Metropole Ruhr – kreuz und quer durch den Pott – Teil2

Das Frühstück im wundersamen Hotel City Max war mäßig, auch der „Prunksaal“ mit viel Gold und Nippes hat die labberigen Brötchen nicht knusprig gemacht. Mein Blick schweift nur einen Foto-Augenblick zurück:

In die Liste meiner Hotel-Empfehlungen werde ich die Herberge definitiv nicht aufnehmen. Zehn Minuten später rolle ich schon wieder auf der Erzbahntrasse gen Norden. Nochmal bei Holger vorbeischauen.

Die Erzbahnbude schlummert noch zu dieser Morgenstunde – ein E-Biker hat es sich gemütlich gemacht und zieht genüsslich an seiner Fluppe. Weiter führt der Weg über eine lange Pfeilerbrücke, über die einst die Erzbahnloren gezogen wurden. Das Fahren ist hier der reine Genuss. Keine Ampeln, viel Grün, immer interessante Aussichten. Bald habe ich den Rhein-Herne-Kanal erreicht mit der Marina Graf Bismarck, vom heimlichen Herrscher der Ruhr-Dienstleistungsbranche „Stölting Harbour“ getauft. Eindrucksvoll, die neuen Bauten. Eine Erfolgsgeschichte schreibt die Stölting-Gruppe mit über 14000 Mitarbeitern.

Wenige Meter weiter zieht ein Eiltanker an den riesigen Öltanks der Veba vorbei. Neue und alte Welt nah beieinander. Ich staune über die herrlichen, neuen Radwegbrücken, über die Kulturstätten, über die Kunst am Wegesrand.

Der Pott ist ergrünt! Die Bergwerkshalden sehen aus wie naturgewachsene Hügel. Weiter fahre ich nach Bottrop. Diesmal nicht, um Bodo Buschmann und seine Mercedes-Tuning-Schmiede zu besuchen, diesmal, 25 Jahre später, um den Tetraeder auf der Halde der Schachtanlage Prosper anzuschauen. Vor den Erfolg haben die Götter bekanntlich den Schweiß gesetzt. Der Weg hinauf auf das 110 m hohe Plateau ist steil, aber erfreulich kurz. Oben reckt sich der 50 m hohe Stahl-Tetraeder in den blauen Himmel. Auf einer Mondlandschaft aus Abraumgestein .

Ich laufe kreuz und quer, von der nördlichen auf die südliche Seite. Das Panorama ist traumhaft. Kraftwerkskamine und Fördertürme, Windräder, Wald- und Wiesenflächen, riesige Hallen von Logistikunternehmen. In der Ferne das Dach der Veltins-Arena. Gefühlt reicht der Blick über den gesamten Ruhrpott. Besser: Die Metropole Ruhr! Vom ehemaligen rauchenden, stinkenden rußenden Pott ist nicht mehr viel zu erkennen. Nach einer kurzen, rauschenden Abfahrt erreiche ich wieder die „Talsohle“ und rolle gen Bottrop, wo ich mir ein großes Eis gönne. Zum Abkühlen, zum Verarbeiten der Eindrücke. Auf dem Weg nach Westen quere ich den Kanal noch zweimal, dann stehe ich vor dem riesigen Gasometer in Oberhausen.

In dem mit 117 Metern Höhe größten Gasbehälter Europas wurden Gichtgas und Koksgas, Abfallprodukte aus Verhüttung und Kokerei, gespeichert. Heute, fast 100 Jahre später, ist drinnen die Ausstellung „Das zerbrechliche Paradies“ über die Schönheit der Erde zu bewundern. Nur kurz mache ich halt, mein Granfondo kann ich schlecht samt Gepäck dem Parkplatz stehen lassen. Es könnte schnell unerwünschte Beine bekommen.

