Krummau hat uns trotz der Touristenströme in seinen Bann gezogen. Solch ein mittelalterliches und in großen Teilen barockes Ensemble habe ich so durchgängig noch nirgendwo gesehen. Eine Märchenwelt! Im „Leonardo“ durften unsere treuen Lastesel sogar direkt vor der Rezeption parken. Auf historischen Dielen, angelehnt an historischen Bänken. Wir bedanken uns für die äußerst zuvorkommende Behandlung und stehen frisch wie der junge Morgen um 8.30 Uhr an der Moldaubrücke und biegen nach Süden ab. Kurs Linz. Die Moldau ist spätestens ab hier ein Wassersportrevier erster Güte. Schlauchboote und Kajaks fahren in Reihe auf dem Wasser und werden in steter Folge auf Anhängern und LKW auf den Straßen moldau-aufwärts transportiert. Schließlich wollen die Flussfahrer flussabwärts gleiten. Und dazu muss die ganze Armada immer wieder in Richtung Quelle zu den Startorten gebracht werden. Bedřich Smetana https://geboren.am/person/bedrich-smetana hätte aktuell seine Tondichtung „Die Moldau“ um einen Schlauchbootwalzer ergänzen müssen.
Das Tal der Vltava wird enger, das Grün ist satt, Burgen tauchen nach jeder dritten Biegung auf. Eine wahre Burgen-Bauwut muss hier einst die Baumeister und Steinmetze in Arbeit gebracht haben.
An einem Sammelpunkt, wo die Wasserwanderer campen und auf die nächste Teilstrecke starten, machen wir einen Stopp und schauen dem bunten Treiben zu. Familien, Einzelkanuten, Alt und Jung. Die Menschen stürzen sich in den blauen Fluss. Wir machen ordentlich Strecke in dem flach ansteigenden Geläuf. Die Morgenluft ist würzig und tut unseren Lungen gut. Die werden spätestens ab Vyšší Brod, dem südlichsten Punkt Tschechiens, wieder feste Sauerstoff ins Blut bringen müssen. Hier knickt der Kurs nach Süden ab, weg von der schönen Moldau, hinein in die Berge Südböhmens.
Die Straße nach Leonfelden steigt sanft an. Wir finden unseren Rhythmus und erfreuen uns an den fetten Farben der Wiesen und dem Cumulushimmel. Auf jeden Kilometer kommen hier zwei Verkaufsstände für frische Pfifferlinge, Gartenzwerge, Zigaretten und, wie wir vernehmen konnten, sogar für die Partydroge Chrystal Meth! Die Waren, natürlich nicht die Pfifferlinge, kommen mittlerweile aus Vietnam und China.
Die ehemalige Grenzkontrolle in Weigetschlag steht seit Schengen 2007 ungenutzt, aber gepflegt da. Ein paar Kilometer noch bergauf, über die 850 Meter Höhe, dann sanft nach Bad Leonfelden einschwingen und den erstbesten Bäcker heimsuchen. Der Milchkaffee ist riesig, der Kuchen schmeckt köstlich, aber det Janze kostet hier doppelt so viel wie in Tschechien. Gestärkt steigen wir auf und kurbeln hinauf nach Glasau. Hier beginnt eine rauschende Abfahrt über mehr als 10 Kilometer nach Linz hinunter. 50 bis 65 km/h stehen permanent auf dem Tacho. Konzentration ist gefragt. Im Tal sind wir froh, wieder normal in die Pedale treten zu dürfen.
Linz empfängt uns mit seiner ganzen Pracht. Allein, wir sind viel zu früh hier, um uns schon ein Hotel zu suchen, also beschließen wir, die heutige Etappe auf ca. 150 Kilometer zu verlängern. An der Donau entlang sollte das purer Genuss sein!
In der Altstadt finden wir vor der Konditorei Leo Jindrak, dem Haus der original Linzer Torte, noch ein Plätzchen im Schatten und gönnen uns ein gleichsam köstliches wie riesiges Joghurt-Eis. Die können nicht nur Linzer Torten ( davon werden bei Jindrak jährlich 100 000 hergestellt und an Kunden in aller Welt versandt). Nach einem illustren Stündchen Pause und Plausch mit der heimischen Bevölkerung gehen wir um 14.30 Uhr wieder auf Kurs.
