Mit dem Domane+, aber ohne E-Power.

Zur Kaisereiche, einem Armen Poeten und dann durch die Kremmener Altstadt.

Als ich vor fünf Jahren einen runden Geburtstag feiern konnte, habe ich mich mit einem Top-Renn E-Bike beschenkt. Teuer, aber mit 14 kg für ein solches Rad ein Leichtgewicht. Als E-Bike auf den ersten Blick kaum zu erkennen, so gut sind Motoreinheit und Akku von Fazua in den Carbonrahmen integriert.

Wo ist jetzt der Haken? Warum bin ich bis dato so relativ wenige Kilometer mit diesem Hightechgerät gefahren? An Handling, Wendigkeit, Reichweite und Antriebscharakteristik liegt es jedenfalls nicht. Ich habe nur gemerkt, dass ich immer noch viel lieber mit meiner eigenen Power unterwegs bin. Irgendwann wird die Stunde des Trek Domane+ schlagen. Wenn ich darüber die 80 erreichen sollte, werde ich mich nicht beschweren.

Heute nehme ich den Drivepack raus, ersetze ihn durch ein Leerrohr, das es als Zubehör gibt, und habe nun ein Biobike , das mit 12 Kilo recht wendig und agil ist.

Es ist schon fast Mittag, als ich mit Kurs Nord starte, also wird es eine kleine Genussrunde. Erstes Ziel ist die Kaisereiche, die nur drei Kilometer entfernt am Waldrand bei Bergfelde steht. Ein wahres Baum-Monument!

Über 27 Meter hoch ist der Riese, und in zwei Meter Höhe habe ich zuletzt einen Stammumfang von 8 Metern gemessen. So resultiert daraus, selbst wenn man annimmt, dass diese Stieleiche hier schnellwüchsig ist, ein Alter von mindestens 500 Jahren!

Die Kaisereiche hat fast ihr gesamtes Blätterkleid abgeworfen und zeigt so ihre Wuchsform als mächtige Silhouette vor der Herbstsonne. Ich lege wie immer, wenn ich sie hier besuche, meine Hand auf die geradezu gebirgige Borke. Warm fühlt sich das an, wohlig, Kraft spendend. Danke, Kaisereiche!

Weiter rolle ich gen Oranienburg, am Kanal entlang, und biege nach Passieren der ehemaligen Einfliegehalle des Heinkel-Werksflugplatzes nach Westen ab, hin nach Germendorf.

Eine Viertelstunde später erreiche ich den Tierpark und direkt gegenüber die „Galerie zum Armen Poet`“

Seit Jahren zeigt sich das Anwesen, in dem wohl ein Kunstatelier steckt, in eher mäßigem Zustand. Aber ein Blickfang ist es allemal.

Ich setze Kurs Richtung Kremmen. Geradeaus durch den leuchtenden Laubwald bis Sommerswalde, wo seit 2012 engagierte Buddhisten dem alten, etwas angegammelten Schloss und Gutshaus wieder neues Leben eingehaucht haben. Im „Tharpaland“ kann man Meditationskurse und Retreats buchen.

Von Sommerswalde führt ein herrlicher Radweg durch einen wahren Wunderwald nach Kremmen, wo ich mir endlich einmal für die Altstadt Zeit nehmen will. Immer bin ich hier nur durchgerollt, ohne die Schönheit des Areals wahrzunehmen.

Es lohnt sich, kreuz und quer durch die Altstadt zu kurven. Das Rathaus, die Stadtbibliothek, eine „Conditorei und Bäckerei“ , davor eine wunderbar blaue Schwalbe ( Moped)

Dann als Kleinod ein Café mit Innenhof und Kranichkunst im Durchgang. Ich sauge die Eindrücke in mich auf und rolle nach Süden durch das Scheunenviertel hinaus auf die weiten Felder, hin nach Groß-Ziethen.

Ein weites Land mit langen Alleen und schönen Gutshäusern. Bald erreiche ich Schwante, wo ich beim Bäcker Plentz auf der Sonnenterrasse einen köstlichen geflochtenen Stutenzopf verspeise.

Über Eichstädt, Marwitz und Hennigsdorf kurbele ich heim, wo ich naturerfüllt im letzten Büchsenlicht ankomme.

Es geht noch was…

kann ich es noch? Und wenn, dann wie? Und wie weit, wie lange?

Seit Ende September habe ich gerade fünf Radrunden gedreht. Urlaub, Erkältung, „Altersschlappheit“ ? Mein Randonneurgewissen fängt langsam an, mich zu piesacken. Ja, ja, ich habe bereits die Wandlung vom Randonneur zum Kultur-Randonneur vollzogen. Mit einem einigermaßen guten Gefühl, und mit 75 rollt es auch nicht mehr so schnell und so locker wie vor zehn Jahren. Genug gezetert!

Also rauf aufs Rad und rein in die Barnimwellen und dann an den Finowkanal. Das Wetter ist ein Traum. Die Herbstsonne strahlt aus einem makellos blauen Himmel. Die Erkältung hat sich verflüchtigt, die malträtierte linke Hand kann auch wieder recht gut greifen. Bleibt zu entscheiden, welches meiner Räder heute den Vorzug bekommt. The winner is the Titan-Granfondo, genannt “ Mike“, nach Mike Hall, der mit diesem Rahmen aus Titan die ersten Transcontinental Races bestritten hat – bis ihn 2017 tragischerweise ein Autofahrer in Australien bei einem Ultra Race vom Rad holte. Immer, wenn ich auf diesem trefflichen Rad sitze, sende ich auch einen Gruß in den Radlerhimmel hinauf zu Mike.

Um 10 Uhr hat die Sonne die Herbstluft schon auf acht Grad erwärmt. Trotzdem habe ich mir sicherheitshalber die dünnen Langfingerhandschuhe übergezogen. Unterm Helm wird die winddichte Mütze von Gore Stirn und Ohren warm halten. Immer schön stetig und sanft kurbeln, dann laufen die ersten Kilometer hinüber nach Bernau locker und genussvoll. Der Körper wird warm und die Muskeln lockern sich.

In Ladeburg biege ich kurz nach Osten ab, hin zur herrlichen Flatterulme, die mich schon vor zehn Jahren in ihren Bann gezogen hat. Oben drängt sich das Granfondo noch in den Vordergrund, unten füllt der 600-jährige Ulmenstamm das ganze Bild, so, wie es ihm zusteht. Dieser Baum ist wunderbar, ruft mir eine Frau zu, die mit ihrer kleinen Tochter unterwegs ist. Da kann ich nur überzeugt zustimmen. Nach einer Genuss-Fotopause rolle ich weiter nach Lobetal und dann über das Backofendorf Danewitz nach Grüntal, wo ein für mich genauso eindrucksvoller Baumriese vor der alten Kirche seit sicher über 500 Jahren Wache hält. Die kuriose Wuchsform mit drei, ursprünglich vier Stammtrieben soll nach einem Blitzeinschlag im dreißigjährigen Krieg, bei dem der Kirchturm auf die Eiche stürzte, entstanden sein. Und vor über 200 Jahren soll hier Napoleon mit seinen Soldaten auf dem Rückzug aus Russland hier rast gemacht haben. Drei seiner Männer starben wegen Erschöpfung und Unterernährung – jedenfalls der Sage nach. Und die hat mir schon vor fünf Jahren der damalige Pastor der Gemeinde, Utz Berlin, so erzählt. Eine kleine Gedenkplakette auf dem Ortsfriedhof zeugt davon.

