkunft für schlanke 33 Euro gebucht. Jetzt muss ich sie nur noch finden. Südlich von Klein Bademeusel führt die Autobahnbrücke hinüber nach Polen. Radweg: Fehlanzeige! Also wuchte ich mein Basso samt Gepäck die Brücke hoch, stemme das Gerät über die Leitplanken und schleiche mich die ca. 200 Meter bis zum Grenzübergang, wo auch die Autobahn formell endet. Den LKW-Rastplatz mit Billig-Kiosken und einem wilden Mix von Angeboten sollte ich an diesem Abend noch einmal erleben. Das Garmin zeigt mir zuverlässig den Weg nach Olszyna, einer kleinen Ansiedlung zwischen Waldrand und Neiße. Hier soll das „Hotel“ stehen, das ich gebucht habe???

Als ich von der Wirtin in der rustikalen Hofeinfahrt begrüßt werde, weiß ich, dass ich in Olszyna Pod Brzozą angekommen bin. Laut Booking.com „ausgezeichnete Lage“. Heiligenbild, Truthahn auf der Straße, selbstgezimmerte Sitzgruppe im Hof, Plastikdecke auf dem Esstisch. Oha!

In meinem Zimmer habe ich die Auswahl: Vier Betten stehen zur Verfügung. Mein iPhone findet kein Netz, aber, o Wunder, auf einem Notizzettel finde ich handgeschrieben den Zugangscode zum WLAN. Es funktioniert. Nach einer heißen Dusche, die ich dringend nach der Tagesetappe von 203 km brauche, frage ich die Wirtin, wo ich denn noch ein Abendessen bekommen könne. 10 Minuten durch den Wald laufen, dann sind Sie beim Restaurant der Autobahnraststätte. Ich schaffe es in acht Minuten, dann stehe ich vor dem 24-h-Motel Olszyn. Um mich herum hungrige Fernfahrer, die Schnitzel und Gulasch in Riesenportionen verspeisen. Ich ordere einen Hamburger mit Pommes und ein Tyskie-Bier. Das Bier ist lecker, der Hamburger gar fürchterlich, dafür schmecken die Pommes. Nach 20 Minuten verlasse ich mäßig satt die wundersame Stätte.

Es ist zwar ruhig im Zimmer, aber nicht richtig dunkel in der Nacht. Fehlende Vorhänge, dafür eine Straßenlaterne vorm Fenster. Jetzt bin ich gespannt auf das Frühstück.

100 Meter entfernt von meiner Herberge bekomme ich in einem Gartenpavillon ein Riesenfrühstück. Nacheinander stellt mir die Wirtin Wurst, Brot, Käse, einen Teller mit Rührei und Grillwurst mit Speck und noch einen frisch gebackenen Pfannkuchen auf den Tisch. Gut gemeint, aber so ganz und gar nicht mein Geschmack. Vom Rührei esse ich die Hälfte, den Pfannkuchen verputze ich dafür ganz. Ich verabschiede mich höflich und bin trotzdem froh, diesen Ort wieder verlassen zu können.

Die Sonne lacht, als ich aus der geschotterten Hofeinfahrt rolle. Das Heiligenbild grüßt am Wegesrand, ein schmutzig-grauer Truthahn pickt suchend im vertrockneten Rasen herum. Dann setze ich Kurs nach Süden. Wald, Wald und Wald, mindestens 15 Kilometer. „Alkohol, Zigaretten, Kaffee… billig, billig. So sieht das Angebot an der Straße aus. „Grenzwertig“, fällt mir dazu ein. Bei Bad Muskau erreiche ich die Neiße, durchquere einen Billigmarkt, der aussieht wie früher die Mainstreets in den Wildwest-Filmen mit John Wayne. In einem Flachbau bietet ein Friseurladen namens „Metamorphose“ seine Leistungen an.

Der Neiße-Radweg hat viel Natur, wunderbare Auen und ein paar fiese, kleine Rampen zu bieten. Es rollt gut, und ich knabbere genüsslich zwei mitgenommene Riegel. Ein paar Kilometer südlich von Bad Muskau wähne ich mich im Land der Bayern. Die Kasemannl-Alm bietet den Radtouristen Speis und Trank. Um 10 Uhr vormittags ist der Wirt noch daheim und ich habe noch keinen Hunger.

Eine Ansiedlung mit passendem Namen

Um die Mittagszeit erreiche ich Görlitz. Ich freue mich auf diese eindrucksvolle Stadt voller Baudenkmäler. Erfreulicherweise flanieren hier viele neugierige Touristen, die hoffentlich eine Weile bleiben. Es lohnt sich. Heute habe ich nur Zeit für ein Stück Kuchen und einen Milchkaffee im wunderbaren Café Flair in der Altstadt.

Heilig Dreiheit in Görlitz

Bis Zittau sind es 45 Kilometer. Der Radweg führt mich an der Lausitzer Neiße nach Süden aus dem Stadtgebiet, dieser Abschnitt ist einer der schönsten, die ich kenne.

Das im englischen Industriestil um 1890 errichtete Gebäude in Rosenthal kündet von einstigem Wohlstand. Erst Flachsspinnerei, dann in der Nachkriegszeit bis zur Wende Leinenzwirnerei, dann Fertigungsstätte für Polyamidseide mit 1000 Beschäftigten – heute Bildungsstätte mit der Möglichkeit, billig zu übernachten.

Kloster Marienthal

Südlich von Ostritz liegt das Kloster Marienthal direkt am Fluss. Eine beeindruckende barocke Anlage, die der von Neuzelle nicht nachsteht.

Wasser, Wald, steil aufragendes Ufer, dann weitet sich das Tal und Zittau kommt in Sicht. Nicht so herausgeputzt wie Görlitz, etwas ursprünglicher, weniger Touristen, mehr Lausitzer. Ich verweile auf dem Rathausplatz und staune über die verschiedenen Baustile – vom Mittelalter bis in die DDR-Zeit.

Am Rande von Zittau wird hier schon lange nicht mehr getanzt

Beim Belauschen einer Fremdenführerin, die zuerst betont, dass sie hier um die Ecke aufgewachsen ist, erfahre ich, dass auch Bauten der 60er und 70er Jahre unter Denkmalschutz stehen. Solange das nicht überhand nimmt…

In Zittau lasse ich die Stadt auf mich wirken – es wird den vielen Baudenkmälern und Sehenswürdigkeiten sicher nicht gerecht, aber ich verspüre keine Lust, hier zu verweilen. Bauchgefühl! Also radle ich noch ein paar Kilometer bis ins Quellgebiet der Spree, steige bei Neugersdorf in die Bahn und fahre bis Dresden. Dann noch mal 15 Kilometer auf meinem Basso bis Coswig. Bei Booking.com habe ich das West-Hotel gebucht. „An der sächsischen Weinstraße“, lautet die vielversprechende Werbung. „An der Baustelle der Eisenbahnbrücke im Industriegebiet“ wäre aussagekräftiger gewesen.

Zum Nachfahren und Schauen der Track auf Gpsies

Teil 2 folgt

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