Ein paar Kilometer weiter bremst uns diese geschraubte Edelstahlskulptur. Beeindruckend allemal, nur einen Hinweis auf den Urheber finden wir nicht. Gut, dann lassen wir die Kunst einfach und unverfälscht auf uns wirken.
Vor dem Schopper-und-Fischer-Museum zupft ein Rennradlerkollege am Lavendel herum.
Schoppen ist, wie wir erfahren, die Kunst des Abdichtens der Holzfugen zwischen den mächtigen Eschenbrettern des Schiffsrumpfes. Dieser hier konnte bis zu 10 Tonnen tragen. In Aschach betrieb der Schiffmeister Johann Georg Fischer ( 1782-1864) einen großen Schopperplatz und setzte damals schon damals schon für sein Sägewerk große Dampfmaschinen ein. Hightech zu jener Zeit.
In einer kurzen Pause vor einer Radlerpension, total einsam an der Donau gelegen, mit keiner erkennbaren Anbindung an den Straßenverkehr, verspeisen wir ein paar Würstel mit Meerrettich. ( Der Hunger treibt es rein, hätte meine Mutter gesagt.)
Links Radweg, rechts die Bahn, dazwischen die träge dahinfließende Donau, eingerahmt von Waldhängen. Oben thront der Burgherr.
Beim Würstelessen bekommen wir die Info, dass nur vier Kilometer weiter mindestens drei Gasthöfe mit Pension auf uns „warten“. Also nichts wie hin!
Wir klopfen nicht beim Heiligen Nikolaus, dafür aber bei der Pension Reisinger an und bitten um ein Nachtquartier. Peter verschwindet im Gastraum und kommt erst nach gefühlten 10 Minuten wieder freudestrahlend heraus. Die Seniorwirtin hatte ihm im obersten Stockwerk eine ganze Ferienwohnung mit zwei Schlafzimmern und Wohnküche angeboten. Für 30 € pro Person, inklusive Frühstück!
Darauf genehmigen wir uns ein deftiges Abendessen mit Kartoffelpuffern, Salat und leckerem Gösser-Bier. Zum Ausklang lassen wir uns noch einen Krug mit lauwarmem Sauvignon Blanc füllen und tragen die köstliche Fracht hinauf in unser Wohngemach.
Hinterm Fenster lüftet die Rapha-Weste aus, die Hosen hängen dekorativ am Türrahmen, die Wohnküche wirkt in zartem Rot für sich. Im Waschbecken kühlt sich der Sauvignon im Wasserbad.
Diese Nacht schlafe ich ( mückenlos) wie ein Stein. Peter erschlägt derweil wie das tapfere Schneiderlein mindestens sieben Blutsauger, die ihn nicht in den Schlaf kommen lassen.
Am nächsten Morgen starten wir nach einem Frühstück alter Art – Wurst, Käse, Marmelade, Filterkaffee – auf die Etappe nach Straubing.
So gut die Beschilderung des Donauradweges bisher gewesen ist, so bescheiden sieht sie auf den nächsten 30 Kilometern aus. Der Weg führt streckenweise über die Bundesstraße ohne Seitenstreifen. Der Landkreis hat hier wohl ein paar Jahre verschlafen.
Ja, geht es noch? Beim Versuch, zwischen den Stangen hindurchzutauchen, wären wir fast steckengeblieben. Hohoho! Ein Hoch auf den Beschilderer.
Passau muss hinter der nächsten Biegung auftauchen, die Annäherung an die attraktive Altstadt führt allerdings über ein paar Hindernisse.
Der gepriesene Donauradweg führt uns an einer stillgelegten Bahnstrecke über rumpeligen Schotter an die Stadt heran.
Musikantenkultur in Passau: Der Bärtige erfreut Peter mit seinen Liedern. Als Peter ihm das Brandenburglied vorsummt und der Musikant mehr schlecht als recht die richtige Melodie sucht, ergreife ich die Flucht.
Wir trösten uns mit dem Blick auf Maximilian I. , dem ersten König der Bayern, und den beeindruckenden Dom St. Stefan. Dann gönnen uns zum Einritt ins Bayernland eine zünftige Weißwurst und ein Weißbier. In Passau gibt es drei Flüsse zu überqueren, Inn, Ilz und Donau. Dann entlässt uns die Stadt wieder nach Westen an die freie Donau.