Bei meinem heutigen Besuch leuchtet der Baumriese noch im allerletzten Herbstlaub. So ist die Stammform gut zu erkennen. Kaum Totholz zeigt sich in der Krone. Auch in den nächsten hundert Jahren wird die Eiche wohl noch vor der Kirche Wache halten und uns alle überleben. Am Eingang zum ehemaligen Pfarrhaus sind Informationen zu Veranstaltungen zu lesen und ein Satz trifft besonders auf Pilger und auch Randonneure zu:

Menschen auf der Suche nach Ruhe und Natur können im Haus Grüntal Seminare buchen.

Die Dorfbäckerei hat schon vor über 10 Jahren ihre Pforte geschlossen.

Die Sonne meint es gut mit mir heute. Naturgenuss im Barnim. Schade, dass das herrliche Bunt der Allee hin nach Tuchen und Trampe einem eher winterlich anmutenden Braun der letzten Blätter gewichen ist.

Allein bin ich unterwegs auf weiter Flur, kilometerlang weder Autos noch Menschen zu sehen. Schön! Bis nach Pond Inlet an der Baffin Bay in Nordkanada sind es 4558 Kilometer. So kann ich es auf einem Schild vor dem Geburtshaus von Artur Haack, einem der ersten Polarfilmer, im Ort Klobbicke lesen.

Er erfror, auf einem Schlitten sitzend und mit einer Pfeife im Mund. Sein Freund Franke konnte gerettet werden.“ Seit 2019 befindet sich ein Denkmal für Arthur Haack vor seinem Geburtshaus in Klobbicke/Breydin/Barnim.“

Hier ist es erfreulicherweise deutlich wärmer als im ewigen Eis, und ich kann meine Langfingerhandschuhe ausziehen. Nördlich von Trampe führt die Straße kilometerweit durch den Barnimer Wald, bis sie mich hinunter nach Eberswalde und zum Finowkanal rauschen lässt. Dieser Kanal verbindet seit über 400 Jahren die Oder mit der Havel und ist die älteste noch schiffbare künstliche Wasserstraße Deutschlands. Der Finowkanal entwickelte sich zu einer der wichtigsten deutschen Binnenwasserstraßen und bestimmte die rasante wirtschaftliche Entwicklung des Finowtals als Wiege der „Brandenburgisch- Preußischen Industrie“ bis ins 20. Jahrhundert. Eisenspaltereien, Messingwerke, Kranbau, Papierfabrik, Hufnagelproduktion… Märkisches Wuppertal, so wurde diese Region auch treffenderweise genannt. Heute rolle ich an den Zeugen dieser glorreichen Zeit vorbei und sehe hauptsächlich Ruinen. Das zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtete, damals hochmoderne Kohlekraftwerk Heegermühle rottet seit seiner endgültigen Stilllegung im Jahre 1991 vor sich hin. Die Natur holt sich Gelände zurück.

Wenig später erreiche ich die Messingwerksiedlung, die der jüdische Fabrikant Gustav Hirsch für seine Arbeiter schon in den 1860er Jahren nahe der Fabrik errichten ließ. Um 1900 waren hier bereits 950 Menschen beschäftigt mit steigender Tendenz bis zu 2000 Arbeitern um 1920. Heute zeigt sich die ehemalige Werkssiedlung aufwändig restauriert und ist ein attraktiver Wohnplatz für Jung und Alt. Zum Gemeindeverband Messingwerk gehörten auch eine Schule mit zwei Lehrerhäusern, von denen heute eines ein Eichamt ist. 1929 war das Messingwerk das größte und leistungsfähigste Europas.

Das Gelände um den Wasserturm und die Messingwerksiedlung empfehle ich jedem, der sich für die Historie der Region interessiert.

Ich bleibe bis Finowfurt auf dem Treidelweg am Kanal. Als ich über eine Rumpelwegpassage hin zur B 167 fahre, übersehe ich einen veritablen Scherbenhaufen, der wahrscheinlich mal ein kleiner Kronleuchter war – bis ihn irgendein rücksichtsloser Zeitgenosse auf dem Radweg zerdeppert hat. Auf der Lauffläche meiner 25mm Schwalbe Pneus kann ich auch nach genauer Begutachtung keine Einstiche erkennen. Glück gehabt? Denkste! Bis Wandlitz hält der Hinterreifen noch die Luft, dann ist Schluss mit Lustig. Ich fluche, nehme das Hinterrad heraus und ziehe einen neuen Schlauch ein. Meine Co2-Kartusche sorgt in Sekundenschnelle für sechs Bar Druck, meine Wut verfliegt und ich rolle hinein in die sinkende Sonne.

112 Kilometer waren es heute. Gut für Körper und Seele. https://www.strava.com/activities/16365090180

Der Winter kommt bald

Fast zwei Jahre ist es her, seit ich diesen Beitrag geschrieben habe. Immer noch, oder wieder aktuell!

My dear
In the midst of strife, I found there was, within me, an invincible love.
In the midst of tears, I found there was, within me, an invincible smile.
In the midst of chaos, I found there was within me, an invincible calm.
In the depth of winter, I finally learned that within me, there lay, an invincible summer. And, that makes me happy.
For it says, that no matter how hard the world pushes against me, within me, there’s something stronger…
~ Albert Camus

Beim Lesen dieser Zeilen von Albert Camus bekomme ich einen unendlichen Hunger nach seinen Werken, die mich schon als  Abiturient stark beeindruckt haben. Sigi Silkenat, der neben seinem Beruf als Lehrer auch noch Literaturkritiker war, hat mich in der Schulzeit so intensiv und so nachwirkend an die Werke der Dichter und Denker herangeführt, dass ich auch aus eigenem Antrieb immer viel gelesen habe. Und einer meiner Lieblingsautoren ist Camus, über den ich damals in der mündlichen Prüfung referieren durfte. Die Zuneigung ist bis heute erhalten geblieben. Und das Werk des Dichters ist so aktuell wie selten zuvor. Also hole ich „Die Pest“ und „Der Fremde“ zuerst aus dem Bücherregal und lege sie neben meinen Lesesessel. 

Draußen rieselt leise der Schnee, eine dünne weiße Decke hat er auf die Erde gelegt. Meine Idee für eine kleine Runde in den Barnim verwerfe ich. Stattdessen fahre ich einfach in Gedanken durch die Landschaft. Entlang der letzten Fotos, die ich gemacht habe.