Bei Duisburg Meiderich erreiche ich den Landschaftspark Duisburg, der sich selbst die schönste Großstadtoase Deutschlands nennt. Ich bin gespannt, ob das Übertreibung oder Realität ist. Wo man heute flanieren, Kunstwerke bewundern, Open air Kino und Festivals erleben kann, baute August Thyssen Anfang des 20. Jahrhunderts ein riesiges Hütten- und Stahlwerk. 80 Jahre später, am 4. April 1985 war die Zeit für die letzte Schicht gekommen. Nach der Kohlekrise in den 60er Jahren schlug die Stahlkrise in den späten 7oern zu. Wieder gingen Tausende von Arbeitsplätzen verloren, wieder wurde die Region von einem gewaltigen Infrastrukturwandel gebeutelt. Heute erinnern die Hallen, die Hochöfen, die rostigen Industrieruinen an die glorreiche Zeit. Schön, dass dies alles zu erleben ist. Geschichte der Industrie.

Eine Sunde lang kurve ich durch die Anlagen, durch die wieder erwachte Natur – an den Stahlgerüsten vorbei. Ich stelle mir vor, wie dies alles in vollem Betrieb ausgesehen hat, wie es gerochen haben mag, wie laut es hier war, wie staub- und rußgeschwängert die Luft hier war. Heute duftet es nach Blumen, nach frischem Gras, und nach einer vorzüglichen Currywurst, die ich mir am Imbissstand einverleibe. Übertreibung oder Realität – Die Behauptung mit der schönsten Großstadtoase? Ich jedenfalls bin schwer beeindruckt von der Inszenierung. Danke Duisburg!

Gegen 15.30 Uhr setze ich Kurs Nordost. Sterkrade, Halde Haniel, Kirchhellen. Jetzt bin ich wieder am landwirtschaftlichen Rand des Potts. Dort, wo Wiesen, Moore, Bauernhöfe das Bild der Landschaft prägen, mehr im Osten dann die Chemiebetriebe von Scholven und Marl-Hüls. Auf dem Flugplatz Dinslaken Schwarze Heide war ich Mitte der 70er einmal bei den Segelflugmeisterschaften dabei. Früheres Leben! Vergangenheit. Schöne Erinnerungen.

„Am Anfang war die Kohle“, lese ich in einem Artikel über die Historie des Ruhrgebietes. Und die Energie von Kohle und Koks sorgte für die notwendige Power zur Verhüttung von Eisenerz und dann auch zur Gewinnung von Phenol, Benzin, Zinkfarben und Düngemitteln. Die Kohle machte alle energieintensiven Prozesse möglich. Während ich über die Geschichte sinniere, mache ich Kilometer nordwärts. Ich erreiche Dorsten mit seiner kleinen. beschaulichen Innenstadt. Es ist fünf Uhr geworden, ich sollte mich langsam um eine Bleibe für die Nacht kümmern. In Dorsten lockt mich kein Angebot, aber in Hervest, ein paar Kilometer nördlich von Lippe und Weser-Datteln-Kanal, finde ich einen Hinweis auf ein „Deluxe-Hotel“ zum schmalen Preis von 55 €. Was mag das wohl sein? Nach einiger Herumkurverei – der Besitzer des Hotels war kürzlich in ein neues Haus umgezogen – entdecke ich den Schriftzug an einem schlichten Gebäude am Feldrand.

Der Empfang ist überaus herzlich, so als wenn mich der Wirt schon jahrelang kennen würde. Trotzdem nicht anbiedernd. Einfach nur sympathisch. Mein Granfondo kommt erst einmal einen Stellplatz im abschließbaren Hinterraum, dann beziehe ich mein Zimmer. Mit riesigem Kühlschrank, einem schönen Bad und einem breiten Bett. Blick auf die Wiese. Was will man mehr.

Eine Flasche Rosé, Gemüsefrikadellen, Kartoffelsalat und eine Packung Chips trösten mich über die Tatsache hinweg, dass es keine Verpflegung abends im Hotel gibt. Fernsehen, futtern, Wein trinken, einschlafen. Herrlich. Alles unter dem Dach vom netten Besitzer Yasemin.

Am nächsten Morgen bekomme ich das Frühstück persönlich von Yasemin serviert. Kaffee, Früchte, Käse, Müsli… was das Herz begehrt. Preis-Leistung-Herzlichkeit. Top!

So kann es gerne weitergehen. Nächste Etappe wieder quer durch in Richtung Bochum und Ruhruni. Aber davon mehr im nächsten Teil.

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