Der Donauradweg wird hier zum Bier-Radlweg. „Bring ma a Hoibe!“ Das merken wir uns und werden so an den nächsten Tagen nicht verdursten müssen. Nach kurzem Hotelsuchintermezzo in Bogen, wo keine Bleibe zu finden ist, starten wir durch nach Straubing und erreichen die Altstadt kurz vor einem dräuenden Gewitter. Im Hotel Seethaler werden wir vom Inhaber abgefangen ( gerne doch) und bekommen zwei nette Zimmer. Der Abend wird gemütlich: Essen bei Röhrl mit dem gleichnamigen Bier. Eine Riesenportion Semmelknödel mit Pfifferlingen, die in einer sämigen Sauce schwimmen. Köstlich. Dann später launige Gespräche in einer Bar, die nach Berliner Maßstäben schon bevor der eigentliche Abend beginnt, gegen 22.30 Uhr den Ausschank schließt. Da musste eben schneller trinken, meint Peter. Wir kommen auf diese Weise wieder zeitig in die Betten und sind fit für die kleinen 55 Schlusskilometer am letzten Tag nach Regensburg.
Auf dem Donaudeich staunen wir über einen schlaksigen Wanderer, der einen vollbepackten Kinderwagen vor sich her schiebt. Wir kommen ins Gespräch: Der Däne ist auf dem Weg von Kopenhagen über Deutschland, Tschechien, Österreich und jetzt Bayern nach Griechenland und dann noch mit einem Umweg um die Türkei herum noch ein Stückchen weiter. Gestartet war er mit Rucksack, dann irgendwo in Deutschland hat ihm eine Frau den Kinderwagen geschenkt. Da war er seine plagende Last auf dem Rücken los. Der Kinderwagen wurde voll und voller. Läuft prächtig, meint er. Nur die Räder sind etwas klein für rumpelige Wege. Bis zu 60 Kilometer hat er an den besten Tagen geschafft. Beachtlich. Gesund an Körper und Geist. Neugierig und unkonventionell. Mit diesem Menschen hätten wir gern länger geplauscht.
Rechts oben über den Bäumen am Hang taucht die Walhalla auf. Wir wähnen uns im alten Griechenland. Wikipedia weiß über den Tempel Folgendes: In der Gedenkstätte Walhalla in Donaustauf im bayerischen Landkreis Regensburg werden – ursprünglich auf Veranlassung des bayerischen Königs Ludwig I. – seit 1842 bedeutende Persönlichkeiten „teutscher Zunge“ mit Marmorbüsten und Gedenktafeln geehrt. Benannt ist sie nach Walhall, der Halle der Gefallenen in der nordischen Mythologie. Der Architekt war Leo von Klenze.
Leo von Klenze errichtete im Auftrag von Ludwig I. in den Jahren 1830 bis 1842 den nationalen Gedenktempel nach dem Vorbild des Parthenon. In der Ruhmeshalle haben viele bedeutende Persönlichkeiten aus der germanischen Sprachfamilie einen Ehrenplatz erhalten. Selbst jene wie Heinrich Heine, der den Bau spöttisch als „marmorne Schädelstätte“ bezeichnete, finden sich heute in ihm wieder.
Wir sparen uns den Aufstieg zum Tempel und belassen es beim respektvollen Betrachten.
In Regensburg steuern wir zunächst den riesigen Dom an: Ich muss unwillkürlich an Walter Röhrl denken, der zu seiner Jugendzeit der rasanteste Chauffeur des Regensburger Bischofs gewesen ist.