In einer Bucht des Summer Sees putzt ein Schwan sein Gefieder. Er verteilt das Sekret aus seiner Bürzeldrüse sorgsam auf den Federn, damit sie kälte- und wasserfest bleiben.

Die Landstraße, die durch den Wald nach Wensickendorf führt, ist abgefräst und für den Autoverkehr gesperrt. Wie schön für mich.

Summter Chaussee

Mein Cannondale Taurine habe ich auf Winterbereifung umgerüstet. Auf nur zwei Bar aufgepumpt, bügeln die Reifen die Buckel komfortabel platt. Kurz vor Wandlitz biege ich nach Westen ab und staune über das Schnitzelangebot vom Gasthof Roschè am Rahmersee.

Als bekennender „Flexitarier“ reizen mich die 20 Schnitzel nur zum schnellen Vorbeifahren, keinesfalls zur Einkehr. Der Radweg ist in guter Verfassung, es rollt. Ein paar Minuten später schließe ich auf einen gleichmäßig kurbelnden Kollegen auf. Meine Altersklasse, erkenne ich neben ihm. Als ich von meinen ersten Besuchen in Wandlitz und im damaligen Radladen von Jürgen Geschke erzähle, schmunzelt er und erzählt, dass er mit „Tutti“ ( Spitzname der Radlegende), schon so manche Trainingsrunde gedreht hat. Wir reden anerkennend über den Geschke-Sohn Simon, der so erfolgreich in den Bergen bei der Tour de France war und freuen uns, dass wir Oldies immer noch auf dem Rad sitzen. Ich biege ab nach Norden und genieße die Weite, die Rinder und Pferde auf den Weiden. Bei Liebenwalde setze ich wieder Kurs Süd. Auf dem Radweg Berlin-Kopenhagen überhole ich einen Triathleten, der in lockerem Lauf sein Rad neben sich herführt. „Ich habe keine Panne, ich mache nur Lauftraining“. Ich bleibe auf meinem Taurine und enteile in Richtung Bernöwe. Wie mag es wohl jetzt dem Betreiber vom Trabi-Grill am Ortsrand gehen? Hält er schon Winterschlaf?

Er hat das Imbissgefährt noch nicht winterfest gemacht, bereitet aber die Technik auf den Winter vor. Wasser ablassen, alles reinigen und sicher einpacken. Ich bekomme trotzdem noch ein leckeres, gezapftes Bier und mache mich gestärkt und gut gelaunt auf den Heimweg.

In Schmachtenhagen locken keine Schnitzel, dafür aber Schuhe, Baumarktware, alles zu Supersonderpreisen. Nur an der Präsentation kann noch Einiges verbessert werden!

In Oranienburg erstaunen mich die „Tier-Elektroroller“ vor der Hochschule der Polizei. Wird hier der Nachwuchs auf die Mobilität der Zukunft vorbereitet?

E-Roller vor der Polizeihochschule

Auf dem Platz vor dem Oranienburger staune ich, mit welch schwerem Gerät die Mannen den Weihnachtsbaum aufrichten. Luise würde es sicher gefreut haben.

Luise von Preußen als Wandschmuck

Mein Taurine und ich haben die Ausfahrt genossen. Zu Hause warten wärmender Tee und leckere Lebkuchen und die beste Ehefrau von allen auf mich.

Zwei Oldies unterwegs – Im Mai den Neckar hinunter, Teil 2

Der Schlummer war tief in Lauffen, der leckere Primitivo beim überaus freundlichen Italiener hat unsere Gedanken vom sanierungsbedürftigen Lauffener Städtle nach vorn gelenkt auf unsere nächste Etappe. Der Blick aus dem Fenster zeigt um 8 Uhr 18 einen mächtigen Lastenkahn, der Mühe hat, auf dem Lauffener Neckarkanal die enge Kurve zu bekommen.

Wir genießen das Frühstück und sind um 9 Uhr startbereit.

Alle Taschen und der Tailfin-Aeropack wollen jetzt schnell ans Topstone montiert werden.

Die ersten 1o Kilometer in Richtung Heilbronn führen hinauf in die Weinhänge. Ein Weinberg ist auch ein Berg, bemerkt Peter schwitzend. Und nach dem Hinaufkurbeln folgt bekanntlich immer eine schöne Abfahrt. Und der Peter traut sich jetzt auch, die Bremsen mal offen zu lassen.

Weinreben, so weit das Auge reicht. Am Horizont die Kraftwerke von Heilbronn.

Aktuell werden hier noch 4000 t Steinkohle TÄGLICH angeliefert. Der höchste Kamin misst 250 m. Aber die Tage des Kohlekraftwerks sind gezählt. Neben dem alten Block entsteht ein Gaskraftwerk, das mit Flüssiggas gefüttert werden soll.

Links Gewerbebetriebe und Baumärkte, rechts der Neckar und dominierend Industriebauten. Nur noch ein paar Meter bis Neckarsulm, der Heimatstadt von Audi. Die Werksanlagen erstrecken sich über Kilometer am Neckar entlang, wo wir auf einem Info-Panel lesen können, dass es hier schon im Jahre 1905 mit den Neckarsulmer Fahrrädern und Motorrädern angefangen hat.

Auf der Infotafel zur Audi-Historie pappt der Werbeaufkleber einer „Cannabis Business-School“ Wir schnuppern allerdings hier keine süßen Hanf-Düfte, sondern eher miefige Industrieluft.

Endlich rollen wir wieder in die Neckarauen ein. Grün, mit Blütenduft anstelle Industriegestank. Dann urplötzlich stehen wir auf einer Radautobahn, pardon, einem Radschnellweg! Und staunen! Fünf Meter breit, Mittelstreifen, Seitenstreifen… An Fußgänger wurde hier offensichtlich nicht gedacht!

Wer schrauben, pumpen, reparieren muss, hier stehen die Hilfsmittel dazu
Auf dem Radlerzähler sind wir heute Nr. 192 und 193

Wir fahren auf dem ersten Abschnitt eines gerade mit großem politischen Pomp eingeweihten Radschnellweges. Nach etwa einem Kilometer sind wir schon durch… War es das schon? Irgendwann sollen es 18 Kilometer Pendlerstrecke werden. Hoffentlich werden wir das noch erleben. Und hoffentlich dann mit notwendigen Verbesserungen. Denn wenn sich Fußgänger und die Kinder des nahgelegenen Spielplatzes auf die „Autobahn“ verirren, sind sie arg gefährdet.

Schon sind wir wieder auf dem ganz normalen Neckar-Radweg und blicken bewundernd hoch zur Bad Wimpfener Altstadt.

Bad Wimpfen

Wir bleiben ganz nah am Neckar. Gefühlt auf jedem Hügel thront eine mehr oder weniger erhaltene Burg. Hier zu sehen das Heim von Bernolph Frhr. v. Gemmingen-Guttenberg.

Burg Guttenberg

Nur eine Neckarschleife weiter zieht die Burg Hornberg unsere Blicke an.

Im Jahr 1517 kaufte Götz von Berlichingen, der Ritter mit der eisernen Hand, die Burg mit Steinbach und Haßmersheim für 6500 Gulden von Conz Schott von Schottenstein und lebte auf dieser, zusammen mit seiner Familie, bis zu seinem Tode 1562.

Berühmt ist der Satz, den Götz dem Anführer der überlegenen kaiserlichen Truppen zuruft: „Vor Ihro Kaiserliche Majestät hab ich, wie immer, schuldigen Respekt. Er aber, sag’s ihm, er kann mich im Arsch lecken. 

Geschichtsträchtig, aber im überaus negativen Sinne ist auch der hier zu sehende Eingang zum Stollen für den Gipsabbau in Neckarelz. In diesem Bereich sollten gegen Ende des Weltkriegs riesige unterirdische Produktionsanlagen für Flugmotoren entstehen. Die notwendigen Arbeitskräfte wurden von den Konzentrationslagern Natzweiler und Dachau hierhergebracht. Über 5000 KZ-Häftlinge , die schon entkräftet waren, wurden hier gequält. Die beiden Gruben „Friede und Ernst“ wurden umbenannt in „Goldfisch und Brasse“.

Heute wird in dieser Region wieder Gips abgebaut, über 300.000 t werden im größten Untertagebergbau Deutschlands pro Jahr gewonnen und auf Schiffe verladen.

In der nächsten Neckarschleife wartet schon das nächste „Denkmal“ auf uns: das am 11. Mai 2005 stillgelegte Kernkraftwerk Obrigheim. Vor 25 Jahren also. Der Abbau der Anlagen soll in diesem Jahr noch vollendet werden – wer´s glaubt?! Ein Foto der Kraftwerkanlagen spare ich mir.

Dann, in Neckargerach, locke ich Peter auf einen schmalen Weg, der zunächst direkt am Neckar entlangführt, ohne Steigung. Zunächst! Dann aber geht es rauf in den Wald, immer weiter, dann wird der Weg schlechter und schlechter. Das Garmin zeigt immer noch einen fahrbaren Weg, aber der führt vom Neckar weg, auf die Berghöhen hinauf. Schließlich halten wir an, trinken einen Schluck und beschließen den Rückzug. Peter hält sich mit Flüchen zu meinen Navigationskünsten sehr freundschaftlich zurück. „Er hätte es schließlich auch nicht besser gekonnt“, sagt er mir. Danke Peter!

Wir queren hinüber auf die andere Seite nach Neckargerach, wo der offizielle Neckarweg kilometerweit an der Bundesstraße entlangführt. Aber es rollt gut. Wieder staunen wir über eine Burg im Hang, das Schloss Zwingenberg.

Schloss Zwingenberg

Nur noch eine Neckarkurve, dann sind wir in Eberbach und fahren über die mit „Eberflaggen“ geschmückte Brücke in die Altstadt.

Auf der Suche nach einem Quartier kurven wir durch die Gassen, stärken uns mit Weizenbier, fotografieren die Kirche St. Johannes Nepomuk und tun uns schwer, eine Unterkunft zu finden. Peter ist schließlich erfolgreich und stößt auf das Gasthaus Zur Linde in Neckarwimmersbach. Also wieder hinüber auf die andere Neckarseite und rauf auf den Hügel. Hier werden wir freundlich empfangen, das Essen ist preiswert und lecker, und wir wundern uns über das Durchhaltevermögen der beiden Wirtsleute, die praktisch im Alleingang das Geschäft in Gang halten.

Feierabendwein auf dem Balkon des Gasthauses Zur Linde

Die Lüfte sind mild, unsere Laune ist gut, währenddessen hängt der Wirt die Hotelwäsche im Vorgarten auf die Leine: Selbst ist der Mann!

Am nächsten Morgen lacht die Sonne, der Wind bläst uns nicht mehr von Norden ins Gesicht: Radlerglück! Wir sind schließlich hier im Naturpark Neckartal-Odenwald. Noch nie haben wir solche Mengen von blühendem Bärlauch erlebt. Die Luft ist wahrhaft bärlauchgeschwängert.

Schließlich genehmigen wir unseren Rädern eine kurze Pause im Bärlauchbett.

Koga-Burner und Cannondale Topstone im Bärlauchbett

Die Düfte haften noch Stunden später an Sattel und Gepäck. In Ersheim hat der Neckar beschlossen, eine 180-Grad-Wende nach Süden zu machen. Am Ortseingang bewundern wir die kleine, aber höchst sehenswerte Kapelle aus dem 14. Jahrhundert, die mit einer Ölbergdarstellung an der Außenwand beeindruckt. Und drinnen staunen wir über sehr gut erhaltene Fresken und Deckenmalereien aus mittelalterlicher Zeit.

Ölbergdarstellung an der Ersinger Kapelle

Auf dem gegenüberliegenden Hang leuchten das Schloss Hirschhorn mit der darunter liegenden Kirche im Sonnenlicht.

Schloss und Kirche Hirschhorn

Für uns der schönste Abschnitt des Neckar-Radwegs.

Wir können uns kaum sattsehen an so viel geschichtsträchtigen Bauten, reißen uns aber irgendwann los und nehmen unser nächstes Ziel, Heidelberg, ins Visier.

Schon um die Mittagszeit erreichen wir die Karl-Theodor-Brücke, die zur Altstadt hinüberführt.

Wir sind keine Selfie-Fans, aber das hier muss einfach sein. Auf den nächsten Metern tauchen wir ein in das Touristengewimmel. Menschen aus dem ferneren Osten dominieren die Innenstadtachse.

200 Meter weiter nur, und wir stehen vor der Parfümerie Frosch, die schon im Jahre 1942 hier von Frau Frosch eröffnet wurde. Sie hat dann Anfang der 50er Jahre eine kleine Wohnung im Dachgeschoss an meine Schwiegereltern vermietet, mein Schwager kam hier zur Welt. So habe ich einen ganz besonderen Bezug zu diesem Haus, das immer noch genauso ausschau wie vor 70 Jahren.

Mit den 1000 Düften aus dem Laden in der Nase begeben wir uns auf die Suche nach einem Plätzchen, wo wir der Geschichte ein wenig nachhängen können und dazu ein Bier trinken.

Irgendwann reißen wir uns los, gehen über die Neckarbrücke zurück und nehmen Kurs auf die badische Bergstraße. Mannheim werden wir uns sparen und sofort nach Norden in Richtung Bensheim abbiegen.