Zu diesen Gedanken passt wunderbar das Bier vom und im Bischofshof. „Das Bier, das uns zu Freunden macht.“
Danach drehen wir eine Kulturrunde durch die Gassen der Altstadt und steuern am Ende die alte steinerne Brücke an. Sie wird gerade aufweisenndig renoviert. Und genau da, wo die Baustelle mit einer Stahlkonstruktion umschifft wird, haben wir eine illustre Begegnung. „Magic Moments“: Unser Randonneursfreund Henning, der im wirklichen Leben Profifotograf ist, steht mit seinem Team auf der Brücke und macht Aufnahmen für eine Kampagne des Landes Bayern. Ein irrer Zufall, ihn hier zu treffen. Nicht in Berlin, 500 Kilometer weiter südlich in Regensburg auf der Brücke! Großes Hallo, ein paar Worte, dann wendet sich der Gestresste wieder seiner Arbeit zu. Wir schieben unsere Räder derweil auf die andere Donauseite und kehren ein im Biergarten Zur alten Linde. Schön, anderen bei der Arbeit zuzuschauen.
Da unten auf der Insel turnt er herum und dirigiert die großen Schirme, die wohl das helle Sonnenlicht abhalten sollen. Wir fotografieren einfach dann, wenn das Licht schon milder ist …
So ungefähr sieht das dann aus.
Im Hotel VIII direkt an der Donau bekommen wir ein veritables, etwas kurioses Apartment im 4. Stock.
Wir wähnen uns im Orient. Fehlt nur noch die Wasserpfeife.
Unsere Räder dürfen auch hier ins Haus. Und das wird um 19 Uhr abgeschlossen. Mit gutem Gewissen können wir noch einen ausgedehnten Stadtbummel machen.
Bei Dampfnudel-Uli kehren wir mangels Hunger nicht ein.
An der Donau, mitten am attraktivsten Teil des Donauufers, sind die Hausbesetzer aktiv. ANTIFA steht ganz oben zu lesen. Und ich hatte gedacht, det gäb et nur in Berlin. Offensichtlich ist dieselbe Problematik wie in den meisten großen Städten auch hier angekommen.
Nur noch Barbarossa ist illuminiert. Wir kommen durch den Nebeneingang mittels Transponderkarte ins Hotel, stiefeln die drei Treppen hoch und wissen kaum, wie wir in die Betten gekommen sind. Wir sind am Ziel unserer Etappentour. 1000 erlebnisreiche Kilometer liegen hinter uns. Wir sind zufrieden.
Morgen mittag bringt uns die Bahn wieder zurück nach Berlin.
P.S: Ein Bericht zur Streckenführung mit den Tracks und zur eingesetzten Ausrüstung ist in Arbeit.
Danke für die Info😏
@ Hausbesetzer: Neeee, ganz anders. Ein etwas sonderbarer Eigentümer verschiedenster Gebäude in der Innenstadt lässt aus Wut darüber, dass er div Bau und Betriebsenehmigungen, so für eine Modelldampfeisenbahn für Touristen durch die Innenstadt) nicht bekommt, dieses Haus in zentraler Lage verkommen, Ein 10 Jähriger Schandfleck, aber eher nicht durch linke sondern rechte Anarchisten, quasi…
Alexander aus Regensburg ARA Nordbayern
Hallo Dietmar
Deine Blogs werden immer besser, umfangreicher und informativer.
Schöne Fotos, immer mehr geschichtlicher Hintergrund.
Bin vor Jahren einige Teilstrecken selbst gefahren. (Passau-Wien, Altmühlquelle-Regensburg)
Haben dieses Jahr auf dem Elberadweg nach Hamburg eine „Radler“ getroffen, der von der Elbequelle (CZ) nach Quxhafen „geradelt“ ist. Über 1200 km mit einem Zelt. Tolle Erlebnisse hat er uns erzählt.
Die Tour Altmühlquelle-Regensburg ist übrigens auch sehr schön.
Weiter so und bleib gesund !!
Mit besten Grüßen
Franz
Ja ein schöner Bericht, wohl auch weil er mich an Regensburg und Straubingen erinnert. Dort kommt die Verwandschaft mütterlicherseits her und ein paar mal waren wir/ ich auch schon dort.
Na dann Prost.
Das freut uns sehr! Ohne Zeitdruck Landschaften, Menschen, Kultur kennenzulernen, ist wirklich ein prägendes Erlebnis. Im Zollpackhof heute haben wir beim Augustiner auf Dich angestoßen.
Toll, was Ihr beiden da gemacht habt. Und Deine Berichte – als wenn man dabei gewesen wäre.
Diese Art des Reisens ist doch wirklich die schönste.
Das Bier heute Abend trinke ich auf Euch.
LG rainer