In Weinheim wähnen wir uns kurz im nahen oder ferneren Osten. Eine Moschee steht mitten in einem Gewerbegebiet. Dann machen wir einfach stoisch Kilometer. Auch in Weinheim können wir kaum Weinreben entdecken. Die Bundesstraße 3 ist gesäumt von wenig attraktiven Gewerbeansiedlungen. Für uns Radler jedenfalls ist das eher langweilig hier. Und den Umweg hinein in die Hänge und Dörfer des Odenwaldes sparen wir uns. Wir sind schließlich auf unserer Schlussetappe. Sulzbach, Laudenbach, Hemsbach, schließlich Bensheim, wo wir auf die Suche nach einem Nachtquartier gehen. Gefühlt jeder dritte Laden ist hier ein Friseursalon. „Josefine, Friseur relax, Ästhetik Beauty, Haargold, Kajaks Hair, Hatice´s hairstyle … “ Aber wir suchen doch nur ein kleines Hotel. Dann wählen wir für unsere letzte Übernachtung das Parkhotel Krone. Schönes Zimmer, prächtige Fahrradgarage. Aber dann auch für uns Gäste kein Platz mehr auf der Restaurantterrasse. „Bin nur allein und kann nicht mehr Tische bedienen“, redet sich der unwillige junge Mann heraus. Wir sind stocksauer und gehen auf die Suche nach einer Alternative. Star Döner, Kebap Haus, Meat Heaven, Rhodos … Und im einzigen Biergarten, der gut aussieht, feiern junge Damen einen Junggesellinnenabschied. Alle Plätze sind besetzt. Langsam macht sich Frust bei uns breit. Die Erlösung finden wir dann im Angebot eines Lidl-Marktes, wo wir uns mit Bier, Wein, Würstchen und Chips eindecken. Für ein wahrhaft frugales Mahl auf dem Hotelzimmer. Wir lassen die Erlebnisse der Woche Revue passieren, schwelgen in unseren Eindrücken, sind zufrieden mit uns und der Welt. Der Schlummer ist gut und die letzten 28 Kilometer hin zum Darmstädter Bahnhof gelingen locker.

Auf geht es nach Darmstadt, Peter!

Letztes Highlight ist ein stolzer Reiher auf der Wiese. Dann stehen wir vorm Bahnhof.

Abfahrt für Peter 12.31 Uhr nach Aschaffenburg und Regensburg , für mich nach Frankfurt und dann nach Berlin um 12.30 Uhr.

Abschied, Schulterklopfen, drücken, herzen, verabschieden – bis zur nächsten Tour in alter Frische, bester Freund!

P.S: Einen kleinen Beitrag zu meiner bisher besten Bike-Package-Konfiguration werde ich in Kürze noch verfassen.

Zwei Oldies unterwegs – Im Mai den Neckar hinunter

Start in Schwenningen an der Neckarquelle:

Sauwetter mit Temperaturen um fünf Grad und frischer  Gegenwind sind angesagt für die erste Etappe unserer Neckartour. Unsere Stimmung ist trotzdem sehr gut, denn am Vorabend hatte uns der Wirt des griechischen Lokals ins Herz geschlossen und mehrere Runden Ouzo spendiert. Nachdem Peter einen Artemis-Teller und ich den Apollon-Teller verarbeitet haben, können wir die Alkoholmenge halbwegs gut verkraften. Auf dem Rückweg zum Hotel Sombea beleuchtet der Neckartower mit seinen Lichtstreifen unseren Weg. 

Neckartower

Am Dienstagmorgen rollen wir bei bedecktem Himmel und gefühlten drei Grad los. Ja, wo ist sie denn, die Neckarquelle? Wir folgen den unterschiedlichen Hinweisen. Peter ist zwar in einem Nachbarort geboren, aber auch er kennt den Quellstein und die Skulptur daneben noch nicht. Kein Wunder, denn der Jüngling Matze , der vom Bildhauer Herbert Wurm zur Eröffnung der Landesgartenschau geschaffen wurde, liest erst seit 2010 in der Neckarquelle, der Zeitung, die schon seit 140 Jahren hier erscheint. Erst kurz vor 10 Uhr schauen wir dem Matze über die Schulter und können jetzt ganz offiziell auf den Neckarradweg einrollen. 

Auf den ersten Kilometern Richtung Rottweil müssen wir uns einige kurze Rampen mit 10 Prozent Steigung hochquälen. Wir lästern über den Radweg, der doch „Talweg“ heißt. 

Erstes Highlight ist der historische Kern von Rottweil, der ältesten Stadt Württembergs. Wir genießen den Anblick der Bürgerhäuser, die sehr aufwändig restauriert sind. Jeder Blick kostet Kraft, denn zum oberen Stadttor geht es steil den Hang hinauf. Das Schwarze Tor, wo der berühmte Narrensprung startet, liegt etwa 100 Meter höher als der Neckarpegel. Für unsere Fortbewegungsgeschwindigkeit steht bildhaft eine schöne Schnecke samt Haus, die ihre Schleimspur quer über den Radweg zieht. Vor dem Stadtmuseum thront ein in Bronze gegossener Rottweiler-Hund, der den Eingang bewacht.

Um halb zwei passieren wir in Oberndorf die Stele, die den 50. Flusskilometer markiert. Schauen, genießen, nur nicht hetzen, lautet unser Motto.

Im 800-Einwohner-Dorf Sulz-Fischingen winkt Peter von der Alten Tribüne den imaginären Fußballern zu.

Die „berühmte“ Tribüne des SV Fischingen mit Fan Peter

Der Neckar windet sich zwischen den steilen Schwarzwaldhängen mühsam landab. Wir strampeln gegen einen immer noch frischen Nordostwind an. In Horb biegen wir in die Altstadt ein und halten Ausschau nach einer Bleibe für die Nacht. Vergeblich. Entweder ausgebucht oder hochpreisig. Also weiterfahren. Es ist schließlich erst Kaffeetrinkenzeit, noch kein Abend.

Oberstadt von Horb

Noch zwei Neckarschleifen und wir rollen in Rottenburg ein. Vollmundig habe ich Peter angekündigt, dass wir in diesem Ort reichlich Möglichkeiten zum Übernachten finden würden. Schließlich zählt die Stadt fast 50000 Einwohner. Mit meiner Einschätzung liege ich gründlich daneben. Booking.com und andere Portale zeigen keine günstigen Zimmer. Nach einigen Kurven durch die Altstadt erinnern wir uns an einen Wegweiser am Stadtrand, der zum „Gästehaus am linken Ufer“ wies. Ein Anruf, eine freundliche Frauenstimme, eine schnelle Zusage. 15 Minuten später stehen wir vor dem kleinen. kunterbunten Haus. https://amlinkenufer.de/so-sieht-es-aus/

Die Chefin begrüßt uns herzlich und zeigt uns das Grüne Zimmer, das sehr originell gestaltet und eingerichtet ist. Im Frühstücksraum, der immer geöffnet ist, steht ein Getränkekühlschrank, aus dem wir einige Belohnungsbiere entnehmen – zur Bezahlung steht daneben ein kleiner Karton, in dem schon Scheine und Münzen liegen. Hier genießen die Gäste das Vertrauen der Vermieterin.

Auf Schusters Rappen erkunden wir die Altstadt, genießen leckeres Essen und kommen auf diese Weise auch noch zu ordentlicher Laufarbeit. Tagesergebnis: genau 100 km per Rad plus 5 km zu Fuß.

Am nächsten Morgen lacht die Sonne, der Gegenwind hat nachgelassen, und wir machen uns gut gelaunt auf den Weg hinüber nach Tübingen, das ich aus meiner Zeit in Schwaben sehr gut kenne.

Kiebingen
Die Wurmlinger Kapelle
Tübinger Rathaus
Holzmarkt
Mit Peter auf der Bank vor dem Mauganeschtle. am Schloßberg. Auf dieser Bank saßen meine Frau und meine Tochter schon vor 35 Jahren und bestaunten die Stadtkulisse. Heute meint meine Frau beim Betrachten des Fotos, wir seien doch erstklassige Kopien von Statler und Waldorf aus der Muppet Show. Wir werten das einfach mal als Kompliment.

Tübingen atmet studentische, liberale, sehr freundliche Luft. „Tübingen hat keine Universität, Tübingen ist eine Universität“ !

Schließlich reißen wir uns los und steigen wieder auf unsere Rösser. Neckartenzlingen, Nürtingen, Wendlingen. Das Neckartal ist breit, wir rollen durch die Auen dahin. In Plochingen macht der Fluss eine Kurve nach Nordwesten. Industriegebiete, soweit das Auge reicht. Umleitungen, Baustellen, schlechte Radwegbeschilderung. Von Plochingen hin nach Esslingen macht das Fahren keine Freude.

Alte Weberei bei Mittelstadt

Wir sind spät unterwegs und haben erst 70 Kilometer auf der Uhr, als wir die Altstadt von Esslingen durchkurven und uns einen Kaffee gönnen. Leicht gefrustet vom Besuch beim Hotel NIU, wo die Dame der Rezeption nicht den Hauch von Idee zu einer sicheren Radunterbringung hatte, findet Peter schließlich eine Pension oben im Stadtteil Berkheim. So steil geht der Weg hinauf, dass wir schieben müssen. Die Unterkunft ist mäßig und leicht abgeranzt. Nach langer Verhandlung mit der Wirtin darf ich mein Topstone die schmale Treppe hochtragen und es auf den Balkon stellen. Peters Koga kommt am Abend mit in den Hausflur. Wir trösten uns heute mit einem reichlichen Mahl beim Italiener.

Frisch geduscht und guter Laune rauschen wir wieder hinunter nach Esslingen und suchen eine Frühstücksbäckerei.

Das gibt Kraft!

Das historische Altstadtensemble tröstet uns über die miserable Radwegeführung hinweg.

Nächste Station Untertürkheim! Daimlerhausen sozusagen. Etwas wehmütig blicken wir hinüber zum Museum, erinnern uns an die ersten Jahre bei Mercedes und freuen uns, dass unsere Arbeitsleistung in Form der Pension pünktlich jeden Monat auf dem Konto eintrifft.

Endlich, es ist schon Mittagszeit, sind wir wieder in den grünen Neckarauen unterwegs, dann staunen wir über Weinrebhänge extremer Steillage. Hier „müsset die Winzer ganz arg schaffe“ bis der Wein im Fass ist.

Und auch der Neckarradweg zeigt sich jetzt von seiner besten Seite. Mit Spannbrücken vom Feinsten. Auf dem Weg nach Marbach rollen wir durch sattes Grün, sogar ein stolzer Reiher begrüßt uns am Rande der Schillerstadt.

Natürlich kurbeln wir hinauf zum Geburtshaus des Dichters. Die Altstadt ist ein wahrer Augenschmaus.

Und zur Krönung des Tages gönnen wir uns dann ein Viertele „Muskat Trollinger“. Fruchtig, samtig, herrlich rot schillernd.

So kann es weitergehen und wir freuen uns schon auf die nächste Perle des Neckartals. Die Hessigheimer Felsengärten, Kirchheim, dann steigt unsere Neugier auf das Städtchen Lauffen, das eine schöne Altstadt haben soll. Schön? Na, jedenfalls ist Hölderlin hier geboren, zog aber mit seiner Mutter schon im Alter von vier Jahren nach Nürtingen, danach schließlich nach Tübingen. In Lauffen rollen wir über eine in Renovierung begriffene Brücke hinüber zum so genannten Städtle. Wir erlaufen uns diesen Teil des Ortes. Und erschauern vor dem bemitleidenswerten Zustand der meisten Häuser. Blätternder Putz, zugewachsene Türen, vergammelte Zigarettenautomaten, verlassene Wirtshäuser. Das haben wir nicht so erwartet, noch frisch die Eindrücke vom so sorgsam restaurierten historischen Marbach in den Köpfen.

Hier zur Illustration des aktuellen Lauffener Städtle ein paar Fotos und dazu die Plakate, mit denen die Stadt die geplante Sanierung beschreibt. Der 2024er Aufkleber pappt auf der ursprünglichen Jahreszahl 2022! Einfach drübergeklebt. Wir schauen dann 2028 wieder einmal mal vorbei… Wie sagte mir ein alter Herr vor dem einzigen renovierten Haus mit Bank und Blumen vor der Türe: “ für uns interessiert sich keiner in der Stadtverwaltung und im Land“.

Wo sollen wir hier wohl übernachten? Aber: das Gute liegt so nah. An der Neckarbrücke , etwas versteckt hinterm Eck, entdeckt Peter das Gästehaus Schenk. Zimmer frei! Und mit Fahrradgarage! Und eine Treppe runter das Dolce Vita, ein italienisches Restaurant. Bestes Essen, sehr freundlicher Service. Vollkommen unerwartet gut!

Unverhofft kommt oft!

Drei illustre Etappen haben wir geschafft. 100, 75, 80 Kilometer, in Summe 255 km bis hierher.

Über die nächsten drei Tage könnt ihr bald im zweiten Teil des Beitrags lesen.

O schaurig ist’s übers Moor zu gehn

Auch zwischen den Jahren zeigt sich die Sonne nicht. Grau in grau hat sich die Natur gewandet. Ein Wetter, das aufs Gemüt schlagen kann. Was hilft da besser als ein langer Gang durch die Natur. Das Tegeler Fließ bei Lübars hat sich mit Wasser vollgesogen, ich wähle den Weg hinauf zu den Lübarser Höhen.

Die Lübarser Höhen waren einmal ein Müllberg, in unseren Tagen freuen sich die Menschen über viel Grün, Wanderwege und den Blick über das Märkische Viertel. Heute spiegeln sich die Granitplatten im fahlen Licht. Auch solch eine Nahsicht kann reizvoll sein.

Über den Alten Bernauer Heerweg wandere ich durch die Streuobstwiesen hinüber in die Niedermoorwiesen. Efeu und Hopfen und andere Ranken verwandeln die Obstbaumstümpfe in Fabelwesen.

Hier ist totale Ruhe, kein Fuchs, keine Krähe, keine Maus ist zu sehen oder zu hören. Nur wenige Spaziergänger sind unterwegs.

Der Köppchensee hat sich eingehüllt in tristes Grau. Ein schönes Motiv für einen Landschaftsmaler. Hier oben am Aussichtspunkt. Oder eben für einen Fotografen.

Unten am Ufer des kleinen Sees, der aus einem ehemaligen Torfstich entstanden ist, bin ich wieder unter Menschen. Eine gut gelaunte Wandergruppe macht Rast und wärmt sich mit Tee und Leckereien auf. Der Schwan bekommt auch etwas ab.

Nach drei Stunden und 15 Kilometern hat sich meine Laune mächtig aufgehellt. Der Nebel bleibt und wird noch dichter.

N+1

Mein Titan-Granfondo ist nach der Rahmenschweißung in bester Form, das Canyon Endurace weiß, dass seine Zeit im Frühjahr und im Sommer kommt. Die beiden Oldies Colnago Mexico und der Basso Crosser wissen genau, dass sie auch zukünftig maßvoll bewegt werden. Und das Cannondale Taurine MTB freut sich darauf, demnächst Enkel Justus zu zeigen, wie es noch drauf ist. So klafft bald im Bereich der Geländegeräte eine Lücke.

Also: Zeit für ein N+1. Ein echter Graveller soll es sein. Solide, mit genügend Freigang für Reifen bis 45 mm Breite, mit Scheibenbremsen, aus Alu, stabil und komfortabel zugleich. Die Auswahl ist groß. Gravel Bikes sind von Herstellern und deren Marketing-Abteilungen gepusht worden. Die Produktion wurde hochgefahren. Nun drücken die Lagerbestände. Gut für den Kunden, die Preise wackeln, eine wahre Rabattschlacht ist im Gange. Ich will kein Edelrad, aber Rahmen und Komponenten sollten einen ordentlichen Standard haben. Also durchforste ich meine Zeitschriften, lese -zig Testberichte und weiß am Ende doch: Ich muss nur meine eigene Vernunft und meine Erfahrung befragen. So lande ich bei Ridley, Rose und dann Cannondale.

And the winner is: the Cannondale Topstone Apex 1. Bei Fahrrad Rabe in München habe ich bestellt. Versandkostenfrei. Drei Tage Lieferzeit, top verpackt. Und der Preis von gut 1400 € ist gegenüber dem Listenpreis von 2199 € eine entscheidungsförderliche Reduzierung.

Der Rahmen in der Größe M entspricht in der Geometrie nahezu meinem Titan-Granfondo mit Rahmenhöhe 54 cm. Die Verarbeitung der Schweißnähte ist sauber und sorgfältig. Für die Flaschenhalter gibt es am Unterrohr oben drei Ösen. Gut für eine variable Position. Und unten nochmal zwei Ösen für eine dritte Flasche. Die Carbon-Gabel hat drei Aufnahmepunkte für Forkbags. Da kann ich meine Ortliebs wunderbar montieren. Und auf dem Oberrohr befinden sich zwei Befestigungspunkte für eine kleine Tasche. Endlich kein Verrutschen mehr.

Jetzt wird es Zeit, das Gerät in die nähere und fernere Umgebung auszuführen. Dabei werde ich herausfinden, ob die Einstellungen von Lenker und Sattel passen, wie Schaltung und Bremsen sich anfühlen, wie ich am besten Front-und Heckbeleuchtung anbringe …

Also los. Die erste größere Runde führt in den Krämerforst und über die Alte Hamburger Poststraße. Kilometerlang durch den Wald und über Schotter, Sandwege und weichen Humusboden.

Ich bin gespannt darauf, wie es sich mit der 12-fach-Schaltung und einem Kettenblatt mit 40 Zähnen vorn und hinten 11-44 fahren lässt. Locker und leicht! Nur einmal muss ich den Zug nachjustieren. Am Schaltwerk die Rändelschraube eine halbe Umdrehung raus, und schon ist die erste Längung oder Setzung des Zuges ausgeglichen. Feineinstellung!

Die SRAM Apex hydraulischen Bremsen greifen auf 160 mm Scheiben. Definiert und sehr wirksam.

Da macht das Fahren auf Waldwegen Freude. Mein Taurine-Mtb vermisse ich auf Schotter, Split, festem Sand überhaupt nicht. Die Vittoria Terreno Dry, 700x38c rollen komfortabel und spursicher. Den Druck habe ich bei knapp 3 bar eingestellt. Bei weichem Untergrund sollte man sicher den Druck noch weiter absenken in Richtung 2,2 bis 2,5 Bar. Das werde ich noch testen.

Die ersten 100 Kilometer fühlen sich gut an. Auch, weil ich den Fizik-Aliante-Sattel gegen meinen Fizik-Arione Tri 2, der perfekt zu meinem Hinterteil passt, getauscht hatte. Für zukünftige Fahrten bei nassen Wegen habe ich dann noch Schutzbleche montiert. SKS Schutzblech Set 28″ Edge AL. Passen perfekt und lassen noch genügend Freiraum zu den 42 mm breiten Reifen. Hier noch ein paar Eindrücke von der Tour durch die Barnim-Wellen und Wälder und am Oder-Havel-Kanal entlang.

Obligatorisch ist natürlich ein Besuch meiner Lieblingseiche vor der Kirche in Grüntal. Dieser Baum strahlt Kraft, Wärme und Souveränität aus. In jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter. Die Stieleiche ist etwa 400 Jahre alt und hat der Erzählung nach schon Napoleon bei seinem Rückzug aus Russland „Obdach“ geboten.

Das Topstone lehnt entspannt an der Eiche von Grüntal, hier schon mit den Edge AL- Schutzblechen von SKS.

Gegenüber im Schaukasten der Herberge hängt ein passendes Schild zum Jakobs-Pilgern. „Reduziere Dein Gepäck auf das Nötigste. Es ist ein gutes Gefühl, mit wenig auszukommen.“ So ist es!

Bei Trampe stürze ich mich dann in den Wald und sauge den Duft von Kiefernharz und feuchtem Laub in meine Lungen. Dem Topstone gefällt es auch sehr gut abseits der asphaltierten Straßen. Wir stürzen uns bei Hohenfinow dann hinunter an den Oder-Havel-Kanal und an den Rand des Oderbruchs. In Niederfinow wird köstliches Bier gebraut, und ein paar Meter weiter ist die skurrile Sammlung eines sehr eifrigen Bastlers zu sehen.

Auf dem Radweg von Niederfinow nach Eberswalde können wir uns noch in der späten Sonne wärmen, und ich schlürfe genüsslich den heißen Ingwertee aus der Thermosflasche. Es wird dämmrig am Finowkanal und dunkel, als ich auf den Berlin-Usedom-Radweg bei Finowfurt in Richtung Bernau abbiege. Ein guter Test für die Beleuchtung. Der Lupine-Akku ist sicher in der Oberrohrtasche untergebracht, die Piko strahlt wie immer breit und weit. Nach hinten blitzt die Lezyne Airstrip Pro. So werden Rad und Reiter nicht übersehen.

Ein kurzer Fotostopp in der beleuchteten Bushalte am Gorinsee, dann noch 10 Kilometer Endspurt bis nach Hause.

Das Topstone ist top! Das kann ich nach den ersten 400 Kilometern Touren durch Wald und Felder zufrieden feststellen. Ein würdiges N+1!

Lost Places in Brandenburg – Bogensee

Mein Basso-Crosser wird bald 35 Jahre alt. Als ich das Rad bei Radsport Holczer in Herrenberg in Empfang nahm, fiel die Mauer in Berlin. Seine Räder rollten zuerst nur in Schwaben, Bayern und auch in der Provence. Erst nach dem Umzug aus dem Ländle ins Brandenburger Land um die Jahrtausendwende durfte es die hiesigen Wälder und Feldfluren erkunden. An uralte Eichen, Ulmen und Linden wurde es angelehnt. Verfallene Bunkeranlagen aus Weltkriegs- und auch DDR-Zeiten durchkurvte es. Alte Flugzeughallen, in denen die Bomber standen, Lungenheilanstalten, in denen schon lange keine Patienten mehr atmen, bestaunte es.

Und vor mehr als zehn Jahren war ich zum ersten Mal mit ihm in Bogensee. Heute, an einem Herbsttag mit klarem Himmel und frischen Lüften, habe ich Lust, wieder durch die bunten Wälder nach Norden zu fahren. In Wandlitz treffe ich an der Anlegestelle am See einen Ex-Rennkajakfahrer, der sein neues Kevlarboot aus dem Wasser zieht. Zufrieden sieht er aus, und er ist es auch. Das Boot ist leicht und nicht so kippelig wie ein Renngerät. Das sei sehr entspannt zu fahren und genussvoll zugleich. Schließlich ist der Sportler gerade in Rente gegangen, wie er mir erzählt. Wir konstatieren, dass die Rentnerzeit geradezu dazu verpflichtet, körperlich und auch geistig aktiv zu bleiben, und wünschen uns in diesem Sinne einen erlebnisreichen Tag. Von Wandlitz bis Bogensee ist es nicht weit. So um die sieben Kilometer. Wenn also die DDR-Granden den FDJ- Schülern in der Kaderschmiede Bogensee einen Besuch abstatten wollten, hatten sie es nicht weit.

Nördlich von Wandlitz führt die Straße hin nach Prenden. Nach drei Kilometern folge ich dem Schild „Bogensee“.

Um halb eins stehe ich vor dem überwucherten Torhäuschen, an dem einst der Zugang zum Gelände kontrolliert wurde. Daneben, offensichtlich jüngst abgefackelt, eine Garage mit undefinierbarem Inhalt. Ein paar Meter weiter begrüßen mich die Hinweistafeln zum längst verlassenen Internationalen Bildungs-Centrum IBC. Seit 1999 wird hier niemand mehr gebildet. Stillstand herrscht, die Natur holt sich die Anlage zurück.

„Herzlich willkommen“ … heute wirkt das wie ein Hohn. Willkommen sind hier bestenfalls Füchse und Wildschweine.

Im einzigen Gebäude, das heute noch genutzt wird, dem ursprünglichen Wirtschaftstrakt der Villa, residiert die „INU“ Waldschule.

Ein paar Meter weiter dann erblicke ich die einstige Göbbels-Villa, die er romantisch seinen „Waldhof“ genannt hat. Schon 1936 schenkte die Stadt Berlin dem Propagandaminister das Nießbrauchrecht für 496 Hektar Land zum 39. Geburtstag. Wahrscheinlich auf Weisung des Führers Adolf H. Dann ließ er das bescheidene Gebäude mit 1600 qm Grundfläche, 30 Privaträumen, 40 Dienstzimmern, einem 100 Quadratmeter großen Filmsaal und 60 Telefonen errichten. Dazu kamen noch Dienst-und Wirtschaftsgebäude für die Versorgung und das Wachpersonal. In den letzten Jahren ist das Gebäude immer mehr von Büschen und Bäumen zugewuchert. Vom bogenförmigen Schriftzug überm Eingang bröselt der Lack, der Putz löst sich in großen Placken.

Die Liebespaar-Skulptur, die erst im Jahre 1986 hier aufgestellt wurde, stammt aus einem Kunstprojekt der DDR. Ute Appelt-Lillack kann ich als die Bildhauerin dieses und auch anderer Werke auf dem Gelände ergooglen. Das Paar ist seit vier Jahren kopflos. Nur ein dicker Stahldraht ragt noch oben aus der Betonskulptur heraus.

Wenn ich mir vorstelle, wie Joseph Göbbels hier seine Rede mit dem Kernsatz: „Wollt ihr den totalen Krieg“ vorbereitet hat, gruselt es mich. Am 18. Februar 1943 wurden die allerletzten Menschenreserven für die Endphase des Krieges mobilisiert,

Alle Männer zwischen 16 und 65 sowie Frauen zwischen 17 und 45 Jahren konnten zur Reichsverteidigung herangezogen werden. Mit der Erweiterung der Wehrpflicht ab August 1943 wurden Hitlerjungen unter 18 Jahren direkt aus Wehrertüchtigungslagern in die Wehrmacht eingezogen . 

Göbbels hat hier zu Kriegszeiten heile Welt samt Familie gespielt und inszeniert.

Heute gibt es auf dem Gelände keinen einzigen Hinweis auf die Historie des Ortes. Keine Informationen, einfach NICHTS! So viel offensichtliche Geschichtsvergessenheit macht mich geradezu zornig.

Auch zur Historie der riesigen Anlage, die Anfang der 50er Jahre als FDJ-Jugendhochschule errichtet wurde, ist nirgendwo eine Information zu finden. Das Ende der DDR bedeutete auch das Ende der FDJ. In den 90er Jahren wurden das Lektionsgebäude, die Wohnhäuser, das Kulturhaus und auch die Ex-Göbbels-Villa von ehemaligen Mitarbeitern der Hochschule als Internationales Bildungs-Centrum bis 1999 weiter genutzt und erhalten. Bis die Kosten zu hoch wurden und die notwendigen Restaurierungsarbeiten das Budget der Organisation weit überstiegen. Die Pleite war die Folge. Ein Nachnutzungskonzept gab und gibt es immer noch nicht. Viele Anläufe, kein Fortschritt. Das Land Berlin als Eigentümer erwägt aktuell den Abriss der Bauten. Der würde aber mindestens 40 Mio. Euro kosten.

Und die hat natürlich Berlin nicht. Stattdessen wird wohl bald eine aktuelle Studie zur möglichen zukünftigen Nutzung erscheinen. Der Einzige, dem das Nutzen bringt, ist wahrscheinlich das beauftragte Planungsbüro. So wird wahrscheinlich Bogensee irgendwann komplett zugewuchert sein. Die nächsten Generationen können dann hier archäologische Abenteuerwanderungen machen.

Mein Basso sieht die Geschichte und die Zukunft von Bogensee mit dem gelassenen Blick eines gereiften Oldies. So wie ich auch. Darauf einen Schluck heißen Ingwertee aus der Thermosflasche.

Nachklapp:

Die bunte Herbstnatur macht dann doch wieder gute Laune.